Die Barrieren des Lebensmittelhandels sind hoch. Marketingbeiträge und Listungsgebühren versperren vielen jungen Betrieben den Sprung in die Regale.

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Das erste Gespräch endete prompt mit einer Abfuhr. Ein Einkaufsmanager von Spar gab Sandra Falkner klar zu verstehen, dass sie mit ihrem neuen Kaugummi wohl kaum die für Supermärkte nötigen Umsätze erzielen werde. Ganz abgesehen davon, dass er Zweifel an ihrer Lieferfähigkeit hegte. Hätte sie sich an den Innovationschef des Konzerns gewandt, hätte sich vielleicht eine Tür geöffnet, sinniert die Studentin und will sich von der Absage nicht einschüchtern lassen. Zumal sich bei Rewe ein Platz im Regal findet: Zumindest sechs Wochen lang wird die Handelskette ihren Gummi im Frühling probeweise ins Süßwarensortiment aufnehmen. Finden die Österreicher daran Geschmack, hat sie einen ersten großen Kunden.

Falkner versucht mit einer Studienkollegin, Vielfalt ins festgefahrene Geschäft der Kaugummis zu bringen. US-Branchenriese Wrigley's dominiert den Markt. Statt Erdöl verarbeiten die beiden Baumharz aus österreichischen Föhren zu einer klebrigen Masse. Statt Weichmachern, Emulgatoren, Antioxidantien, Feuchthaltemittel und diversen künstlichen Füllstoffen verwenden sie Bienenwachs, für die Süße sorgt Birkenzucker. Kleine Geschäfte zeigen Interesse am Alpengummi, auch Betriebe würden diese an Kunden und Partner als Goodies verteilen, sagt Falkner. Um mit derart günstigen Produkten finanziell zu überleben, braucht es aber hohe Stückzahlen und folglich den Sprung in Großhandel und Supermärkte.

Angst vor Kontrollverlust

Diesen übt auch Florian Burgstaller, der mit Partnern das Grazer Start-up Wirecube gründete. Der junge Betrieb will stationäre Händler mit den Vorteilen des Onlineshoppens verbinden. Über eine App lassen sich auf dem Smartphone etwa Waren im Supermarkt scannen und bezahlen – das Anstellen an der Kasse entfällt. Zwei Pilotprojekte laufen derzeit in großen Lebensmittelketten. Burgstaller hofft, ab Sommer dafür grünes Licht zu erhalten. Einfach sei es nicht, von den Händlern ernstgenommen zu werden, resümiert er. "Wir haben uns alles hart erkämpft." Vor allem rund um neue Bezahlmodelle seien die Barrieren hoch. Zu groß sei die Sorge, nicht mehr alles im Griff zu haben. Seit einem Jahr ortet Burgstaller in der Branche aber ein Umdenken und einen Paradigmenwechsel. "Es bewegt sich was."

Werner Wutscher teilt diese Erfahrung. Der Betriebswirt war einst Generalsekretär im Landwirtschaftsministerium, wechselte dann als Vorstand in den Rewe-Konzern, ehe er sich mit seinem Betrieb New Venture Scouting selbstständig machte. Seither unterstützt er Jungunternehmer mit Know-how und Geld. An seiner früheren Branche spart er nicht mit Kritik. "Lange war die erste Frage der Chefeinkäufer an Start-ups: Wo ist dein Marketingbeitrag, und wo ist deine Listungsgebühr? Man ließ sie antreten, kopierte sie und saugte sie aus."

Mittlerweile jedoch öffneten sich immer mehr Fenster für innovative Kooperationen. "Der Handel wacht auf." Der Schmerz sei offenbar so groß, dass sich dieser auf Unsicherheiten einlasse, nicht mehr nur im eigenen Saft kochen wolle und Hürden bei der Annäherung in Kauf nehme.

Der Einzelhandel sei gewohnt, alles selber zu machen und niemandem Einblick in die Warenwirtschaft zu gewähren, erläutert Wutscher. Teile dieser Prozesshoheit aufzugeben, sich auf Start-ups einzulassen, sei ein großer Schritt. Ein erstes Miteinander habe es in der Logistik und in der Datenauswertung gegeben. Der Produktbereich sei Start-ups aber lange verwehrt geblieben.

Jungunternehmer wiederum knallten bei großen Handelsketten an die Wand, wenn sie in deren Rechtsabteilung oder in die IT geschickt würden. Es gebe kaum effizientere Maschinerien als den Lebensmittelhandel, sagt Wutscher. Doch ihre Gesetzmäßigkeiten seien völlig andere als jene der Start-ups – allein schon bei der Entscheidungsfindung, die sich in einem Konzern über ein Jahr ziehen könne. "Ein Start-up ohne Liquidität ist nach sechs Monaten tot."

Hofer öffnet sich für Innovationen

Wutscher zufolge bietet sich etwa Hofer für Kooperationen an. Der Diskonter habe Teile der Fachhochschule OÖ in seinem Innovationszentrum angesiedelt, bespiele dort Kurse und stelle Start-ups vor. "Hätte mir das jemand vor drei Jahren erzählt, ich hätte es nicht geglaubt." Metro engagiere sich als Accelerator. Billa arbeite mittlerweile ebenso mit Start-ups zusammen wie dm. Auch Spar lasse einzelne alternative Sortimente von jungen Partnern managen.

Bei Sandra Falkner läuft die Produktion ihres Alpengummis aufgrund der bevorstehenden Listung jedenfalls auf Hochtouren. Beim Kneten, Abfüllen und Verpacken hilft die ganze Familie. Alle möglichen Maschinen wurden dafür schon zweckentfremdet, erzählt sie. Lohnhersteller haben sie und ihre Kollegin noch keinen gefunden. Zum einen kenne sich kaum einer mit Kaugummis aus. Zum anderen trauten viele ihrem Geschäft noch keinen dauerhaften Bestand zu. Meist müssten mindestens drei Tonnen abgenommen werden. "Diese Menge zu garantieren ist anfangs halt schwer möglich." (Verena Kainrath, 17.3.2019)