Die Chefin der neuseeländischen Regierung spendet in den dunklen Stunden Trost.

Foto: AFP PHOTO /OFFICE OF PRIME MINISTER

Das Bild zeigt das Gesicht einer Frau, durch eine Scheibe fotografiert. Ein schwarzer Hidschab mit goldenem Rand bedeckt ihr Haar. Blumen spiegeln sich im Glas. Der Fotograf muss aus großer Distanz gearbeitet haben. Denn das Gesicht birgt eine Intimität, wie sie die abgebildete Frau vermutlich nicht hätte öffentlich zeigen wollen. Die Augenbrauen in Sorge hochgezogen, die Stirn in Falten gelegt. Der Mund ist geschlossen. Sie hört zu.

Jacinda Ardern ist seit Herbst 2017 Premierministerin von Neuseeland. Der Schmerz in ihrem Gesicht ist der Schmerz einer Nation. Das Foto, das am Samstag bei einem Treffen mit Über lebenden und Angehörigen der Opfer des rechtsextremen Terrorangriffs in Christchurch aufgenommen wurde, es wird noch lange symbolisieren, was die vielleicht beliebteste Spitzenpolitikerin Neuseelands ausmacht: Mitgefühl, Verständnis, eine scheinbar ausufernde Hilfsbereitschaft. Und auch Entschlossenheit in der Botschaft.

Die 38-jährige studierte Politologin zeigt derzeit, wie politische Führungsqualität aussehen kann. Die Neuseeländer selbst sind wenig erstaunt. Bei vielen von ihnen hat sich Ardern bereits Respekt erworben, seit sie 2017 das Premierszepter übernommen hatte, nach wenigen Monaten an der Spitze ihrer Partei. Selbst manch harte Konservative sagen, sie seien von ihrer Mischung aus Menschlichkeit und Pragmatismus beeindruckt, mit der sie auch bei der Wahl 2017 schon überraschend deutlich Stimmen dazugewann.

"Anti-Trump"

Ardern wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf, als Tochter eines Polizisten und einer Kantinenarbeiterin. Das hat, so beschrieb sie es auch im Wahlkampf 2017, ihr soziales Gewissen geprägt. Sympathie flog ihr auch zu als sie, erst kurz im Amt, ihre Schwangerschaft bekanntgab. Ihre kleine Tochter nahm sie 2018 zur UN-Generalversammlung in New York mit.

Große und kleinere Herausforderungen: Ardern geht sie an – offenbar ohne Rücksicht auf eingewurzelte Interessen, aber doch mit Blick darauf, was gut ankommt: Klimawandel, Immobilienkrise, Arbeitslosigkeit.

Nach den Anschlägen vom Freitag stellte sie eine Verschärfung der Waffengesetze in Aussicht. Im Wesentlichen, so konstatieren Beobachter, sind es Taten statt Polemik, die ihren Politikstil seit dem Amtsantritt kennzeichnen. Mehr zuhören als sprechen. Kein Wunder, dass sie von der Zeitschrift "Vogue" die "Anti-Trump" genannt wurde. (Urs Wälterlin, 17.3.2019)