DJ Charlie hat schon bessere Zeiten gesehen. Sein einziger Hit liegt länger zurück, und seine Profession übt der in London lebende Mittvierziger vor allem bei Geburtstagsfeiern und 90er-Jahre-Partys mit halbleeren Tanzflächen aus. Alles läuft für den ewigen Junggesellen in bescheidenen Bahnen, bis er auf einer Hochzeitsfeier seinen ehemals besten Freund David trifft. Der hat als Schauspieler in Actionfilmen in Hollywood Karriere gemacht und stiehlt ihm mit seiner "star power" selbst als Tanzmotivator noch die Show.

Altkluger Teenager und DJ auf Abwegen: Frankie Hervey (li.) und Idris Elba in "Turn Up Charlie".
Foto: Nick Wall/Netflix

Charlie offenbart aber ein anderes, bislang ungeahntes Talent: Während bei Davids verwöhnter Tochter Gabrielle noch die geduldigste Nanny eher früher als später das Handtuch wirft, findet Charlie rasch einen Draht zu der Elfjährigen.

Das braucht nicht unbedingt zu überraschen: Immerhin ist Idris Elba (The Wire, Luther) als DJ in der neuen Netflix-Serie Turn Up Charlie in einem Metier und Milieu verankert, denen man gerne ins Erwachsenenalter verlängerte Adoleszenz nachsagt. Mit der altklugen Tochter (Frankie Hervey) seines Freundes trifft er sich sozusagen auf halbem Weg.

Komödiantisches Potenzial

Dass Charlie durch und durch oldschool ist, birgt zusätzliches komödiantisches Potenzial. So besteht der DJ selbst noch beim Sex darauf, dass im Hintergrund nur Schallplatten zu hören sind. Die klängen nämlich "weicher", die von seiner Eroberung gewünschte "Sexy-Time-Playlist" von Spotify ist ihm ein Graus.

Turn Up Charlie bleibt nicht bei solchen Gags stehen. Sie sind vielmehr die dramaturgischen Haken, die man schluckt, bevor man merkt, worum es vor allem geht: Alle Hauptfiguren verfangen sich in einem schwindelerregenden Netz an Abhängigkeiten und Manipulationen. Auch in der Beziehung von Charlie und Gabrielle ist schnell der Wurm drinnen. Die Eltern des Teenagers sehen in ihrem Freund aus alten Tagen nämlich eine günstige Möglichkeit zur Kinderbetreuung und stellen Charlie als Nanny an. Wo hört fortan die Freundschaft auf? Wo beginnt die Geschäftsbeziehung?

Trailer zu "Turn Up Charlie".
Netflix

Diese Fragen stellen sich früher oder später so gut wie alle Protagonisten von Turn Up Charlie. Die Antworten darauf fallen in den acht 30-minütigen Folgen der ersten Staffel oft komisch, manchmal ernüchternd, immer aber erhellend aus. Selten ist nämlich jemand in Wirklichkeit das, was er auf den ersten Blick zu sein scheint. Oder vorgibt zu sein. Charlie etwa bindet sich beim Skypen mit den Eltern in Nigeria immer die Krawatte um und täuscht nicht nur eine intakte Beziehung, sondern auch eine lukrative Business-Existenz als Plattenfirmenboss vor.

Die Chance, die eigene Karriere wieder in die Gänge zu bringen

Das Angebot, als Nanny zu arbeiten, nimmt er nicht nur des Geldes oder der Freundschaft wegen an: Davids Frau Sara (Piper Perabo) verkörpert als erfolgreiche Musikproduzentin und DJane genau das, was er gerne wäre. In einer in realistische Nähe gerückten Zusammenarbeit mit ihr wittert er nicht zuletzt die Chance, die eigene Karriere wieder in die Gänge zu bringen.

Tatsächlich sind sich Charlie und Co ihrer Motive oft gar nicht bewusst oder versuchen, sie vor sich selbst geheim zu halten. Das macht sie zugleich sympathischer und realistischer. Es ist ausgerechnet ein zuerst schmierig wirkender Manager, der sich als am aufrichtigsten entpuppt. Das DJ-Gastspiel, das er für Charlie auf Ibiza anzettelt, sorgt für einige der lustigsten und ernüchterndsten Momente der Serie. Dass diese rundum gelungen ist, mag damit zu tun haben, dass sich Idris Elba mit der von ihm miterfundenen Figur eine gemeinsame Vergangenheit teilt: Der spätere Star-Schauspieler hat sich seine ersten Sporen im Showgeschäft als DJ bei Hochzeitsfeiern verdient. (Karl Gedlicka, 16.3.2019)