Die Linke Satellitenaufnahme zeigt das Kalbungsereignis am Petermann-Gletscher vom 21.07.2012. Rechts sind die neu entstandenen Risse deutlich zu erkennen.
Foto: ASTER; Sentinel-2

Wenn riesige Eisberge für mediale Aufmerksamkeit sorgen, dann sind sie in den allermeisten Fällen antarktischer Herkunft. Erst vor kaum zwei Wochen wiesen Satellitenaufnahmen der Nasa von einem Spalt in einer Eisfläche des östlichen Weddellmeeres auf eine baldige spektakuläre Geburt eines potenziellen Giganten hin. Ein ähnliches Ereignis dürfte nun jedoch auch in der Arktis bevorstehen: Risse in der schwimmenden Eiszunge des Petermann-Gletschers im äußersten Nordwesten Grönlands deuten auf den Abbruch eines großen Eisberges hin. Die Folge könnte eine Beschleunigung des Fließtempos des Gletschers sein.

Wie kürzlich Glaziologen in einer Studie berichten, hat sich seit einem Eisberg-Abbruch im Jahr 2012 das Fließtempo des Gletschers um durchschnittlich 10 Prozent erhöht, sodass in der Folgezeit neue Risse entstanden sind – ein durchaus natürlicher Vorgang. Modellsimulationen der Forscher zeigen jedoch: Sollten auch diese Eismassen abbrechen, wird sich der Petermann-Gletscher vermutlich weiter beschleunigen und mehr Eis ins Meer transportieren, mit entsprechenden Folgen für den globalen Meeresspiegel.

Der Petermann-Gletscher im äußersten Nordwesten Grönlands gehört zu den bekanntesten Gletschern der Region. Zum einen umfasst sein Einzugsgebiet vier Prozent des Grönländischen Eisschildes. Zum anderen besitzt er eine schwimmende Eiszunge wie nur zwei weitere Gletscher Grönlands. Diese schiebt sich derzeit über eine Strecke von etwa 70 Kilometern in den Petermann-Fjord. Risse etwa 12 Kilometer oberhalb der bisherigen Gletscherkante deuten darauf hin, dass in naher Zukunft wieder ein großer Eisberg vom Petermann-Gletscher abbrechen könnte.

Der südwestlicher Rand der sogenannten Scherzone des fließenden Petermann-Gletsches. An dieser Stelle ist die Kalbungsfront etwa zehn Kilometer entfernt.
Foto: Andreas Muenchow, University of Delaware

Beschleunigter Gletscherfluss

Zu diesen Schlüssen kommen Glaziologen des Alfred-Wegener-Institutes, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven im "Journal of Geophysical Research: Earth Surface", nachdem sie Satellitenaufnahmen des Gletschers aus den zurückliegenden zehn Jahren analysiert haben. "Die Satellitendaten zeigen, dass der Petermann-Gletscher im Winter 2016 mit einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 1.135 Metern pro Jahr floss. Dies entsprach einer Beschleunigung von etwa 10 Prozent im Vergleich zum Winter 2011 und wir haben uns gefragt, was diesen Geschwindigkeitsanstieg ausgelöst hat", erzählt Glaziologe und Mitautor Niklas Neckel vom AWI.

Die Wissenschaftler simulierten daraufhin den beobachteten Eistransport des Petermann-Gletschers in einem Computer-Eismodell und konnten nachweisen, dass der Abbruch eines großen Eisberges im August 2012 die Beschleunigung des Gletschers in Gang gesetzt hatte. "Die Eismassen des Gletschers reiben auf ihrem Weg ins Meer rechts und links an Felswänden, welche den Fjord einrahmen. Bricht nun am Ende der Gletscherzunge ein großer Eisberg ab, schrumpft die Länge der Eiszunge insgesamt und damit auch die Strecke, auf der die Eismassen die Felsen berühren. Deren Bremswirkung sinkt und der Gletscher beginnt, schneller zu fließen", erklärt Erstautor Martin Rückamp.

Diese Aufnahme entstand in der Nähe des Zentrums des fließenden Petermann-Gletscher etwa 26 Kilometer entfernt von der Kalbungsfront.
Foto: Andreas Muenchow, University of Delawar

Eine ähnliche Beschleunigung sagt das Computermodell auch für den Fall voraus, dass es zu einem erneuten Eisberg-Abbruch kommen sollte. "Wir können nicht vorhersagen, wann der Petermann-Gletscher wieder kalben wird und ob ein Abbruch tatsächlich bis zu den von uns entdeckten Rissen in der Gletscherzunge reichen wird", sagt Martin Rückamp. "Anzunehmen ist aber, dass die Gletscherzunge im Falle eines weiteren Abbruchs wieder deutlich schrumpfen und die Bremswirkung der Felsen noch weiter abnehmen wird".

Unklarer Zusammenhang mit dem Klimawandel

Inwieweit der beschleunigte Eistransport des Petermann-Gletschers auf Konsequenzen der globalen Erderwärmung zurückzuführen ist, haben die Wissenschafter bislang nicht tiefgreifend untersucht. "Wir wissen jetzt, dass das Fließtempo des Gletschers infolge von Eisberg-Abbrüchen steigt. Außerdem beobachten wir, dass die Häufigkeit solcher Abbrüche am Petermann-Gletscher zunimmt. Ob dafür jedoch die wärmer werdende Atmosphäre über Grönland oder aber wärmeres Meerwasser verantwortlich ist, haben wir anhand der Satellitendaten nicht untersuchen können", so Neckel. Für die Forscher ist die Beschleunigung des Petermann-Gletschers dennoch ein Signal. Im Gegensatz zu den Gletschern im Südosten und Südwesten Grönlands haben die Gletscher im hohen Norden der Insel bislang kaum Veränderungen gezeigt. Das scheint sich nun zu ändern. (red, 12.3.2019)