Ausschnitt aus einer Comic-Seite von "Le Monde diplomatique", gestaltet von Lukas Verstraete.
Foto: Le Monde diplomatique

Er ist so etwas wie der Urgroßvater der österreichischen Comicszene: Alfred Kubin (1877 – 1959), Meister des Grotesken, Fantastischen und Monströsen, war Illustrator und Schriftsteller und verband schon früh Text und Bild. Etwa in seinem einzigen Roman "Die andere Seite" (1908), in dem er eine Reise in die fiktive Traumstadt Perle beschreibt – ein in jeder Hinsicht einschneidendes Werk in Kubins Schaffen.

In dem Zyklus "Phantasien im Böhmerwald" (1935), in dem er Sagen und Mythen aus den Wäldern nahe seines letzten Wohnsitzes nahe Schärding verarbeitet, ist der Text gleich direkt in die Zeichnungen verpackt. Originalblätter aus beiden Werken bilden den Ausgangspunkt für ein ungewöhnliches Tête-à-tête Kubins mit acht zeitgenössischen Comickünstlerinnen und -künstlern aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, derzeit zu sehen im Rahmen des Nextcomic-Festivals in Linz.

Alfred Kubin trifft Comickünstler

Die Ausstellung "Es zog mich durch die Bilder..." in der Landesgalerie Linz (bis 25. August) zeigt, wie gut Kubin in die Welt der Comics und Graphic Novels passt. Skurrile, düstere, alptraumhafte und ungeheuerliche Motive finden sich schließlich auch in den Werken von Nicolas Mahler, Anke Feuchtenberger, Atak, Thomas Ott, Edda Strobl und anderen, die zum Teil eigene Kubinhommagen anfertigten.

Die dunklen Schatten, die sich aus Kubins Kreuz- und Netzschraffuren herausschälen, scheinen sich in Nicolas Mahlers schlaksiger, tiefschwarzer Figur aus dessen Jelinek-Adaption "Der fremde!" zu spiegeln, Spinnen- und anderes Getier aus Kubins Bilderwelt findet sich auch in Brigitta Falkners ornamentalem Parasiten-Kosmos "Strategien der Wirtsfindung" wieder. Grautöne, Abgründe und Irritationen sind in Kubins Arbeiten ebenso präsent wie in den Comics von Franz Suess ("Leck") und Thomas Ott, der lebensgroß die inneren Organe eines Mannes und einer Frau offenlegt.

Der Schweizer Thomas Ott kratzt abgründige Geschichten aus Schabkarton.
Foto: Thomas Ott / Edition Moderne, Zürich

Die Landesgalerie ist nur der jüngste Zuwachs des Nextcomic-Festivals, das nun seit zehn Jahren an mehreren Locations in Linz und Umgebung Comics als Schnittfläche zwischen Kunst, Literatur, Film und Performance zelebriert, heuer unter dem Stichwort "Reisen", oder offiziell: "Next Stop Linz". Traditionell sind Kulturinstitutionen wie das Ars Electronica Center, das Stifterhaus, die Kapu, aber auch die Grottenbahn und etliche andere Standorte in Linz, Traun, Steyr und Steyrermühl eingebunden.

Szene-Größen und Newcomer

Dreh- und Angelpunkt von Nextcomic ist das Festivalzentrum im OÖ Kulturquartier im Linzer Ursulinenhof, wo auf drei Etagen Ausstellungsfläche Comics in aller Pracht zur Geltung kommen können. Mit am Start sind heuer Szene-Größen wie der deutsche Comicautor Reinhard Kleist, der Originale aus seiner neueste Graphic Novel-Bio "Nick Cave – Mercy on me" (Carlsen Verlag) präsentiert. Albert Mitringer zeigt Originale aus seiner Weltraum-Odysee "Lila" (Luftschacht), eingebettet in eine großflächige Wandmalerei. Auch die junge Wiener Comiczeichnerin Verena Loisel aka Nudlmonster ("Peršmanhof") hat einen Raum gestaltet, ebenso wie Sheree Domingo.

Die Berliner Künstlerin ist bereits seit Anfang Februar als Artist in Residence in Linz und nimmt in ihren Bildern und Comics die Natursehnsucht von Großstädtern aufs Korn – "die ihren Ausdruck in Zimmerpflanzen findet", wie Sheree Domingo sagt. Was dann oft folgt, sieht man in ihrer Serie "Tragödie der sterbenden Zimmerpflanzen". In einer anderen Reihe verbildlicht sie den vielzitierten "Einklang mit der Natur" und die angebliche Gefühlslage von Pflanzen mit einem Zimmerpflanzenyoga und Zeichnungen einer "überemotionalen Elefantenfußpalme" oder einer "missverstandenen Monstera deliciosa".

