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Die Kraft der Masse ist trügerisch. Das Kaufverhalten der Konsumenten spiegelt selten ihre moralischen Wertvorstellungen wider.

Picturedesk / Christoph Hardt

Die Dominanz globaler Internetriesen wie Amazon bereitet Unbehagen. Die Mehrheit der Österreicher hält die niedrige Besteuerung digitaler Konzerne für unfair und sieht darin eine Gefahr für den stationären Handel. Am liebsten wird regional bei Nahversorgern gekauft, erhob der Handelsverband in seiner jüngsten Studie. Was die Umfrage freilich ebenso offenbart: Knapp 80 Prozent der Befragten bestellen online regelmäßig bei Amazon.

Konsumenten ereifern sich über wachsende Berge an Plastik. Der Griff zu Glasflasche und Leinensack ist jedoch selten, und der Anteil jener, die ihren Haushaltsmüll nicht mehr trennen, steigt.

Fast jedem Österreicher liegt Tierwohl am Herzen. Fleisch für drei Euro das Kilo findet im Supermarkt dennoch reißenden Absatz. Kaum einer pocht nicht auf menschenwürdige Arbeitsbedingungen und umweltverträgliche Produktion. Am Boom billiger Textilien und Verschleiß der Smartphones, die unter widrigen Umständen erzeugt werden, ändert das wenig. Ob Datenskandal bei Facebook oder Dieselschummelei bei VW: Der Streik der Kunden bleibt aus.

Sich selbst der Nächste

Jeder Kaufakt ist eine politische Handlung, sagen Optimisten und schreiben Konsumenten am Weltverbrauchertag, der heute, Donnerstag, begangen wird, die Macht zu, die Welt zu verbessern. Der Mensch ist ein Egoist und nur sich selbst der Nächste, meinen Pessimisten. Wie viel Verantwortung darf dem Einzelnen wirklich aufgebürdet werden?

Konsumenten versichern immer wieder, wie wichtig ihnen Nachhaltigkeit, Gesundheit, Regionalität, faire Produktion sind, erzählt Kai Hudetz, Chef des Instituts für Handelsforschung in Köln. "Nachher setzen sie sich in den Porsche, fahren 300 Meter zum nächsten Diskonter und kaufen um 1,99 Euro ein Shirt, ohne dabei das Gefühl zu haben, gegen ihre moralischen Prinzipien zu verstoßen. Das Kaufverhalten spiegelt ihre Wertvorstellungen nicht wider."

Da und dort ließen sich nach Skandalen durchaus rückläufige Verkaufszahlen beobachten. Letztlich seien Konsumenten aber extrem gut im Verdrängen. "Wir finden genug Gründe, um uns selbst zu belügen und unser Gewissen zu beruhigen."

Fast jedem liegt Tierwohl am Herzen. Fleisch für drei Euro das Kilo findet im Supermarkt dennoch reißenden Absatz.

Hudetz spricht Kunden Macht nicht ab. Das zeigten allein markante Verschiebungen in der Handelslandschaft: Wer hätte vor Jahren gedacht, dass Biolebensmittel ihrer Nische entwachsen und an jeder Ecke Einzug halten. Auch der Vormarsch großer Onlinekonzerne zulasten stationärer Händler passierte kundengetrieben.

Wunsch und Wirklichkeit

Am Ende des Tages zählen für Konsumenten aber vor allem niedrige Preise und Bequemlichkeit, ist Hudetz überzeugt. Reagiert werde nur dann, wenn ihnen ein Thema persönlich wirklich naheliege. Die eigene Gesundheit sei da in der Regel wichtiger als das Schicksal der Textilarbeiter in Bangladesch. Für die breite Masse laufen Bioeier fair erzeugten Hosen also den Rang ab.

Für Meinungsforscher Christoph Hofinger, Chef des Sora-Instituts, ist eine Gesellschaft, die durch Konsumenten gesteuert wird, die Ausnahme von der Regel – auch wenn sich die Österreicher die Latte rund um ihre Ernährungs- und Einkaufsgewohnheiten hoch legen, wie seine Umfragen belegen. Ein Symbol für die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist für ihn das Smartphone. Fast jeder weiß, dass dafür kostbare Rohstoffe und seltene Erden verwendet werden, dass die Bedingungen, unter denen es produziert wird, so problematisch sind wie die Entsorgung. Dennoch hält dies wenige davon, sich oft schon nach Monaten ein neues Gerät anzuschaffen. Zu groß sind offenbar Nutzen und emotionaler Wert, zu rar sind die Alternativen.

