Neapolitaner sind sehr stolz darauf, dass die Pizza ihrer Meinung nach aus ihrer Stadt kommt. Das mag eine etwas verkürzte Darstellung sein, Pizza ist aber unbestreitbar allgegenwärtig und ein ganz wesentlicher Teil der neapolitanischen kulinarischen Kultur. Ich hatte vergangenen Jahr mehrere Monate Zeit, mich hier durchzukosten. Was folgt, ist ein kleiner Guide zu Neapels Pizzakultur – und einige Empfehlungen, wo meiner Meinung nach die besten Pizzen dieser an Pizzen reichen Stadt zu finden sind.

Das soll der Auftakt einer kleinen Städte-Best-of-Serie sein, die in den kommenden Monaten auf meiner Website und an dieser Stelle entstehen soll.

Pizzeria Pepe in Grani
Foto: Tobias Müller

Neapels Pizzerien werden weltweit als Vorbilder zitiert, trotzdem sind sie hier recht anders als anderswo. Das ist ein bisschen so wie mit chinesischem Essen: Jedes Land hat seine eigene Version, und alle sind sie anders als in China. Das Erste, was sie von anderen Orten unterscheidet, ist der Preis: Die Pizza ist meistens spottbillig. Eine Margherita zum Mitnehmen beziehungsweise gefaltet, sodass man sie im Gehen essen kann, ist hier für einen Euro fünfzig zu haben, im Lokal kostet sie sehr selten mehr als fünf, und die teuersten Kreationen durchbrechen nur gelegentlich die magische Zehn-Euro-Marke.

Foto: Tobias Müller

Hier drei Dinge, die Neapels Pizzakultur besonders machen:

1) Pizza in Neapel wird nicht nur gebacken, sondern auch frittiert.

Die Pizza Fritta ist ein ganz wesentlicher – manche sagen: ursprünglicher, älterer – Bestandteil des Angebots einer jeden Pizzeria, und es gibt Lokale und mobile Marktstände, die nichts anderes anbieten. Eine Pizza Fritta ist meistens, aber nicht immer eine "Ripiena" (also das, was bei uns Calzone heißt, gefaltet und gefüllt) und erinnert ein wenig an ein gefülltes Langos. Traditionell wird sie in Schweineschmalz gebacken, heute kommt, wie fast überall, eher Öl zum Einsatz. Grammeln und Speck sind aber, zusammen mit Ricotta, immer noch eine der beliebtesten Füllungen – eine Reminiszenz an die Zeit, als sie ein schnelles Essen für die schwer körperlich arbeitenden Armen der Stadt war.

In manchen Fällen wird sie nicht nur gefüllt und frittiert, sondern danach auch noch zusätzlich belegt und im Ofen gebacken. Meine erste Pizza, die ich jemals in Neapel essen durfte, war ein solches Ungeheuer: mit Grammeln und Ricotta gefüllt, mit Paradeiser und mehr Käse belegt. Das war, vorsichtig ausgedrückt, sehr sättigend, aber doch ziemlich geil. Ich habe es trotzdem seither nicht mehr bestellt.

2) Schon vor der Pizza wird in Neapel fast immer Frittiertes gegessen.

Jede neapolitanische Pizzeria (eigentlich fast jedes neapolitanisches Lokal) hat diverse frittierte Snacks auf der Karte. Ich mag meist kein frittiertes Essen, aber nach ein bisschen Probieren muss ich sagen: Die Neapolitaner können das fast so gut wie die Japaner. Am beliebtesten sind wohl Frittatine, frittierte Pastabällchen mit Béchamel, gelegentlich mit extra Käse oder Fleisch gefüllt, Pasta Cresciuta, im Grunde kleine Stücke frittierter Pizzateig, gesalzen und in Meernähe oft mit Seegras gewürzt, Arancinas, frittierte Reisbällchen, oder Crocchette di Patate, frittierte Kartoffelkroketten.

Foto: Tobias Müller

Die Fritti dürften ursprünglich vom Vortag übriggebliebener Reis oder Pasta gewesen sein, die etwas gewürzt, zu Kugeln geformt, in Brotbröseln (altem Brot) gewälzt und im heißen Schmalz recycelt wurden – ganz ähnlich wie der asiatische Gebratene Reis oder die Chilaquiles der Mexikaner. Deswegen werden sie wohl auch gern in der Früh gegessen: Sie sind nicht nur Pizzavorspeise, sondern auch der erste salzige Snack, den sich Neapolitaner nach ihrem süßen Frühstück genehmigen, und überbrücken so ab elf die Zeit bis zum Mittagessen, das meist erst um zwei gegessen wird. Wie in Japan Tempura werden auch hier Fritti gern auf einem kleinen Stück Papier serviert. Wenn es kaum Ölflecken hat, ist das ein Zeichen der Qualität.

