TV-Köchin Sarah Wiener kostet sich durch den Wiener Naschmarkt.

Foto: Heribert Corn

Berlin ist Sarah Wiener nicht auszutreiben. "Bei uns sind die verboten", sagt sie und zeigt auf die Heizstrahler, die auf dem Wiener Naschmarkt die Luft vor den Lokalen wärmen, damit man hier auch im März draußen sitzen kann.

Bei uns? Das ist für Wiener, die für die österreichischen Grünen bei der EU-Wahl kandidiert, immer noch Berlin. Um dem "Klimakiller" Heizstrahler zu entkommen, setzt sie sich ins Innere des Lokals – und bestellt erst einmal "'nen Latte".

Zu diesem Zeitpunkt ist theoretisch noch nicht fix, ob die durch TV-Shows berühmt gewordene Köchin bei der EU-Wahl antreten kann: Die Grünen wählen sie erst am Samstag zur Nummer zwei auf ihrer Liste, gleich hinter Parteichef Werner Kogler. Gegenkandidaturen sind bei der Ökopartei auch spontan noch möglich.

Es ist allerdings davon auszugehen, dass die grüne Basis den Wahl-Coup der Parteispitze goutieren wird. Auch Wiener selbst ist guter Dinge: Die Grünen und sie befänden sich gerade "in den Flitterwochen", witzelt sie im Gespräch mit dem STANDARD. "Wir sind ganz verliebt ineinander."

Küchen- und Sozialhilfe

Doch nicht alle Grünen haben Schmetterlinge im Bauch, wenn sie an Sarah Wiener denken. Der Wiener Gemeinderat Martin Margulies hätte sich etwa "weniger Show, mehr Inhalt" gewünscht, richtete er ihr öffentlich aus. Auch manch anderer Grüner verdreht – befragt zur Quereinsteigerin aus Berlin – die Augen. Ein aktives Parteimitglied entgegnet den Skeptikern: "Sie spricht ganz sicher eine größere Zielgruppe an als wir Grünen im Status quo."

Wer ist die Ernährungsmissionarin aus dem Fernsehen eigentlich wirklich? Und will man sie wählen, stellt sich die Frage: Wofür steht Wiener politisch?

Geboren wurde die 56-Jährige in Halle in Westfalen. Sie ist Tochter der deutschen Künstlerin Lore Heuermann und des österreichischen Schriftstellers und Gastronomen Oswald Wiener. Ihre Kindheit verbringt sie in Wien. Nachdem sie die Schule abbricht, trampt sie eine Zeit lang durch Europa, experimentiert mit Drogen.

In Berlin gelandet, lebt sie als junge Mutter von Sozialhilfe. Kochen lernt Wiener als Küchenhilfe im Lokal des Vaters. Nach der Wende fängt sie an, Filmcrews zu versorgen. Heute ist Wiener Großunternehmerin. Sie betreibt ein Restaurant, eine Bäckerei und hat eine Stiftung, mit der sie Kindern Kochen beibringt.

Die Köchin ohne Lehre wurde als hochpolitische Biomissionarin berühmt. Grüne Werte lebt sie längst – mit zwei Schönheitsfehlern.
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"Würde mir jemand meine Geschichte erzählen, würde ich sagen: Die versteht zumindest zu überleben und macht eine gute Sache", sagt sie. "Ich bin meinen Werten treu geblieben."

Sie hat zwar nach wie vor kein Parteibuch, doch eigentlich ist Wiener eine Paradegrüne: Sie predigt für gesundes Essen und gegen industriell hergestellte Lebensmittel. Sie kämpft für den Klimaschutz und gegen Turbokapitalismus.

Sie hält Bienen, die kaum Honig abwerfen, einfach, weil sie es schön findet. Und von Berlin nach Wien kommt sie natürlich mit dem Nachtzug. Die Köchin ohne Ausbildung hat Meinungen und Argumente und ist das Gegenteil eines unpolitischen Menschen. Aus grüner Sicht hat sie eigentlich nur zwei Haken: Fleisch und Förderungen.

