Satz für Satz das Nicht-sagen-Können überwinden: Der 36jährige gebürtige Oberösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker schreibt seine Romane gegen den Zeitgeist.

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Nein, man könnte nicht behaupten, dass sich der 36-jährige Schriftsteller Reinhard Kaiser-Mühlecker leicht fassen ließe. Seit seinem Debütroman Der lange Gang über die Stationen (2008) hat das Werk dieses Autors etwas Widerständiges, das sich gegen die Zentrifugalkräfte des Verschwindens stemmt.

Sieben Romane, einen Erzählband und ein Theaterstück hat der aus Eberstallzell in Oberösterreich gebürtige Autor in nur elf Jahren vorgelegt. Seine Bücher haben ihm nicht nur den Respekt renommierter Autoren, sondern auch viele Preise eingebracht. Letzteres ist insofern erfreulich, als Kaiser-Mühlecker eben gerade nicht jene knackige und schnelle Literatur schreibt, die in den Marketingabteilungen mancher Verlage als besonders marktgängig gilt.

Auch nach den Stimmgabeln der literarischen Platzanweiser in den Feuilletons, die nicht müde werden, gerade von jüngeren Schriftstellern stringente Plots, gute Geschichten und urbanes Leben zu fordern, hat sich Kaiser-Mühlecker nie gerichtet. Vielmehr spielen seine Romane oft am Land, im bäuerlichen Umfeld der vermeintlichen Provinz, in der es sich dann aber gehörig abspielt. Die Gesetze des Lebens, das ist eine der Lehren, die man aus den Büchern dieses Autors ziehen kann, gelten überall.

Das ist in seinem gerade erschienen Roman Enteignung nicht anders. Um was es darin geht? Wäre diese Frage leicht zu beantworten, oder ließe sich der Roman nacherzählen, würde sich kaum um ein gutes Buch handeln. Versuchen wir es so: Es geht um alles: Um Leben und Sterben, Liebe und Hass, Eifersucht und Obsession, Distanz und Mitgerissenwerden.

Luftikus am Mustang-Steuer

Das Buch, dessen Handlung zeitlich ungefähr ein Jahr umspannt, beginnt in der Gluthitze eines Sommers und mit einem Mann namens Jan, der Journalist ist, gern mit seinem Ford Mustang durch die Gegend braust und das Hobbyfliegen liebt. Dieser Jan ist der Ich-Erzähler des Buches. Ihn sympathisch zu nennen, wäre zunächst etwas viel verlangt, obwohl auch dieser die Leichtigkeit zelebrierende Mittvierziger der Tiefe des Lebens nicht entgehen wird.

Jan, der 20 Jahre unterwegs war und für renommierte Zeitungen schrieb, ist vor fünf Jahren in das Dorf zurückgekehrt, in dem er seine Kindheit verbrachte. Eine verstorbene Tante hat ihm ein Haus vermacht, das der Luftikus nun mit seinem Kater bewohnt. Frauenbesuch ist durchaus erwünscht, solange er nicht zu einer festen Bindung führt.

Eher zufällig verstrickt sich Jan daher im Lauf des Buches in gleich zwei Affären, unter anderem mit der alleinerziehenden Lehrerin Ines. Diese Liebesverwicklungen bilden den einen Strang des Romans. In einem weiteren geht es um die titelgebende Enteignung, die in eine Art Detektivgeschichte mündet. Denn nicht nur Jan findet es seltsam, dass man den Schweinemastbauern Flor "im Interesse der Allgemeinheit" enteignete, um auf seinem Land eine Windparkanlage zu bauen, obwohl dort, wie jeder weiß, nie Wind weht.

Mühlsteine der Wirtschaft

Im Verlauf des Romans verknüpft Kaiser-Mühlecker diese Stränge kunstvoll, um gerade im Kurzschließen verschiedener Leben eine weitere Ebene zu öffnen. Denn der Roman handelt nicht nur vom Leben des unter gewaltigem Rationaliserungsdruck stehenden Bauern, wobei auch das Thema der staatsverweigernden "Freemen" aufblitzt, sondern er handelt auch von der Krise einer Zeitung, die verzweifelt versucht, über Boulevardthemen ihre Leser bei der Stange zu halten.

Jeder, jede ist in diesem Buch den Zwängen einer Wirtschaft unterworfen, die die Menschen zwischen den Mühlsteinen Rationalisierung und Effizienz zu zermalmen droht. Das Beeindruckende ist, dass Kaiser-Mühlecker dieser Beschleunigung den langen Atem seiner verlangsamenden, äußerst präzis beobachtenden Prosa entgegenstellt. Es gibt wenige, die Landschaften, den Lichtwechsel und Atmosphären so zu fassen wissen wie dieser Autor.

Das Finale vorliegenden Liebes- und Wirtschaftromans, der breitbeinig als Männerbuch daherkommt, in dessen Zentrum aber starke Frauenfiguren stehen, ist furios und überraschend. Seinem Anspruch, im Schreiben "Satz für Satz das Nicht-sagen-Können zu überwinden", ist Reinhard Kaiser-Mühlecker auch in diesem Buch, das gewichtige Fragen aufwirft, treu geblieben. (Stefan Gmünder, 16.3.2019)