Zur Person: Gregor Schusterschitz (48) ist Österreichs Botschafter in Luxemburg und seit Mai 2017 österreichischer Brexit-Delegierter.

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Brexit-Gegner in London.

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STANDARD: Seit 2017 sind Sie Österreichs Vertreter in der Rats-Arbeitsgruppe Brexit. Hätten Sie zu Beginn gedacht, dass im März 2019 noch so viel Unsicherheit herrscht?

Schusterschitz: Es war klar, dass das ein extrem schwieriger Prozess wird. Immerhin geht es um eine der wichtigsten außenpolitischen Entscheidungen Großbritanniens seit dem Zweiten Weltkrieg. Es zeichnete sich auch früh ab, dass nur sehr selten britische Positionen eingebracht werden. Sie wissen nicht, was sie wirklich wollen, es gibt keinen gesellschaftlichen Konsens darüber, wie man das Ergebnis des Referendums umsetzen will. Aber dass es zwei Wochen vor dem geplanten Austrittsdatum immer noch keinen fixen Plan gibt, das hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

STANDARD: Wo sehen Sie die Ursachen dieser Entwicklung?

Schusterschitz: Die britische Regierung hätte schon vor dem Referendum einschätzen sollen, welche Konsequenzen ein Austritt aus der EU hat. Es wäre gut gewesen, den Wählern ein klares Alternativmodell vorzulegen, damit sie eine informierte Entscheidung treffen können. Aber die Motivation für die Abhaltung des Referendums war innenpolitisch – und in der Folge ist in Großbritannien auch die Debatte weitgehend innenpolitisch geblieben. Die Briten verhandeln ja weniger mit uns als untereinander.

STANDARD: Hätten die EU-27 aus heutiger Sicht etwas anders machen sollen?

Schusterschitz: In der überhitzten innenpolitischen Lage Großbritanniens ist alles, was von der EU kam, immer sofort in der Luft zerrissen worden. Vielleicht haben wir manchmal sogar zu sehr auf die britische Innenpolitik reagiert. Vielleicht hätten wir manchmal brutaler auftreten müssen. Das haben wir nicht getan, und so haben wir der britischen Politik wahrscheinlich zu lange erlaubt, herumzuschwindeln – und sich den wirklich schwierigen Fragen, die jetzt diskutiert werden, nicht viel früher zu stellen.

STANDARD: Wichtigster Knackpunkt der Verhandlungen war die Grenze zwischen Nordirland und Irland. Hätte es hier mehr Spielraum geben können?

Schusterschitz: Das Wichtigste war für uns – und eigentlich auch für die Briten – dass wir die Friedensregelung retten, also das Karfreitagsabkommen. Ein wesentlicher Pfeiler des Karfreitagsabkommens ist aber die wirtschaftliche Kooperation Nord–Süd, und diese wiederum baut integral auf der Mitgliedschaft beider Seiten in der EU und im EU-Binnenmarkt auf. Man muss sich also entscheiden. Ein Londoner Journalist sagt immer, dass die Briten in dieser Frage das Einhorn jagen: Es gibt aber keine Einhörner. Man muss die Pferde nehmen, die im Stall stehen.

STANDARD: Das britische Unterhaus hat Theresa Mays Deal zweimal abgelehnt, sich aber auch gegen einen No-Deal-Brexit ausgesprochen. Was sagt uns das?

Schusterschitz: Es zeigt, dass das britische politische System mit diesen Grundsatzentscheidungen überfordert ist. Dass ich einen Deal ablehne und am Tag danach einen No-Deal ebenfalls ablehne, das macht keinen Sinn. Es gibt nämlich nur diesen einen Deal, und das war von Anfang an klar.

STANDARD: Das Unterhaus hat beschlossen, um eine Verschiebung des Brexits anzusuchen. Sollten die EU-27 das akzeptieren?

Schusterschitz: Wir müssen abwarten, was die Regierung in London konkret vorschlägt. Wenn es eine Verlängerung über den 1. Juli hinaus gibt, dann muss Großbritannien im Mai auf jeden Fall an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen. Die EU war in den Verhandlungen nie die Seite, die etwas aus Grundsatzerwägungen abgelehnt hat. Das gilt auch bei der Frage der Verlängerung: An uns soll es nicht scheitern. (Gerald Schubert, 16.3.2019)