Leitet die exklusivste Automarke der Welt, die seit 2000 zu BMW gehört: Torsten Müller-Ötvös, hier in einem Rolls-Royce-Showroom im Herzen Londons.

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STANDARD: Kurzes Statement zum Brexit?

Müller-Ötvös: Let's wait and see. Es ist schwer zu prognostizieren, was wirklich passieren wird. Aber ich hoffe, dass es jetzt nicht zu disruptiven Veränderungen kommt.

STANDARD: Im wirtschaftlichen Umfeld gibt es außer dem Brexit weitere Risikofaktoren: die Trumponomics und ein auch für Luxushersteller schwieriger werdender China-Markt. Tangiert das Rolls-Royce gar nicht?

Müller-Ötvös: Doch, doch! Es ist nie die Frage, ob Ressourcen vorhanden sind. Wir nennen das "consumer sentiment". Ist man in der Verfassung, Geld für ein Luxusprodukt auszugeben, wenn es dem eigenen Unternehmen nicht gut geht? Insofern sind wir nicht unabhängig von konjunkturellen Entwicklungen.

STANDARD: Rolls-Royce erzielte 2018 einen neuen Absatzrekord, 4107 Autos wurden verkauft – ein Plus von 22,2 Prozent. Bleibt damit die markentypische Exklusivität noch gewahrt?

Müller-Ötvös: Ganz sicher. Wir definieren Exklusivität über den Preis, nicht über Volumen. Wir werden nicht in ein Segment unter 200.000 Euro netto einsteigen, um mehr Volumen zu generieren – das ist definitiv nicht unsere Strategie.

STANDARD: Die 5000 werden Sie schnell erreichen mit dem Cullinan.

Müller-Ötvös: Ich bin sehr optimistisch, dass wir 2019 erneut ein Rekordjahr erreichen werden, trotzdem werden wir auch zukünftig klar vierstellig bleiben und nie über eine fünfstellige Zahl hinauswachsen.

STANDARD: Der Cullinan ist auf dem Markt. Wie sieht die typische Klientel aus? Gibt es überhaupt eine?

Müller-Ötvös: Nein, die gibt bei uns nicht. Unsere Zielgruppe ist sehr heterogen, 80 Prozent unserer Kunden sind Unternehmer, 20 Prozent Menschen aus dem Showbusiness, der Musik und dem Filmgeschäft. Was wir aber sehen: Beim Cullinan treffen wir zu mindestens 50 Prozent neue Kunden, die noch nie vorher Rolls-Royce in Erwägung gezogen haben. Das liegt daran, dass mit ihm zum ersten Mal ein wirklich praktikables Automobil von Rolls-Royce präsentiert wurde. Und wir sprechen mit dem Cullinan auch in einem stärkeren Maße weibliche Kunden an.

STANDARD: Gibt es dabei Unterschiede zwischen Europa, Nordamerika und Fernost?

Müller-Ötvös: Nicht wirklich. Unsere Kunden sind Global Citizens, die meisten haben ein Unternehmen im Ausland. Zwar gibt es kulturell geschmackliche Unterschiede, wenn es um Farben und Materialien geht. Aber ein chinesischer Kunde ist genauso anspruchsvoll wie ein österreichischer, da gibt es keinerlei Unterschiede.

STANDARD: In Kontinentaleuropa kennt man das Phänomen Neidkomplex, anders als in den USA und in China. Wie passt das mit Ihrem Absatzerfolg zusammen?

Müller-Ötvös: Das sehe ich entspannter. Als ich vor neun Jahren bei Rolls-Royce in dieser Position angefangen habe, haben wir in Deutschland 18 Automobile verkauft, keines in Österreich. Mittlerweile verkaufen wir weit über 100 in Deutschland, mit steigender Tendenz auch in ganz Europa. Den Nerz nach innen zu tragen, das ist vielleicht für eine ältere Generation noch gültig. Aber nicht mehr für die jüngere. Auch europäische Kunden wissen zu genießen.

STANDARD: Da passt der von Ihnen registrierte Trend zum Selbstfahrer dazu.

Müller-Ötvös: Wir haben 2018 weit über 800 Phantoms verkauft, auch das ein historischer Rekord. Interessanterweise hat sich der Mix verschoben, mehr zum kurzen Radstand, zum Selbstfahrerauto. Das hat viel damit zu tun, dass sich die Soziodemografie der Ultra High-Net-Worth Individuals (UHNWIs, Menschen mit Nettovermögen von 50 Millionen US-Dollar oder mehr, Anm.) signifikant verändert hat und auch noch weiter verändern wird: deutlich jüngere Menschen, die am liebsten selbst hinter dem Steuer sitzen.

STANDARD: Das Berufsbild des Chauffeurs stirbt aus?