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Die Bedingungen, unter denen Smartphones produziert werden, sind so problematisch wie ihre Entsorgung. Neue Geräte gehen dennoch locker von der Hand.
Reuters

"Der Mensch wacht nicht jeden Tag auf und will ein Gutmensch sein", sagt Peter Schnedlitz, Handelsexperte an der Wiener Wirtschafts-Uni. Sich auf die Abstimmung über Gut und Böse an der Verkaufskasse zu verlassen sei blauäugig. Wiewohl es auch unmöglich sei, neue Produkte gegen den Willen der Konsumenten in den Markt zu drücken. Das bezeuge allein die hohe Rate an Flops. "Wir Konsumenten sind immer Opfer und Täter zugleich." Den Homo oeconomicus, der über alles informiert und erhaben sei, gibt es aus seiner Sicht nicht. Sein Verhalten bleibe immer heterogen und sei daher nicht prognostizierbar. Was Kaufverhalten prägt, seien Convenience, Funktionalität, Selbstverwirklichung, aber auch Verantwortung. "Wer will schon als Umweltschwein dastehen?"

Kognitive Faulpelze

Der Schweizer Wirtschaftspsychologe Christian Fichter gesteht Konsumenten alle Macht der Welt zu. "Sie wissen das, und die Unternehmer wissen es. Sie könnten die Welt ändern, wenn sie nur wollten. Aber warum tun sie es nicht?" Das sei die Frage, die sich alle stellten und mit der sich die Industrie aus ihrer Verantwortung stehle.

Menschen vergessen schnell, sie seien überdies sparsam im Umgang mit Energie, sagt Fichter und nennt sie kognitive Faulpelze. Damit sie nachhaltiger agierten, müsse ihnen der Handel Erleichterungen bieten, müssten gute Produkte einfacher verfügbar sein. Die Wirtschaft aber sei anfällig für Konsumenten, die keinerlei Wert darauf legen, ob sie mit Erdbeeren im Winter und schweren SUVs in der Stadt dem Klima schadeten. "Hier versagen die Märkte."

Gefühl der Ohnmacht

Ein großer Teil des menschlichen Verhaltens ist gelernt, automatisiert und verinnerlicht. Wer es ändern will, stößt auf unzählige Hürden, erläutert Bernadette Kamleitner, die das Institut für Konsumforschung an der Wirtschafts-Uni Wien leitet. Die Menschen fragten sich, wie viel sie als Einzelne ausrichten können, ob sie überhaupt dafür zuständig sind, ob sich der Aufwand lohnt und ob es ihnen wirklich so wichtig ist. All das, gepaart mit dem Hang zu kurzfristigem Denken, ende meist in Resignation.

Gerade in Österreich sei man verwöhnt: Die Menschen verlassen sich darauf, dass der Staat alles regelt. Und sie haben sich daran gewöhnt, als Konsument König zu sein, glaubt Kamleitner. Sich gesellschaftlich zu engagieren werde nicht eingefordert. "Man geht gern den leichteren Weg."

Kein rationaler Kunde

Vor allem, wenn die Welt rundum immer komplexer wird. "Wir sind überstimuliert, viele natürliche Filter fehlen." Die Idee des rationalen Konsumenten, der fähig sei, über alles gut informiert zu entscheiden, spieße sich an der Realität, in der die Fülle an Informationen für den Einzelnen nicht zu bewältigen sei. "Allein was den Schutz der Privatsphäre betrifft: Wer ihn ernst nimmt, hat nichts anderes mehr zu tun."

Um Massen zu mobilisieren, darf nicht der Einzelne, sondern müssen ganze Gruppen angesprochen werden, sagt Kamleitner und zieht das Beispiel des Recycelns heran. "Es kam zu mehr Engagement, als damit in den Schulen begonnen wurde."

