Schon in der länger zurückliegenden Kindheit des Kolumnisten gestaltete sich der Erwerb von Kleidern als zweifelhaftes Vergnügen.

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Unsere Epoche wird man einmal als eine würdigen, die zwar der Idee der Sicherheit verhaftet war, aber sonst wenig nennenswerte Gedanken hervorgebracht hat. Hingegen scheinen manche ihrer Vorsätze derart hochgegriffen, dass man es vorzieht, sie gar nicht zu beherzigen.

Was etwa das Konzept der "Nachhaltigkeit" betrifft, so überzeugt jeder Blick in die Wühlkisten unserer Diskonter von unserer Unbedenklichkeit. Wer Textilien erwirbt, die jedermann billiger kommen als eine Zwischenmahlzeit, der wird das Arbeitsleid halbwüchsiger Bangladescher wenn überhaupt, nur abstrakt bedauern. Doch vielleicht steckt darin auch ein Körnchen Weisheit: Geht es der Wirtschaft gut, geht es irgendwann für alle ab zum Ausverkauf.

Für die Idee textiler Unverwüstlichkeit scheint ein authentisches Kind der zu Recht so heißenden Ära Kurz (man denke an die Hosenbeine!) verloren. Wie anders war die Gesinnung in der Schlaghosenzeit. Bruno Kreisky regierte Österreich absolut. Die Hemden und Jacken seiner Zeitgenossen schillerten in den Farben der Zersetzung: moorbraun, schlammgelb, exkrementfarben.

Geknöpfte Zelte

Jeder Erwerb von Kleidungsstücken glich in den Jahren des allmählich wachsenden Wohlstands einem Hochamt. In den Vorstädten hüteten die (zumeist verwitweten) Inhaberinnen von Wäscheläden besonders bizarre Exemplare von Fehlwäsche. Strümpfe hatten blickdicht zu sein und mussten das Gewebe unbarmherzig stützen. Gewisse Pumpanella-Hosen huldigten der exzentrischen Idee der Dreibeinigkeit. Wieder andere Wäschestücke schienen allein zu dem Zweck gewirkt, um sich in ihnen zu verlaufen.

Ich, ein dicklicher Babyboomer, durfte Hemden tragen, deren Ärmel von meiner Mutter eingenäht werden mussten. Um den Bauch schlotterten diese geknöpften Zelte, ich begriff, warum gerade alte Männer Hosen trugen, deren Bund ihnen bis an den Rand des Busens reichte. Die Ära Kreisky war auch eine hermaphroditische Zeit.

Meine Mutter, eine nervöse Person, aß Unmengen, um ihr Leben zu verwinden. Während langer Nächte hörte man aus ihrem Zimmer die elektrische Nähmaschine surren. Sie trug ihre weiten, wehenden Kleider mit dem trotzigen Stolz der Untröstlichkeit. (Ronald Pohl, 13.3.2019)