Müller-Ötvös: Irgendwann, ganz langfristig, ohnehin – wegen des autonomen Fahrens. Trotzdem haben all unsere Kunden Zugriff auf einen Chauffeur. Es gibt kein Entweder-oder: Entweder lasse ich mich fahren oder fahre selbst. Wir sind ja nicht im klassischen Automobilgeschäft. Keiner braucht einen Rolls-Royce, um von A nach B zu kommen. Das ist ein reines Luxusgütergeschäft, in dem wir uns bewegen.

STANDARD: Es ist die Yachten-Klientel?

Müller-Ötvös: Richtig. Privatjets, Yachten, Ferienhäuser, Kunst und Juwelen, das ist das Umfeld, in dem Rolls-Royce stattfindet. Wenn es um "perfect transportation on land" geht, dann kommt Rolls-Royce ins Spiel. Nicht umsonst sagen uns viele unserer Kunden nach, ein Rolls-Royce sei für sie "flying on earth", ein "magic carpet ride". In keinem anderen Automobil reisen sie so bequem, auch über längere Strecken, wie in einem Rolls-Royce.

STANDARD: Beim autonomen Fahren können Sie auf Technologie der Konzernmutter zurückgreifen. Wie ist die Marschroute?

Müller-Ötvös: Wir müssen in dieser Entwicklung nicht die Ersten sein. Wir kommen mit dieser Technologie auf den Markt, wenn sie Level-4-Niveau (vollautonom, Lenkrad ist aber noch an Bord, Anm.) erreicht hat und wir wirklich automatisiert fahren können.

STANDARD: Level 3 überspringen Sie – BMW selbst startet damit allerdings demnächst.

Müller-Ötvös: Für BMW ist diese Entscheidung absolut richtig, aber wir haben es hier mit einer anderen Klientel zu tun, die von uns Perfektion und Mühelosigkeit erwartet und nicht zu Kompromissen bereit ist. Diesem Anspruch verpflichten wir uns.

STANDARD: Gerade beim autonomen Fahren stockt es momentan etwas.

Müller-Ötvös: Es gibt sogar Stimmen, die sagen, vollautonomes Fahren wird es nie geben. Es hat natürlich auch viel mit der Gesetzgebung zu tun.

STANDARD: Damit, was in welchen Regionen erlaubt wird.

Müller-Ötvös: Korrekt. Ich persönlich glaube daran, dass sich solche bahnbrechenden Ideen durchsetzen. Der Tag wird kommen, an dem wir per Knopfdruck ein Fahrzeug ordern, einsteigen, autonom zum Ziel gebracht werden und sich das Auto selbst einen Parkplatz sucht. Es geht nur noch um den Zeitpunkt, wann das geschehen wird.

STANDARD: Der Cullinan ist kein X7-Ableger – er steht, wie der Phantom, auf einer eigenständigen Alu-Spaceframe-Architektur. Wie flexibel ist die?

Müller-Ötvös: Sehr. Sie gibt uns alle Flexibilität für zukünftige Derivate.

STANDARD: Bei denen geht es auch in Richtung Elektromobilität. Sie haben vor zwei, drei Jahren eine Dekade bis zu einem solchen Auto angekündigt.

Müller-Ötvös: Ich bleibe dabei: In der nächsten Dekade werden wir elektrisch. Das haben wir im letzten Jahr noch einmal bekräftigt. Die Entscheidung ist gefallen, wir gehen vollelektrisch, ohne Hybrid.

STANDARD: Warum nicht Plug-in?

Müller-Ötvös: Das ist langfristig nicht nachhaltig. Als kleines Unternehmen sollten wir uns für eine Variante entscheiden und diese perfektionieren. Ich glaube, dass ein reines Elektromobil sehr gut zur Marke passt. Ein Elektromotor ist drehmomentstark, hat viel Power und ist leise. Genau das, was unsere Kunden an Rolls-Royce schätzen.

STANDARD: Und das enorme Gewicht der Batterien bei Ihren Autos spielt keine Rolle.

Müller-Ötvös: Wir werden Batterien nutzen, die uns große Reichweiten ermöglichen und die vom Gewicht her problemlos mit einem Rolls-Royce umgehen können.

STANDARD: Wasserstoff-Brennstoffzelle spielt in Ihren Überlegungen keine Rolle?

Müller-Ötvös: Die Frage ist: Wo speichere oder generiere ich die Energie für die Elektromotoren zum Antrieb? Dazu brauchen wir erst einmal eine elektrische Plattform. Stellen wir dann mittelfristig fest, dass sich Brennstoffzellen durchsetzen, dann ist das nur ein anderes Medium.

STANDARD: Die Dekade, die Sie dem Elektro-Rolls-Royce geben, fällt auch in etwa mit dem vorhin skizzierten Einstieg ins autonome Fahren "Level 4" zusammen.

Müller-Ötvös: Es ergibt natürlich Sinn, das irgendwann einmal miteinander zu verheiraten. Aber alles hängt davon ab, was wann tatsächlich fertigungsreif ist. (Andreas Stockinger, 16.3.2019)