Schlaflose Nächte schaden dem Gehirn stärker als bisher gedacht – es könnte bei der Entstehung von Demenz und Herz-Kreislauf eine Rolle spielen.

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Gut ein Drittel seines Lebens verbringt der Mensch im Schlaf. In dieser Zeit sündigt er zwar nicht, wie es sprichwörtlich heißt, doch er ist auch nicht untätig. Genau dort setzen die Forschungen der Innsbrucker Neurologin Birgit Högl an. Die Somnologin und designierte Präsidentin der Weltschlafgesellschaft nutzt die Zeit, in der sich ihre Patienten im Land der Träume befinden, als "Fenster in die Zukunft des Gehirns".

Denn sie kann durch ihre Untersuchungen in einer bestimmten Patientengruppe mit über 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit eine künftige neurodegenerative Erkrankung wie etwa Parkinson oder Demenz vorhersagen. Im Fokus steht der REM-Schlaf. "REM" steht für "Rapid Eye Movement". Es ist jene Phase, in der sich die geschlossenen Augen bewegen und Menschen die intensivsten Träume haben.

Das Spezialgebiet der Innsbrucker Wissenschafterin, die am Institut für Neurologie von Werner Poewe forscht, ist die REM-Schlaf-Verhaltensstörung (RSV). "Normalerweise sind Menschen, wenn sie sich in der REM-Schlafphase befinden, körperlich wie gelähmt", so Högl. Diese sogenannte Muskelatonie ist eine Schutzfunktion, um zu verhindern, dass man tut, was man träumt. Bisweilen ist dieser Zustand der Lähmung sogar spürbar. Etwa wenn man träumt, vor etwas davonzulaufen, dabei aber nicht vom Fleck kommt.

Kampfszenen im Traum

Bei einer klassischen RSV fehlt diese Muskelatonie, sprich die Patienten bewegen sich in dieser Schlafphase tatsächlich. Interessanterweise handeln die Trauminhalte der Betroffenen meist von Kampf- oder Verteidigungssituationen. "Bettpartner von Menschen mit einer RSV haben oft das Gefühl, praktisch zusehen zu können, was die Person im Traum durchlebt", sagt Högl.

Im Rahmen der Forschungskooperation Sinbar ("Sleep Innsbruck Barcelona") haben Neurologen und Schlafforscher der Universitätskliniken beider Städte Parameter entwickelt, um zwischen normaler Schlafaktivität und dem Krankheitsbild unterscheiden zu können. Denn, wie Högl erklärt: "Nur weil sich jemand im Schlaf viel bewegt, ist das noch lange keine RSV." Sie kann nur im Schlaflabor diagnostiziert werden. Dazu werden Muskelaktivitäten – vom Kinn bis hin zu den Extremitäten – mittels Sensoren aufgezeichnet.

Diese Methode ist mittlerweile so weit ausgereift, dass Högl Probleme hat, gesunde Menschen für Tests zu gewinnen: "Wenn sich die Probanden auskennen, haben sie Sorge, dass wir eine RSV feststellen." Zwar ist damit nicht gesagt, wann mit einer Erkrankung zu rechnen ist, aber die Schlaflabortests gelten als anerkannte und spezifische Untersuchung, um Risiken für ein Vorläuferstadium von Parkinson anzuzeigen.

Unruhige Beine im Schlaf

In den meisten Fällen trifft Patienten mit heftiger Schlafbewegung eine harmlosere Diagnose. So ist etwa Schlafapnoe oft mit starken körperlichen Aktivitäten verbunden. Oder es handelt sich um ein anderes, harmloseres Spezialgebiet Högls, das Restless-Legs-Syndrom (RLS), das auch mit nächtlichen Bein-und Körperbewegungen einhergehen kann. Zur Behandlung des als unangenehm empfundenen Bewegungsdranges im Bein wurde früher eine Opiumtinktur, verwendet, sie kommt bei schweren Fällen auch heute noch zum Einsatz. Grundsätzlich wird das RLS als Bewegungsdrang mit Missempfinden in Armen und Beinen bezeichnet, es kann nur schwer lokalisiert und in Worte gefasst werden und tritt in Ruhesituationen auf.

Linderung verschafft allein Bewegung. Patienten beschreiben das Gefühl abends und während der Nacht als schlimmer. Immerhin zehn Prozent der Bevölkerung, Frauen häufiger als Männer, sind betroffen. Doch nur bei drei Prozent ist es so ausgeprägt, dass es einer Therapie bedarf.

Eisenmangel macht rastlos

Das Restless-Legs-Syndrom sei lange Zeit unterschätzt worden, weil es nur schwer zu diagnostizieren ist, erklärt Högl: "Man sieht von außen keinerlei Veränderung, und es verläuft nicht chronisch progredient." Mittlerweile weiß man, dass der Erkrankung genetische Ursachen zugrunde liegen. Zudem wirkt sich Eisenmangel negativ auf das RLS aus. Dieser muss aber nicht zwingend im Blut feststellbar sein. Es kann sich um einen Eisenmangel im Gehirn selbst handeln. Neue Forschungen der Innsbrucker Unikliniken für Neurologie und Innere Medizin konnten erstmals zeigen, dass auch die Mitochondrien, die Energiekraftwerke der Zellen, beim RLS Eisenmangel aufweisen und beeinträchtigt sind.

Noch ist das RLS nicht heilbar, man kann lediglich die Symptome lindern. Dazu werden dopaminerge Medikamente in geringen Dosen verschrieben. Doch selbst sie werden nur empfohlen, wenn die Krankheit eine wirkliche Beeinträchtigung ist. Denn bei einer solchen Therapie kann es zu einer Augmentation kommen. Das heißt: Trotz immer höherer Dosen verschlechtert sich der Zustand der Patienten. Nur in sehr schweren Fällen wird zu weiteren Behandlungsmethoden, wie etwa Opiaten, gegriffen.

Erhöht den Blutdruck

Anders als bei der RSV ist für die Diagnose des RLS nicht zwingend eine Schlaflaboruntersuchung nötig. Wenn aber eine solche durchgeführt wird, lassen sich dabei Rückschlüsse auf andere Erkrankungen ziehen. "Periodische Beinbewegungen im Schlaf sind für RLS charakteristisch. In Verbindung damit treten oft vorübergehende auch Anstiege der Herzfrequenz und des Blutdruckes auf", erklärt Högl. Und genau das ist zurzeit Gegenstand intensiver Forschungen. Denn es gibt derzeit unter Experten kontroverse Diskussionen, ob diese periodischen Beinbewegungen im Schlaf ein Vorzeichen für spätere Herz-Kreislauf-Erkrankungen sein könnten. (Steffen Arora, 19.3.2019)