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Süßer Vogel Jugend. Modern Talking: Thomas "Haare schön" Anders mit seiner berühmten Nora-Kette, Dieter Bohlen mit fescher Steffi-Werger-Frisur. Die 1980er-Jahre waren hart.

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In einer besseren Welt sollte es diese Musik nicht geben. Allerdings ist unsere knapp bemessene Zeit auf dem Planeten nicht unbedingt als Komfortzone angelegt.

Dieter Bohlen. Ältere Leserinnen erinnern sich an Verona Feldbusch und Dieters in seinen unsterblichen Memoiren "Nichts als die Wahrheit" verzeichneten "Penisbruch". Heutige Teenager memorieren ihre traumatische Kindheit am Wochenende vor dem Fernsehapparat und seine großen Jahre im Zeichen von Gift, Galle und Gachblond seit den Nullerjahren als Juror bei der Casting-Show "Deutschland sucht den Super-GAU".

Ich persönlich musste in den 1980er-Jahren mit einer Vinylplatte von Modern Talking im
Nebenzimmer aufwachsen. Sie eierte drüben bei der Schwester aus dem Elternhaus hinein nach Oberösterreich und strahlte bis hinüber zu den Deutschen im benachbarten Bayern aus. "You can win if you want, if you want you can win ..." Und jetzt der Chor der angestochenen Säue: "Aaaaah-ah!" Tut mir leid, bei uns redet man so. Falsett rächt sich übrigens. Immer. Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit bezüglich des Verursacherprinzips.

Mollige Akkordfolgen

Modern Talking machten die Welt mit geschätzten 150 Zigtrillionen verkauften Tonträgern und einem bis heute ungebrochenen Ruhm bei Geburtstagsfeiern von russischen Oligarchen und in den ausverkauften Fußballstadien ehemaliger Sowjetstaaten und unsicherer Herkunftsländer ab 1984 zu einem definitiv schlechteren Ort. 1984. George Orwell. "Brother Louie Louie Louie, he's only looking to me." Ich sage es nur.

Gar nicht lange rumtun: Wir spielen schnell das für das gesamte Schaffen von Dieter Bohlen als Blaupause fungierende Lied mit der "molligen" Akkordfolge G-Am-Dm-G-Am – und so weiter, dann wissen auch die Leute mit der Gnade einer späten Geburt, was hier Sache ist.

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Dieter Bohlen, der Mann, der tatsächlich so aussieht, als ob die bei Talkshows mit irgendwelchen Betroffenen oder Bewohnern von Shopping-Malls in deutschen Ballungsräumen beliebte Modemarke Camp David aus dem brandenburgischen Städtchen Hoppegarten extra für ihn und die Pfirsichspritzer-Discos dieses Planeten erfunden worden wäre, hat jetzt eines verkündet: Er wird sein berüchtigtes, einst im Zeitalter des Haarsprays und der Schulterpolster gemeinsam mit Sänger Thomas Anders mindestens gegen den guten Geschmack vorrückendes Duo Modern Talking wiederbeleben!

Allerdings hält sich der exklusiv für die deutsche "Bild"-Zeitung betriebene Aufwand eines möglicherweise nicht einmaligen Comeback-Konzerts in Berlin am 31. August durchaus in Grenzen. Wer Modern Talking damals noch live erleben durfte: Es ist ziemlich egal, wer auf der Bühne steht. Eigentlich ist es Wurst, ob überhaupt einer oben steht. Die Musik verspielt sich eh nicht. Sie kommt von der bewährten Begleitband USB-Stick.

Big in Tschenstochau

Thomas Anders, der ursprüngliche Sänger mit dem Blick, der in den letzten Lebenstagen unserer unverheirateten Onkels und Tanten dazu in der Lage ist, eine Testamentänderung zu bewirken, geht seit Jahrzehnten solo seinem Tun nach. Stichwort: big in Tschenstochau und groß im ZDF-Fernsehgarten. Deshalb macht das Dieter der Einfachheit halber und der ganzen Kohle wegen allein. Der Gesang des Eunuchen, das Alleinstellungsmerkmal dieser einst großen deutschen Band im Zeichen der Nachstellung von Italo-Disco der 1970er-Jahre, kommt auch ohne das Zutun von Thomas aus. Den ganzen Scheiß mit der Fließbandproduktion, dem Falsett und den Ballaballa-Texten hat schon damals der Dieter allein gemacht. Und jetzt das Lied mit Geronimo und seinem Cadillac! Ach, ist ja egal, nehmen wir das andere.

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(Christian Schachinger, 14.3.2019)