Während Morales ein Tänzchen wagt, wird der Abgesang auf ihn schon angestimmt.

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Wie sich die Bilder gleichen. Hier wie da ergriffen Sozialisten die Macht und profitierten von den gewaltigen Bodenschätzen ihres Landes. Verstaatlichungen, Sozialprogramme und bessere medizinische Versorgung sorgten für eine grundlegende Änderung der Gesellschaft. Doch während sich in Venezuela Hungersnot und Chaos breitmachen, sind selbst westlich geprägte Organisationen wie der Internationale Währungsfonds von Bolivien angetan.

Dafür gibt es ausreichend Gründe. Evo Morales hat seit seinem Amtsantritt 2006 das unterentwickeltste Land Lateinamerikas radikal umgedreht. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf hat sich verdreifacht, die Gesundheitsausgaben pro Einwohner machen im Vergleich zu 2005 fast das Vierfache aus, die Kindersterblichkeit hat sich halbiert, und die Armut ist um ein Viertel gesunken. Noch Fragen? Ja! Wie hat das Morales geschafft?

Ähnliche Rezepte

Die Rezepte ähneln denen Venezuelas. Bolivien hat strategisch wichtige Unternehmen in den Bereichen Rohstoffe, Energieerzeugung oder Telekom verstaatlicht, in Spitäler und Verkehrsinfrastruktur sowie in Bildung investiert. Doch während Venezuela für die Sozialprogramme trotz hoher Deviseneinnahmen aus den Ölexporten Kredite aufnahm, hat Bolivien lange Zeit Haushaltsüberschüsse und Devisenreserven angesammelt. Das Wachstum lag in den letzten Jahren nie unter vier Prozent, womit Bolivien im darbenden Lateinamerika deutlich hervorsticht. Man denke nur an die katastrophale Entwicklung in Brasilien oder Argentinien.

Dabei steht Morales dem Wachstum reserviert gegenüber, strebt er doch ein auf Nachhaltigkeit und Bescheidenheit basierende Gesellschaftsmodell an, das "Vivir bien" (auf Deutsch: "Gut leben") genannt wird und eigens in der Verfassung verankert wurde. Konsumzwang, Ausbeutung und Gewinnstreben stellt die "Agenda patriótica" hingegen an den Pranger. Dazu kommt die interkulturelle Ausgestaltung des Systems, wie die Politikwissenschafterin Isabella Radhuber betont.

Gas, Öl, Erze

Das korrespondiert nicht ganz mit den größten Einnahmenquellen des Landes: Gas, Öl, Erze und andere Bodenschätze haben die Staatskassen gefüllt. Doch immerhin brachten Einnahmen schwarze Budgetzahlen, die Verschuldung wurde von rund 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts Anfang der 2000er-Jahre dramatisch reduziert, bis vor wenigen Jahren eine Trendwende eingeleitet wurde. Solide Staatsfinanzen zählten also zu den starken Eckpfeilern des Erfolgsmodells Bolivien

Noch einen großen Unterschied gibt es zu Venezuela: Während Caracas die Mittelschicht schröpfte, ist diese unter Morales erst entstanden. Doch der Rückgang der Rohstoffpreise ab etwa 2014 wirft Schatten auf das Modell Bolivien. Mit dem wieder anwachsenden Haushaltsdefizit steigt die Verschuldung, schrumpfen die Devisenreserven. Infrastrukturprojekte werden zusehends von China finanziert, das zehn Prozent der Auslandskredite vergeben hat – Tendenz steigend. Die Bindung an den Dollar dämpft zwar die Inflation, schwächt aber den Export.

Wachsende Abhängigkeit

Rohstoffe machen 80 Prozent der Ausfuhren aus, "die Abhängigkeit hat sich unter Morales sogar erhöht", erklärt Radhuber. "Das zeigt die Fragilität des Modelles." Ein Ökonomenteam rund um Tim Kehoe sieht das ähnlich. Bolivien muss laufend Dollar verkaufen, um die Bindung an den Greenback aufrecht zu erhalten. Die Reserven haben sich wegen rückläufiger Rohstoffpreise schon halbiert. Wird die Bindung aufgegeben, wertet der Bolivar ab. Die Folgen: Auslandsschulden und Inflation explodieren. Haben die Experten recht, könnte Bolivien eine lange Rezession, möglicherweise sogar der Kollaps drohen.

Zu den wirtschaftlichen Sorgen kommen Vorwürfe der Korruption und des Machterhalts. Womit es doch mehr Ähnlichkeiten zu Venezuela zu geben scheint. (Andreas Schnauder, 14.3.2019)