Das Töten fällt ihnen leicht. Oft schießen sie dem Gegner in den Kopf, damit keine Fragen bleiben. So stumpf, so gewöhnlich, so alltäglich wird die Gewalt in The Sisters Brothers gezeigt, dass schnell klar ist, dass sie längst in den Körper der beiden Brüder Eli (John C. Reilly) und Charlie (Joaquin Phoenix) übergegangen ist. Ein Automatismus, den man routiniert abruft und der den beiden Killern im Dienste eines Commodore, des Landfürsten, kein Kopfzerbrechen bereitet.
Jacques Audiard beginnt seinen Film in tiefschwarzer Nacht bei einem dieser Tötungskommandos. Rufe sind zu hören, dann blitzt Mündungsfeuer im Dunkel auf. So eine Form der Abstraktion hat man in noch keinem Western je gesehen. Dabei geht es dem französischen Regisseur gar nicht so sehr darum, sich mit aller Macht von der klassischen Ikonografie abzusetzen. Audiards Filme suchen bei aller Freude an der Revision – man denke an sein Gefängnisdrama Ein Prophet – vor allem nach einem genaueren Verständnis der Figuren und ihrer Umwelt. Sie streifen sich die Genres über, machen sich diese zu eigen.
Western als Zeitstück
Das ist auch in The Sisters Brothers wieder so, der auf einer Vorlage des Kanadiers Patrick deWitt beruht. Audiard wurde der Film interessanterweise von Reilly und seiner Frau, der Produzentin Alison Dickey, angeboten – er habe eigentlich keine Affinität zum Western, erzählt der Regisseur in Interviews. Die Distanz tut dem Zugriff aufs Genre gut, Audiard begreift es als historische Form; wie in einer solchen üblich, könnte man sagen, legt er den Akzent nun nicht nur auf Aktion, sondern verstärkt auf Dialog und Sprache. Auf Sitten und moralische Überzeugungen.
Und so zeigt Audiard Eli und Charlie auf ihren Pferden nicht als verschlossene Schweigegangster, sondern als regelrechte Dauerquassler. Während sie einem flüchtigen Goldsucher hinterherreiten, der dem Commodore etwas schulden soll, nutzt er die Gelegenheit, ihre Eigenschaften zu erkunden. Charlie ist der zwielichtige, wildere der beiden, ein notorischer Trinker, der mit seinem schlechten Ruf zu leben gelernt hat. Er zieht seinen gutmütigen, innerlich verzagten Bruder gern auf. Der wiederum hegt heimlich den Wunsch, sesshaft zu werden. Die Zahnbürste, die Eli erwirbt, liefert eine Idee davon.
Abstand von der Zivilisation
Die eingeübten Abläufe zwischen den beiden, die nicht voneinander loskommen, obwohl sie gar nicht so viel verbindet, geben dem Film einen gehörigen Zug ins Komische. Dahinter bleibt jedoch auch der Abstand sichtbar, den sie bereits vom zivilisierten Leben haben. Der Widerspruch zwischen den Taten, der Erscheinung der Brüder und ihrer profaneren, besser versteckten privaten Seite ist eine der größten Stärken von The Sisters Brothers.
Zugleich sind die Brüder das Symptom einer Gesellschaft, die die Gier nach Geld antreibt. Es gibt zu viele unterschiedliche Interessen, zu wenig Zusammenhalt in ihr. Jeder ist dem anderen im Weg. Audiard macht den Western auf diesem Weg ganz implizit auch für gegenwärtige Zeiten interessant. Beim Streben nach Glück, das einem verfassungsrechtlich zusteht, wird man schnell über den Haufen geschossen. "Diese Welt ist abscheulich", schreibt John Morris (Jake Gyllenhaal) in seinem Tagebuch.
Deplatzierter Feinsinn
Der ist der leicht sonderbare Detektiv, der mit dem Goldsucher Hermann Kermit Warm (Riz Ahmed) gemeinsame Sache macht. Der Chemiker trägt die Formel fürs Glück in der Tasche, allerdings versteht er sich mehr als Revolutionär. Die beiden verfügen über den Feinsinn, der den Brüdern und den anderen fehlt. Sie wollen eine demokratischere Gesellschaft verwirklichen, doch ihre Kultiviertheit wirkt an der "frontier" fehl am Platz – die Vorstellung, ihre Konkurrenten mit schönen Worten vom Vorzug der Kultur zu überzeugen, erscheint naiv.
Die Pionierzeit bleibt in The Sisters Brothers so letztlich voller uneingelöster Versprechen. Ohne Eile, aber mit großer Eleganz fügt Audiard die Träume dieser Männer in sein Porträt einer rohen frühkapitalistischen Gesellschaft ein. Die Bilder von Benoît Debie, der viel mit Gaspar Noé gedreht hat, haben manchmal eine surreale Anmutung – wie in jener Sequenz, in der die Brüder in eine Stadt gelangen, in der ein Transgenderwesen (Rebecca Root) über alle Gewalten gebietet.
Die Gier nach Gold wird nicht nur hier zum Fiebertraum, der alle mit sich reißt. So betrachtet ist Audiards Western eine Komödie des Fortschrittswahns.
(Dominik Kamalzadeh, 12. 3. 2019)