Frankreich steht gesellschaftspolitisch vor einem Scherbenhaufen.

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Gerade erst hatte der Präsident geglaubt, die Krise durchtaucht zu haben. Nun gibt es wieder Krawalle in Paris. Daher sind die neuen Ausschreitungen in Paris auch für Staatschef Emmanuel Macron wieder ein politischer Rückschlag. Erst am Freitag war die "große nationale Debatte" zu Ende gegangen, die der Präsident im Januar lanciert hatte, um einen Ausweg aus der Sozialkrise der Gelbwesten zu finden. Seither hatten sich die Proteste scheinbar beruhigt – glaubte man.

Doch das erweist sich nun als Trugschluss. Im besten Fall war die Gewaltorgie von Samstag das letzte Aufbäumen einer zunehmend desorientierten Bürgerbewegung.

Anders als in Italien, wo die "Fünf Sterne" wenigstens vorerst den Schritt in die Politik geschafft haben, geraten die "gilets jaunes" immer mehr in den Griff revolutionärer Systemgegner, die jeden Auftritt in der Politik oder den "offiziellen" Medien ablehnen. Lieber beschränken sie sich auf die sozialen Medien, wo ihre relativ kleine Zahl von einigen tausend Aktivisten – angesichts einer Landesbevölkerung von 65 Millionen – weniger ins Auge sticht. Ingrid Levavasseur, eine Kämpferin für eine Wahlliste bei den Europawahlen im Mai, wird aus den eigenen Reihen sexistisch belästigt und schlecht gemacht.

Auch dem "grand débat" von Emmanuel Macron verweigerten sich die meisten Gelbwesten zwei Monate lang. Die an sich sehr innovative und kreative Gesprächstherapie auf nationaler Ebene war deshalb nur ein halber Erfolg. Frankreich steht auch gesellschaftspolitisch vor einem Scherbenhaufen.

Die Gelbwesten, die anfangs breiteste Sympathien genossen, verkommen zu einer radikalisierten, ja antiparlamentarischen Bewegung. Das ist Gift für die Kohäsion einer Nation, deren untere Mittelschicht verarmt und in den politischen Nihilismus wegbricht. Noch nie in den letzten Jahrzehnten stand es in Frankreich um die Institution und Idee der Demokratie so schlecht wie heute. (Stefan Brändle aus Paris, 17.3.2019)