Die Fundis sind auf dem Vormarsch, auch bei den Foodies. Liebhaber und Liebhaberinnen der italienischen Pasta sind ebenfalls nicht vor der Sehnsucht nach der einzigen und endgültigen Wahrheit gefeit. Und deshalb schlug mir das Herz höher, als ich vom bei der Handelskammer Bologna registrierten Originalrezept für das Ragù alla bolognese erfuhr. Die Hinterlegung dieses Rezepts erfolgte 1982. Das war nicht nur das Jahr, in dem Italien die Fußballweltmeisterschaft gewann, sondern wahrscheinlich auch ungefähr die Zeit, in der ein gewisser Ragù beziehungsweise Bolognese-Wildwuchs einsetzte.

Dazu gehören natürlich auch die Spaghetti auf der Gabel unten. Spaghetti sind die falschen Nudeln, richtig sind allein Tagliatelle und Konsorten. Das weiß jedes Bambino. Aber dennoch gibt es sie, die "Spaghetti bolognese": Sie werden tonnenweise an Italien-Touristen und -Touristinnen verfüttert. Auch wenn das unserer Authentizitätsobsession noch so sehr zuwiderläuft: Die Touris scheren sich nicht darum, und das Ragù hält es aus. Es ist nur eine Frage der Zeit – von mir aus: von Jahrhunderten -, bis Spaghetti bolognese als orthodox gelten.

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Diese etwas komplizierte Einleitung soll Sie darauf vorbereiten, dass wir an der Authentizität in gewisser Weise scheitern werden, auch wenn wir alle Anweisungen, die uns das herrlich puristische Originalrezept gibt, genau befolgen. Das registrierte Ragù-Rezept macht relativ viel Arbeit, ist aber nicht schwierig. "Original" ist es natürlich nur für die Zeit nach 1700, als sich die Tomate in Italien ziemlich schnell durchzusetzen begann. Etwas spitzfindig kann man behaupten, die Paradeiser im Ragù seien das, was dieses zur "Bolognese" macht.

Ein Mixer ist verboten

Schnell einmal das Rezept heruntergenudelt, wie es Küchenchef Stefano Barbato per Video lehrt: Man schneide Pancetta (Mengenangaben siehe unten) sehr klein, fast pastös, mit der Hand bitte, das muss so sein, ein Mixer ist verboten. Auch das Gemüse (Zwiebel, Karotte, Stangensellerie) fein hacken. Den Speck anschwitzen, bis er ordentlich Fett gelassen hat, die Gemüsewürfelchen dazu und anrösten. Nota bene kein Olivenöl, das ist wohl die erste Überraschung.

Dazu kommt das faschierte Rindfleisch, das gleichfalls so lange geröstet wird, bis es fast ganz trocken ist. Das kann schon eine gute Viertelstunde dauern. Mit einem ordentlichen Glas trockenen Weißweins ablöschen, wenn er verdunstet ist, sind die passierten Tomaten dran. Die vergleichsweise geringe Menge – nur zehn Löffel auf eine insgesamt ein Kilo schwere Masse – erinnert wie gesagt daran, dass auch schon vor der Erfindung des Pomodoro Ragù gegessen wurde.

Original ist die Milchhaut

Die dicke Sauce wird nun mit Gemüsebrühe (bitte selbst machen: Karotten, Stangensellerie, Zwiebel, Knoblauch, Petersilie, auch Stängel) aufgegossen, so viel es eben braucht. Und inzwischen haben Sie auch noch einen Liter Vollmilch aufgekocht und – ich kann auch nichts dafür – die Milchhaut heruntergefischt und beiseitegestellt. Sie nennt sich "panna di cottura". Von der Milch geben Sie nach etwa zwei Stunden einen Viertelliter, nach einiger Zeit einen zweiten Viertelliter hinein. Die Milch gibt dem Ragù die gewisse Süße, die sich allem anderen geschmacklich entgegenstellt. Ganz am Schluss – das wird nach drei, vier Stunden sein – noch die Milchhaut in die Sauce rühren. Nein, keine Kräuter, keine Gewürze, nur Salz und Pfeffer. Nicht einmal ein Basilikumblatt zur Deko, bitte. Parmesan natürlich schon.

Das mit der Milchhaut habe ich nur beim ersten Mal gemacht, ehrlich, ein Schuss Obers hat wohl den gleichen Effekt. Haben sie eben früher nicht so gehabt, war ein Luxusprodukt. Und dass ich vom "ersten Mal" spreche, zeigt, dass es weitere Male gab: nicht aus so großer Begeisterung, sondern weil ich damals noch an die Vereindeutigung der Welt – das ist ein Essay von Thomas Bauer, dessen Bücher ich dieses Wochenende im Album vorstelle – glaubte. Die "Welt" ist in unserem Fall das Ragù, und ich wollte das einzig Gültige machen.