3) Pizza ist deutlich variantenreicher als anderswo.

Sicher, auch bei uns gibt es saisonale Angebote und ungewöhnliche Kreationen, die Varianz und die Vielfalt des Angebots sind in Neapel aber doch deutlich anders. Saisonale Pizzen gibt es überall (im Winter vor allem mit Friarielli, dem besten aller Kohlgewächse, belegt, dazu vielleicht ein anderes Mal mehr), und jeder Laden hat seine eigene Signature-Kreation. Im Gegensatz zu anderen Ländern gelingen auch seltsam anmutende Experimente hier meistens – eine meiner liebsten Pizzerien etwa füllt Ricotta in den Rand, eine andere bietet großartige Oktopus-Pizza an. Es zahlt sich also auch für gestandene Margherita-Puristen aus, hier einmal eine Ausnahme zu machen und etwas Ungewöhnlicheres zu bestellen.

Wohin?

Die meiner Meinung nach allerbeste Pizza der Welt, eine Liga über allen anderen, gibt es leider nicht in Neapel, sondern 45 Autominuten davon entfernt in dem kleinen mittelalterlichen Dorf Caiazzo. Dort hat Franco Pepe seine Pizzeria Pepe in Grani aufgesperrt, einen pompösen Laden in einem uralten Steinhaus. Franco betreibt ein eigenes "Pizzalabor" und lässt seinen Teig tatsächlich ausschließlich von Hand kneten, belegt wird er nur mit besten, oft lokalen Zutaten, etwa den berühmten Caiazzo-Oliven. Das Ergebnis ist, ich kann es nicht anders sagen, spektakulär. Eine Welt für sich. Pizza, wie Sie sie noch nie gegessen haben.

Frittierte Pizza.
Foto: Tobias Müller

Ein Teig, der wunderbar knusprig und gleichzeitig wolkig-leicht ist, belegt mit genialen, richtig gut abgestimmten Geschmackskombinationen. Wenn Sie die Reise antreten, empfehle ich schwer das Pizza-Tasting-Menü. Das klingt affektiert, hat aber den Vorteil, dass Sie ganz viele Stücke von verschiedenen Pizzen testen können. Und weil sie nacheinander serviert werden, ist Ihre Pizza bis zum letzten Bissen heiß. Reservieren, früh kommen oder sehr lange warten.

Foto: Tobias Müller

Meine Nummer zwei ist Da Attilio, ein Traditionsbetrieb in Neapels Innenstadt. Die Spezialität des Hauses sind achteckige Pizzen mit Ricotta in den Spitzen des Teigrands.

Foto: Tobias Müller

Wer es gern etwas uriger hat, ist in der Cantina del Gallo wunderbar aufgehoben. Ein gemütliches Beisl im Arbeiterviertel Sanità mit sehr guten Pizzen (Oktopus!) und herausragenden Fritti – die Reisbällchen mit Käse sind ein Traum.

Und wenn Sie einmal mit der Schwiegermutter auf eine Pizza gehen wollen: Gorizia 1916 ist eine Institution mitten im gutbürgerlichen Vomero, dem Währing Neapels. Bei den Neapolitanern sehr beliebt, aber von mir noch nicht getestet: 50 Kallo in Mergellina.

Zum Schluss ein Wort der Warnung: Die Qualität der Pizza in Neapel scheint in indirekter Proportion zum Ruhm der Pizzeria im Ausland zu stehen. Vor Neapels mit Abstand berühmtester Pizzeria, Sorbillo, stehen regelmäßig hunderte (sic) Menschen an, auch im Regen, und das für eine Pizza, die meiner Meinung nach in jeder x-beliebigen Pizzeria besser zu bekommen ist. Die Pizza in der ebenfalls gehypten Trei Santi ist gut, aber sicher nicht besser als bei Attilio und definitiv nicht die Schlange wert. Und diese kundige Dame warnt auch vor Da Michele, die ich persönlich seit Jahren nicht mehr probiert habe. Kurz: Halten Sie sich besser von den berühmten Läden fern. (Tobias Müller, 17.3.2019)

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