Wer Menschen zum Mülltrennen motivieren will, sollte möglichst früh damit beginnen.
Foto: APA

Auch Gabriele Zgubic, Expertin in der Arbeiterkammer, ortet beim Konsumenten Überforderung und "ein Gefühl der Ohnmacht. Man darf sich von ihm nicht zu viel erwarten." Sie erinnert an die Lebensmittelverschwendung, bei der Konsumenten gern in die Pflicht genommen werden. "Aber auch Landwirte, Industrie und Handel gehören zur Verantwortung gezogen. Es ist ein Zusammenspiel aller Akteure einer Gesellschaft."

Zgubic gibt auch zu bedenken, dass Onlinehändler Amazon, den Gewerkschafter aufgrund von Dumpinglöhnen seit Jahren bestreiken, äußerst kundenfreundlich agiere. Der Konzern gewährt bei Retouren etwa weit komfortablere Konditionen als stationäre Geschäfte. "Es ist verwegen zu erwarten, dass einzelne Konsumenten gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen handeln. Doch was für sie vernünftig erscheint, dient nicht immer der Gesamtwirtschaft."

David gegen Goliath?

Welches Gewicht geben Non-Profit-Organisationen der Zivilgesellschaft? Größer, als er es selber wahrhaben wolle, aber dennoch enden wollend, beschreibt Nunu Kaller von Greenpeace die Macht des Konsumenten. "Es ist ein Kampf David gegen Goliath. Aber deswegen darf David nicht aufgeben." Klagen des Handels, der Kunde kaufe wenig sogenannte gute Produkte, nerven sie. "Klar greift er nicht zum Mehrwegbeutel um 1,50 Euro, wenn daneben das Plastiksackerl gratis ist. Er ist ja nicht päpstlicher als der Papst." Wer Convenience biete, sitze eben auf einem sehr langen Ast.

Sozial verträglich produziert oder nicht? Die Kaffeebohne als Spielball der Wirtschaft.
Afp

Es sei eine Zumutung, was Konsumenten alles umgehängt wird, ärgert sich Lisa Kernegger von Global 2000. Auch sie bleibt beim Kunststoff: Um zu verstehen, welche Stoffe hormonell wirksam sind, welche Putzmittel Mikroplastik enthalten, brauche es Fachwissen. "Man kann nicht über jeden Einkauf eine Diplomarbeit schreiben."

Für Andrea Reitinger von der EZA Fairer Handel ist die Frage, was man als Einzelner gegen Ungerechtigkeit tun kann, zu kurz gegriffen. Klar sei es ein Leichtes, den Hebel bei der individuellen Verantwortung anzusetzen. Und es sei auch nicht egal, wie sich der Einzelne verhält. "Denn er ist ja nicht nur Konsument, sondern auch Bürger." Das zeige das Beispiel der jungen schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg.

Spiel der Kräfte einzäunen

Damit einzementierte Strukturen ausgehebelt werden, brauche es aber Druck von vielen Seiten. "Die Verantwortung für die Gestaltung der Wirtschaft nur den Konsumenten umzuhängen ist einfach zu billig. Darauf reden sich Unternehmen aus, die es selbst in der Hand hätten, Produktionsketten nachhaltiger und sozialer zu gestalten."

Es könne nicht sein, dass sich nur Konsumenten fragen müssten, ob ihr Kaffee fair gehandelt sei, oder die Paradeiser, die sie essen, unter menschenwürdigen Bedingungen angebaut wurden, sagt Reitinger. Es könne nicht sein, dass nur diese sich abstrampeln und über Gütesiegel informieren, und sich wundern, dass diese nicht alle Probleme lösen. "Und es kann auch nicht sein, dass sie es sind, die bei Umweltzerstörung zwischen ja oder nein oder Ausbeutung zwischen ja oder nein wählen sollen." Abgesehen davon, dass vielen die finanzielle Möglichkeit fehle, über ihre Kaufkraft die Welt zu verbessern. "Wir müssen uns fragen, wer die Regeln macht, und dort ansetzen. Die Politik muss das Spiel der Kräfte einzäunen." (Verena Kainrath, 14.3.2019)