Die israelische Luftwaffe griff in der Nacht auf Freitag Ziele im Gazastreifen an, nachdem erstmals seit dem Gazakrieg 2014 Raketen auf Tel Aviv abgefeuert wurden.

Foto: MAHMUD HAMS / AFP

Tel Aviv – Es dauerte keine sechs Stunden, dann war der Schuldige ausgemacht: Die Hamas stecke hinter dem Raketenangriff auf Tel Aviv, meldete die israelische Armee in der Nacht zum Freitag, kurz nachdem sie mit Vergeltungsschlägen begonnen hatte.

Unter anderem mit Kampfjets beschossen die Streitkräfte rund 100 militärische Ziele der Terrororganisation im Gazastreifen, darunter Verwaltungsgebäude, Raketenfabriken und militärische Trainingsanlagen. Das Gesundheitsministerium in Gaza meldete mindestens zwei Verletzte.

Am Freitag schien sich die Lage wieder beruhigt zu haben – mittlerweile geht die israelische Armee sogar davon aus, dass der Angriff auf Tel Aviv unbeabsichtigt war: Die Raketen könnten während Wartungsarbeiten aus Versehen abgefeuert worden sein, berichteten israelische Medien.

Roland Adrowitzer (ORF) zu dem Angriff auf Tel Aviv.
ORF

Für die Menschen in und um Tel Aviv spielte der Hintergrund des Abschusses am Donnerstagabend aber keine Rolle, als unerwartetes Sirenengeheul sie aus ihrer abendlichen Routine riss: Ausgerechnet in Richtung der bevölkerungsreichen Metropole am Mittelmeer flogen die Raketen aus dem Gazastreifen. Kurz darauf war ein lauter Knall zu hören. Der Abfangschirm "Eiserne Kuppel" wurde aktiviert, holte aber keine der beiden abgefeuerten Raketen vom Himmel, teilte die Armee kurze Zeit später mit. Die Geschoße flogen an Wohngegenden vorbei, verletzt wurde niemand. Zur Sicherheit ließ der Bürgermeister von Tel Aviv, Ron Huldai, die Bunker der Stadt öffnen.

Tabuzone Tel Aviv

Diese sind ansonsten verschlossen – denn Angriffe auf Tel Aviv sind ungewöhnlich: Das bisher letzte Mal war die Stadt mit ihren mehr als 400.000 Einwohnern während des Gazakriegs 2014 zum Ziel militanter Gruppen geworden. Während die Bewohner der kleineren Dörfer und Städte rund um den Gazastreifen regelmäßig in die Schutzräume laufen müssen und in den vergangenen Monaten auch mit an Ballonen befestigten Brandsätzen konfrontiert waren, die über die Grenze geflogen waren, gilt die Region rund um Tel Aviv als Tabu.

Selbst der Sprecher der israelischen Armee, Ronen Manelis, zeigte sich im israelischen Fernsehen überrascht: Man habe im Vorfeld keine Informationen über den Beschuss gehabt und müsse zunächst herausfinden, wer hinter dem Angriff stecke. Sowohl die im Gazastreifen herrschende Hamas als auch die Gruppe Islamischer Jihad leugneten, etwas damit zu tun zu haben. Aus dem Innenministerium der Hamas hieß es Medienberichten zufolge sogar, der Raketenbeschuss stehe "abseits des nationalen Konsenses", man werde Maßnahmen gegen jene ergreifen, die dahintersteckten. Ungewöhnliche Worte einer Terrorgruppe.

Mehrfacher Alarm

Auf die Vergeltungsschläge der israelischen Armee reagierte die Hamas in der Nacht zum Freitag gleich dreimal; und dreimal ertönte im Süden des Landes Raketenalarm. Insgesamt neun Raketen schoss die radikalislamische Gruppe nach Angaben der Armee auf das israelische Grenzgebiet, sechs davon wurden von der Eisernen Kuppel abgefangen. Verletzt wurde niemand.

Dabei schien es, dass Israel und die Hamas derzeit um Ruhe bemüht sind: Während des Angriffs auf Tel Aviv am Donnerstagabend befand sich eine ägyptische Delegation im Gazastreifen, um einen langfristigen Waffenstillstand zu vermitteln.

Seit dem Beginn der gewaltsamen Gaza-Proteste entlang des Grenzzauns am 30. März 2018 kam es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Eskalationen. Im vergangenen Sommer spitzte sich die Lage mehrmals dramatisch zu, ein Krieg konnte aber jedes Mal abgewendet werden. Zuletzt wurden am vergangenen Wochenende Geschoße auf den Süden Israels abgefeuert, die Armee reagierte mit dem Beschuss von Hamas-Stellungen.

Die bisherigen Reaktionen von israelischer Seite sowie vonseiten der Hamas weisen darauf hin, dass derzeit niemand Interesse an einer ernsthaften Eskalation hat. Die Gefahr aber bleibt: Auch 2014 kam es zur Operation "Fels in der Brandung" – obwohl beide Seiten beteuert hatten, kein Interesse an einem Krieg zu haben. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 15.3.2019)