Aber die Schwierigkeiten beginnen schon bei der Pancetta. Als ich in den 1980er-Jahren in Mailand lebte, war es ganz klar, was man damit meinte: pancetta tesa, also einen Bauchspeck in Ziegelform (im Gegensatz zum gerollten). Und sie war "dolce", das heißt, nicht geräuchert. Versuchen Sie einmal, das in Österreich zu bekommen, viel Spaß, vor allem, wenn die Gäste schon quasi vor der Tür hocken. Was dazu führte, dass sich bei meiner ersten Zubereitung des Ragù-Originalrezepts ein gar nicht so bolognesischer Tiroler-Bergspeck-Duft in der Wohnung ausbreitete. Noch dazu ist in dem Rezept wirklich sehr viel Pancetta drin, das halbe Gewicht vom Fleisch. Geschmeckt hat es uns – STANDARD-Superkoch Tobias Müller war auch dabei – zwar trotzdem, "original" war es nicht.

Die nächste Station war guanciale: Wangenspeck, nicht geräuchert – aber bei diesen Mengenverhältnissen einfach zu fett. Dann kam mir endlich die perfekte pancetta dolce ins Haus, von einem Freund bei Peck in der Via Spadari in Milano eingekauft, verpackt wie ein Juwel, Eins-a-Qualität. Leider war das Ragù Nummer drei aber ein bisschen gar fad. Es nützt nichts: Unsere Gaumen sind nicht mehr die gleichen wie vor dem Import aller möglichen scharfen und würzigen und überwürzten Küchen. Nummer drei war demnach original – aber nicht das einzig Gültige im Sinne vom heutigen Besten.

Das 4. und 5. Mal sind deshalb programmiert: pancetta dolce und affumicata (geräuchert) halbe-halbe sowie pancetta affumicata blanchiert und damit etwas entschärft, so wie die französische Küche das manchmal macht. Ob das allerdings nicht nur vom Salz, sondern auch etwas vom Räucherton wegnimmt, bleibt noch zu sehen. Wir bleiben dran.

Natürlich gibt es auch jede Menge Fragen zum Rindfleisch (von etwas anderem ist hier gar nicht die Rede). Chef Barbato merkt an, dass es früher wohl eher sechs bis sieben Stunden Kochzeit gewesen sein dürften: Erstens waren beim Originalragù die Fleischstücke größer. Fein Faschiertes fällt demnach beim Authentizitätstest ohnehin schon einmal durch. Zumindest die dicke Faschierscheibe nehmen oder vom Fleischhauer nehmen lassen – wenn er denn eine hat.

Chef Stefano Barbato

Die Flachsen ausbraten

Zweitens war das Fleisch früher wohl eher von alten Tieren, es brauchte das lange Garen, um überhaupt weich zu werden. Was das für den Geschmack bedeutet hat, ist schwer nachzuvollziehen. Vielleicht weniger fad? Barbato nimmt eine "cartella", das ist, wenn ich mich nicht irre, das Zwerchfell, kein edles Stück. Diese generelle Empfehlung könnte man, wenn es nur um Authentizität ginge, weitergeben. Allerdings entsteht durch das lange Kochen – wenn sich sozusagen die Flachsen ausbraten – eine irgendwie gallertartige Konsistenz, berichtet die in ihrer eigenen Küche experimentierende Christa Fuchs, die manche noch als meine frühere Koch-Mitautorin kennen. Und das ist eben auch wieder nicht das, was wir heute essen wollen. Aber "original" wäre es wohl. (Gudrun Harrer, 16.3.2019)

Zutaten:

600 g faschiertes Rindfleisch
300 g Pancetta
100 g Karotten
100 g Stangensellerie
60 g Zwiebel
1 Glas trockener Weißwein
250 bis 400 g Tomatensugo
Gemüsebrühe
1 l Vollmilch
Salz, Pfeffer, Parmesan

Zubereitung:

Pancetta sowie Karotten, Sellerie und Zwiebel in winzige Würfel schneiden. In den angeschwitzten Speck kommt das Gemüse zum Anrösten, danach das Rindfleisch. Anrösten, bis es fast trocken ist, mit Weißwein ablöschen. Die passierten Tomaten zugeben: Im Originalrezept sind es 250 Gramm, aber ein bisschen mehr darf es laut Chef Barbato sein.

Mit Gemüsebrühe aufgießen und nicht ganz zugedeckt vor sich hinköcheln lassen. Manchmal umrühren, wenn nötig, Suppe zugießen.

Von einem Liter Milch die Milchhaut gewinnen.

Nach halber Kochzeit nach und nach einen halben Liter Milch angießen, ganz am Schluss die Milchhaut im Sugo auflösen.

Keine Gewürze außer Salz und Pfeffer – und natürlich werden Pasta und Ragù im Topf vermischt. Parmesan darf sein.