Zucker und Heroin

Denn mit dem einen oder anderen Veganer könnte sie beim Grünen-Bundeskongress schon aneinander krachen. Wiener hält Mandelmilch für Gift, Analogkäse ebenfalls – alles hochverarbeitet. Zucker ist ihrer Meinung nach schlimmer als Heroin und Veganismus an sich eine Form der "Mangelernährung". Sie selbst plädiert dafür, wenig Fleisch zu essen, das dafür hochwertig. So sei das auch mit dem Klimaschutz in Einklang zu bringen.

Manchen ist vielleicht noch die Sendung Sarah Wiener und die Küchenkinder in Erinnerung. Da ließ sie Kinder beim Schlachten helfen. Einem betäubten Kaninchen wurde vor aller Augen die Kehle aufgeschnitten, damit die Kleinen es dann ausnehmen konnten. "Jemand, der Fleisch isst, sollte wissen, dass Fleisch nicht auf dem Baum wächst. Hinter jedem Schnitzel steht ein Tier, das gelebt hat", erklärte Wiener damals. In der ORF-Produktion Die kulinarische Welt der Sarah Wiener war eine Moorhuhnjagd ihr "Highlight".

Essen sei mehr als nur Nahrungsaufnahme, sondern "der intimste Akt – denn niemand kommt so tief wie das Essen".
Foto: Heribert Corn

Und dann ist da noch die Sache mit den EU-Förderungen für ihren Hof: Mit 316.000 Euro subventionierte die Union im Vorjahr das Gut Kerkow in Brandenburg nahe Berlin, an dem Wiener 20 Prozent hält. Der Betrieb umfasst 800 Hektar. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Landwirtschaft in Österreich ist 46 Hektar groß. Eine Großgrundbesitzerin als Grünen-Kandidatin?

Groß und nachhaltig

Wiener ärgert sich über die Kritik. Für österreichische Verhältnisse sei ihr Hof "riesig", in der Uckermark handle es sich dabei um einen mittleren Betrieb – das liege auch daran, dass der Boden dort wenig hergibt. Außerdem habe sie mit ihren Partnern auf siebenjährige Fruchtfolge umgestellt und bodengebundene Tierhaltung eingeführt.

Mittlerweile arbeiteten 29 Mitarbeiter dort, "und kein einziger ist Saisonarbeiter aus irgendwelchen mysteriösen Ecken dieses Kontinents". Man könne eben auch einen 800-Hektar-Hof nachhaltig betreiben.

Trotz ihrer Nutznießerschaft sei sie bezüglich Agrarförderungen mindestens so kritisch wie die Grünen, behauptet Wiener: "Prinzipiell sollte die Landwirtschaft überhaupt keine Subventionen bekommen", aber Prämien.

Zu einer Gruppe Männer stellt sich Sarah Wiener hin und fragt, ob der Wein schmeckt – um sich dann mit einem Schluck aus einem der Gläser selbst zu vergewissern.
Foto: Heribert Corn

Berührungsängste kennt Wiener nicht. Die legt man wohl ab, wenn man samt Kamerateam durch Italien, Frankreich, Großbritannien und Teile Asiens reist, um die Küchen der Länder fürs Fernsehen zu erkunden. Immer wieder erkennen sie Passanten auf dem Naschmarkt. Zu einer Gruppe Männer stellt sie sich hin und fragt, ob der Wein schmeckt – um sich dann mit einem Schluck aus einem der Gläser selbst zu vergewissern.

Einem Bekannten, dem sie zufällig über den Weg läuft, zieht sie einen Kopfhörer aus dem Ohr und stöpselt ihn in ihres, um kurz einer Oper auf Ö1 zu lauschen. Der Herr vom Falafelstand wird von Wiener gerügt: Dass der Hummus nicht selbstgemacht ist, schmeckt sie sofort. "Das könnt ihr besser!", ruft sie ihm im Weggehen noch zu.

Das alles wirkt sehr gekonnt, wenn auch nicht natürlich. Aber das, was sich viele Politiker erst mühsam aneignen müssen: Hände schütteln, Smalltalk, Schmähführen – auch das gelingt ihr, obwohl sie es nie gelernt hat. (Sebastian Fellner, Katharina Mittelstaedt, 16.3.2019)