In der Serie alles gut? denkt STANDARD-Redakteur Andreas Sator über eine bessere Welt nach – und darüber, welchen Beitrag er leisten kann. Melden Sie sich hier für seinen kostenlosen Newsletter an.

Jahrzehntelang haben zigtausende Menschen in teuren Büros im Westen komplizierte Programme entworfen, um das Leben der Ärmsten dieser Welt zu verbessern. Seit einiger Zeit türmen sich aber wissenschaftliche Beweise dafür, dass man vielerorts günstiger und unbürokratischer helfen könnte als bisher.

Nämlich indem man armen Menschen einfach das gibt, was ihnen am meisten fehlt: Geld. In der Entwicklungshilfe kommt das gerade so etwas wie einer Revolution gleich. Auch für uns macht es das Helfen so einfach wie nie zuvor.

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Der Anbieter M-Pesa hat Kenia im Sturm erobert: Auch Menschen ohne Bankkonto können über billige Handies Geld versenden. Das sickert langsam in die Entwicklungshilfe ein.
Foto: Getty/Shashank Bengali/MCT/MCT

Zurück geht diese Revolution unter anderem auf ein paar Studierende der Elite-Unis Harvard und MIT. Sie forschten zum Thema Armut und waren auf der Suche nach einem Weg, wie sie armen Menschen am besten helfen konnten. Studien legten nahe, dass Geldtransfers hervorragend wirken. Und weil man ärmeren Menschen über Handies immer einfacher Geld schicken konnte, gründeten sie vor zehn Jahren GiveDirectly.

Dort kann heute jeder von uns Geld spenden, von dem knapp 90 Prozent an Menschen in Kenia, Uganda und Ruanda ausbezahlt wird. Die Länder wurden ausgewählt, weil dort die Armut sehr hoch und die Infrastruktur für Auszahlungen gut ist. GiveDirectly versucht die ärmsten Menschen in den Regionen zu erreichen, sie bekommen ein SMS und können damit dann in Kiosken, Tankstellen oder Supermärkten ihr Geld holen.

Ein Haushalt bekommt in etwa 1000 Dollar, was in den drei Ländern etwa ein Jahresbudget einer Familie, also sehr viel Geld ist. Aber verschwenden die Menschen das nicht einfach, geben es etwa für Alkohol oder Zigaretten aus? Keineswegs, wie eine Evaluierung von Wissenschaftern gezeigt hat. Das zusätzliche Geld floss in Lebensmittel und Ausgaben für Bildung und Gesundheit. Und: Wer Geld erhält, wird auch nicht faul und fängt an, weniger zu arbeiten, wie der MIT-Ökonom Abhijit Banerjee schreibt.

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Mit dem Handy Geld abheben: In Nairobi, Kenia.
Foto: Reuters / THOMAS MUKOYA

Seither fanden zahlreiche neue Studien ebenso positive Ergebnisse. Ein Übersicht von 19 Studien zum Thema, die die Weltbank erstellt hat, findet, das durch die Transfers wenn dann sogar weniger für Alkohol oder Zigaretten ausgegeben wird. GiveDirectly ist in wissenschaftlichen Kreisen daher hochangesehen. Paul Niehaus, einer der Gründer, ist selbst ein angesehener Entwicklungsökonom an der University of California San Diego.

Mittlerweile ist das Thema Mainstream und mehr und mehr Programme werden durch einfache Geldtransfers ersetzt. Die wissenschaftlichen Evaluierungen sind fast alle positiv, die Menschen sparen mehr, nehmen mehr Kredite auf, essen besser, ihre Kinder gehen öfter in die Schule, entwickeln sich kognitiv, die Menschen haben mehr Jobs, es gibt weniger Gewalt zuhause, die Geburtenrate sinkt und es wird besser verhütet.

Das Bild, das die Forschung zeichnet: In vielen Orten dieser Welt sind die Bedingungen, unter denen Menschen leben und arbeiten müssen, wahnsinnig schlecht. Selbst wenn die Menschen fleißig, bemüht und kreativ sind, kommen sie schwer vom Fleck. Wenn dann Geld aus dem Ausland fließt wird es nicht verschwendet, sondern dient oft als dringend nötiger Anschub für ein besseres Leben.

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Eine Frau in Kigali, Ruanda.
Foto: Reuters / TOBIAS SCHWARZ

Ist die Lösung für alle Probleme auf dieser Welt dann einfach Armen Geld zu geben?

