Solange Knowles will als Entscheiderin wahrgenommen werden: Dieser Idee opfert sie sogar die Eingängigkeit.

Foto: Sony Music

Eine breitere Öffentlichkeit wurde auf die Existenz von Solange Knowles 2014 aufmerksam, als sie ihrem Schwager, Rapper Jay Z, nach der Met-Gala in einem Lift ein paar Prügel antrug. Das Securityvideo des Vorfalls machte fleißig die Runde. Solange war plötzlich nicht mehr nur die kleine Schwester von Superstar Beyoncé, sondern ging auch als aggressive Schreckschraube in die Internetannalen ein.

So wurde die Musikerin, die sich stark mit Fragen der Repräsentation der Black Community beschäftigt, selbst im Sinne des vermeintlichen Stereotyps der "Angry Black Woman" abgestempelt – ein rassistisches Vorurteil, das die schwarze Frau als besonders aufbrausend zeichnet.

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Genug Grund, um wütend zu sein. Ihr 2016, kurz vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, erschienenes Album A Seat at the Table verhandelte Rassismus, kulturelle Aneignung, Spiritualität, Selbstfindung und Identität – sowohl als Individuum als auch als Teil einer Minderheit. Wer darf was, wem gehört was, wen trifft welche Kritik härter? "I got a lot to be mad about" sang sie auf ihrem musikalischen Manifest. Lust, sich zu rechtfertigen hatte sie schon keine mehr. Was soll man noch erklären, wenn Menschen wegen ihrer Hautfarbe auf der Straße erschossen werden?

Die 1986 in Houston geborene Solange Piaget Knowles, die immer gern in den Schatten der großen Schwester gestellt wurde, fand endlich als eigenständige Künstlerin Anerkennung. Und wie. Im Gegensatz zu anderen gelang es ihr, ihre alleinige Autorinnenschaft zu kommunizieren. Sie schaffte es, als Musikerin, Label-Chefin, Videomacherin – mit anderen Worten: Entscheiderin – wahrgenommen zu werden.

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Eine einzige lange Nummer

Auch der verdiente Erfolg von A Seat at the Table änderte an Solanges erfrischender Widerspenstigkeit nichts. Auf When I Get Home, das man als lose Ideensammlung zum Heimatbegriff im Allgemeinen bezeichnen könnte, entzieht sie sich den Regeln der Musikindustrie noch stärker als auf dem Vorgänger. Das natürlich ohne Vorankündigung erschienene Album ist eigentlich eine einzige 39 Minuten lange Nummer, ein Plädoyer für das Album als Einheit.

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Stark in der Tradition der in Houston wurzelnden Chopped-and-screwed-Technik stehend, einer Art, Hip-Hop zu verlangsamen, vermengt sie ihren avantgardistischen R-'n'-B-Entwurf mit Elementen aus Jazz und Soul. Die Herangehensweise erinnert an das unlängst erschienene Album von Earl Sweatshirt Some Rap Songs – auch wenn sich die Endprodukte unterscheiden.

Das Werk will im Ganzen gehört werden. Bis sich ein Verständnis, ein Gefühl dafür einstellt, muss das wohl an die 15-mal passieren. Wem dazu die Geduld fehlt, der ist nicht der Adressat. So ähnlich würde es Solange vielleicht formulieren, die schon lange damit abgeschlossen hat, es einem recht zu machen. (Amira Ben Saoud, 15.3.2019)