Sheree Domingo widmete sich als Artist in Residence in Linz unter anderem der Beziehung zu Zimmerpflanzen.
Foto: kri

Das von Katharina Acht kuratierte Festival ist auch ein Substrat der Bandbreite des Mediums: Vom Animationsfilm über das Daumenkino zum Augmented Comic, das per App zum Leben erweckt werden kann, vom Character Design über das Kinderbuch zur Installation, ist alles drin. Auch der gute alte Zeitungscomic, der von der deutschen Ausgabe von "Le Monde diplomatique" jede Woche auf der letzten Seite gehegt und gepflegt wird. Wie die bei Nextcomic ausgestellten Seiten aus dem neuesten Le Monde-Sammelband "Fußball, Marx und Tränen" (Reprodukt) zeigen, ist das alles andere als verstaubt, sondern ein Fixpunkt für die internationale Comicavantgarde.

Ein Hingucker sind auch die feministischen Cartoons der türkischen Karikaturistin Ramize Erer, die schonungslos Missbrauch und Sexismus thematisiert – und ja, dabei richtig witzig ist.

Improvisation und Herzblut

Als das Nextcomic-Festival 2009 zum ersten Mal stattfand, war es ein "Side-Event" der Veranstaltungen zur europäischen Kulturhauptstadt Linz. Aus der Off-Szene entstanden und mit viel Improvisation und Herzblut betrieben, hat sich das Festival mittlerweile als wichtige Plattform der deutschsprachigen und speziell österreichischen Comicszene etabliert.

Alfred Mitringer gestaltete rund um sein Comic "Lila" eine ganze Wand.
kri

"Vor zehn Jahren hat jeder geglaubt, da tauschen ein paar Verrückte Lucky Luke-Hefte aus", sagt Nextcomic-Gründer und Programmbeirat Gottfried Gusenbauer, mittlerweile Leiter des Karikaturmuseums Krems. In den vergangenen Jahren habe sich einiges geändert: "Es gibt einen Boom in der Bedeutung von Comics – in der Kunst, im Unterricht, bei der Vermittlung von sperrigen Themen." In den Verkaufszahlen würde sich das aber kaum niederschlagen, meint Gusenbauer. Auch Nextcomic verzeichne konstante Zahlen von rund 10.000 Besuchern, bei länger laufenden Sonderausstellungen bis zu 25.000.

Großevents wie die Vienna Comic Con und die Vienna Comix, die hauptsächlich im Zeichen von Superhelden und Merchandising stehen, sieht Gusenbauer nicht als Konkurrenz. "Weil das alles zum Medium Comic gehört." Immerhin: Der Graphic Novel-Trend hat dazu geführt, dass das gedruckte Buch an sich wieder an Wert gewinnt – gerade bei Comicbüchern sind bibliophile, aufwändig gestaltete Bände Usus. Ein weiterer Nebeneffekt der Graphic Novel-Welle ist ein Anstieg des Frauenanteils. Gusenbauer: "Die Zukunft des Comics ist weiblich." Und wird dadurch wohl noch ein wenig vielfältiger. (Karin Krichmayr, 15.3.2019)

Infos:
Nextcomic-Festival 2019
, bis 23. März in Linz, Traun, Steyr und Steyrermühl.
Festivalzentrum: OÖ Kulturquartier, OK-Platz 1, 4020 Linz
Suuuper Sonntag mit Vorträgen, Workshops, Signierterminen, Kinderprogramm etc.: 17. März

Alfred Kubin (hier "Das Maul" um 1900 aus der Sammlung der Landesgalerie Linz) ist längst Inspiration für Comiczeichner.

Foto: Eberhard Spangenberg, München / Bildrecht Wien 2019

Anke Feuchtenberger gehört zu den einflussreichsten Comickünstlerinnen im deutschsprachigen Raum.

Foto: Anke Feuchtenberger

Der in Wien lebende Comiczeichner Franz Suess hat einen Hang zum Düsteren.

Foto: Franz Suess

Blick in die Ausstellung "Es zog mich durch die Bilder..." in der Landesgalerie Linz.

Foto: Oö. Landesmuseum, A. Bruckböck

Reinhard Kleist ist mit seiner Comic-Bio über Nick Cave einer der Stargäste bei Nextcomic.

Foto: Reinhard Kleist

Ramize Erer ist eine türkische Karikaturistin.

Foto: Ramize Erer

Torben Kuhlmanns "Maulwurfstadt" ist in der Grottenbahn am Pöstlingberg bei Linz zu sehen.

Foto: Torben Kuhlmann