Nein. Denn für vieles braucht es einen Staat, der funktioniert. Dass es den nicht gibt, ist mit ein Grund, warum viele Länder arm sind. Schulen oder Krankenhäuser werden durch das Versenden von Geld aber nicht gebaut. Wenn eine Mutter, die Geld erhält, ihre Kinder dann nicht mehr zuhause als Hilfe braucht, sondern in die Schule schickt, ist das zwar begrüßenswert. Wenn die Schule aber miserabel ist, hilft es nur wenig.

Und: Wir wissen, dass Menschen für bestimmte sinnvolle Dinge nicht gerne Geld ausgeben. In vielen Regionen ist Malaria etwa ein Problem, mit Insektiziden behandelte Netze, die man um das Bett hängt, können das Risiko, angesteckt zu werden, stark senken. Verteilt man die Netze gratis werden sie auch verwendet und die Infektionsraten sinken stark. Verlangt man aber einen kleinen Geldbetrag, kaufen die Netze nur mehr wenige.

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Hilfslieferungen aus den USA: Säcke voll Mehl.
Foto: ap / MOHAMMED BALLAS

Nichtsdestotrotz hat die Wissenschaft mit Geldtransfers einen guten Weg gefunden, das Leben der ärmsten Menschen besser zu machen. Das lässt auch die Entwicklungshilfe nicht unberührt.

Die US-Agentur USAID, die einen Teil der Entwicklungshilfe der USA abwickelt, hat erst ein Experiment mit GiveDirectly in Ruanda durchgeführt. Es wurde probiert, ob das Programm Gikuriro, das die Gesundheit von Kindern durch Tipps für Hygiene, Ernährung und Bildung für Eltern bessern soll, besser wirkt, als wenn man den Menschen einfach Geld gibt. Das Ergebnis: Nein.

Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat USAID für dieses Experiment direkt Geld an Arme ausbezahlt. Paul Niehaus und Chris Blattman von der University of Chicago fordern, dass Geld als Messlatte dienen soll. Organisationen, die Armut bekämpfen wollen, sollen zeigen, dass ihre Programme mehr bringen als einfach Geld in derselben Höhe zu geben.

Zwei Kinder in einem Flüchtlingscamp in Atme, Syrien.
Foto: APA/AFP/AAREF WATAD

Bei Katastrophen geben Organisationen jetzt schon einfach Geld anstatt Nahrungsmittel, Decken oder Zelte zu liefern. Das International Rescue Committee (IRC), eine NGO, gibt seit 2015 in vielen Fällen Geld statt wie früher Lebensmittel, sagt Joel Chrisco, der als für IRC arbeitet. In Syrien bekommen ausgewählte Haushalte etwa 100 bis 120 Dollar im Monat. An mehr als 30.000 wurde Geld ausbezahlt. Auch im Jemen arbeitet man so.

"Die Menschen können dann selbst entscheiden, wofür sie das Geld verwenden", sagt Chrisco von der NGO IRC. Das stärke auch lokale Märkte, anstatt mit Gütern aus dem Ausland Konkurrenz für heimische Firmen zu schaffen. Das IRC prüfe gerade, wo man Geldtransfers noch sinnvoll einsetzen könne.

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Öffentliche Toiletten in einem Slum in Nairobi, Kenia.
Foto: Reuters / NJERI MWANGI

Auch die NGO GiveDirectly experimentiert weiter. Noch ist vieles unklar. Wie ist die Situation viele Jahre später? Was passiert, wenn man nicht mehr nur ein paar tausend Haushalten Geld gibt, sondern vielleicht allen Armen einer Region? Wie wirkt das auf die Inflation, die Löhne? GiveDirectly will mit einer über zwölf Jahre angelegten Studie in Kenia mehr herausfinden. In 40 Dörfern erhalten Menschen über den gesamten Zeitraum 22 Dollar im Monat, quasi ein Grundeinkommen.

Der Armutsforscher Abhijit Banerjee schreibt in einer Studie, dass ein Grundeinkommen in den ärmsten Ländern der Welt aufgrund der vielen positiven Studien zum Thema zumindest einen näheren Blick wert ist. Seriös beurteilen lässt sich das noch nicht. Wenn wir etwas Gutes tun möchten, müssen wir darauf aber nicht warten.

Vergangene Weihnachten war es in Österreich populär, über NGOs Ziegen für Menschen in ärmeren Ländern zu kaufen. Nächstes Jahr werde ich stattdessen vielleicht einfach Geld an sie schicken. Wer eine Ziege will, kann sich dann einfach eine kaufen.

(Andreas Sator, 7.4.2019)

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