Der Vorfall ereignete sich in einer Straßenbahn am Platz des 24. Oktober.

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Die Polizei fahndete mit Hochdruck nach dem Täter.

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Utrecht – Einen Tag nach den Schüssen in einer Utrechter Straßenbahn hat die Polizei Hinweise auf ein terroristisches Motiv. Dafür spreche unter anderem ein im Fluchtwagen gefundener Brief, teilte die Polizei am Dienstag mit. Andere Motive würden aber nicht ausgeschlossen.

Direkte Beziehungen zwischen dem Verdächtigen und den Opfern sieht die Polizei indes nicht. Ein Augenzeuge hatte am Montag nach der Tat berichtet, dass der mutmaßliche Täter es gezielt auf eine Frau in der Straßenbahn abgesehen gehabt habe. Auch die Polizei und Medien spekulierten über eine Beziehungstat.

Auch zwei weitere Männer wurden festgenommen. Sie sind 23 und 27 Jahre alt und stammen ebenfalls aus Utrecht. Die beiden Verdächtigen werden angeblich weiter verhört und sind entgegen anderslautenden Meldungen vom Utrechter Bürgermeister Jan van Zanen nicht auf freiem Fuß.

Langsame Rückkehr zur Normalität

Unterdessen legten zahlreiche Menschen am Tatort Blumen nieder. Die Straßenbahnen fuhren wieder normal, ein Gymnasium wollte im Lauf des Tages des Vaters zweier Schüler gedenken, der unter den Opfern war.

Am Montagnachmittag war das öffentliche Leben in Utrecht fast zum Erliegen gekommen, nachdem ein Mann am Vormittag am 24.-Oktober-Platz im Westen der Stadt in einer Straßenbahn das Feuer eröffnet hatte. Durch die Schüsse kamen eine 19 Jahre alte Frau aus Vianen und zwei Männer im Alter von 28 und 49 Jahren aus Utrecht ums Leben. Außerdem wurden drei Menschen schwer verletzt: eine 20 Jahre alte Frau aus Utrecht, ein 74 Jahre alter Mann aus dem Ort De Meern und eine 21 Jahre alte Frau aus Nieuwegein. Vier Menschen wurden leicht verletzt, indem sie zum Beispiel in der Hektik unmittelbar nach der Tat stürzten.

Als Verdächtigen identifizierten die Ermittler den 37-jährigen Türken Gökmen T., der erst am Abend festgenommen wurde. Offenbar war er der Polizei wegen (unpolitischer) Gewalttaten schon bekannt. "Wir wissen relativ viel über ihn", sagte Rutker Jeuken vom Innenministerium. Niederländische Zeitungen berichteten am Dienstag unter Berufung auf Menschen aus dem Umfeld des mutmaßlichen Täters, der in der Türkei geborene, aber in Utrecht aufgewachsene Mann gelte als aggressiver Krimineller. Unter anderem war er wegen Einbruchs, Diebstahls und Vergewaltigungsvorwürfen mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Türkei verurteilt Attacke

Die türkische Regierung hat das Attentat scharf verurteilt. Das Außenministerium erklärte in der Nacht auf Dienstag, die Türkei verdamme die Tat, egal wer sie begangen habe oder welche Motivation dahinterstecke. "Angesichts dieses Angriffs stehen wir in voller Solidarität mit der niederländischen Bevölkerung und der Regierung."

Präsident Recep Tayyip Erdoğan teilte indes mit, dass auch der türkische Geheimdienst zu dem Angriff ermittle. Ziel sei es herauszufinden, ob es sich um einen Terroranschlag oder einen Familienstreit handelte, sagte er. Die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu zitierte zuvor Angehörige mit der Aussage, eines der Opfer sei ein Verwandter, die anderen seien zufällige Passanten gewesen. Der Vater des Verdächtigen sagte der Nachrichtenagentur DHA, er habe keinen Kontakt mit seinem Sohn, seitdem dieser nach der Scheidung von seiner Ehefrau 2008 in die Türkei zurückgekehrt sei. Sein Sohn sollte bestraft werden, wenn er schuldig sei.

Niederländische Politik reagiert

Schon am Montagvormittag hatte die niederländische Politik auf den Vorfall reagiert – und sich dabei sehr früh auf einen Terrorhintergrund festgelegt: Premier Mark Rutte war bereits eine Stunde nach der Tat, am Rande einer Kabinettssitzung, vor die Presse getreten. Er erklärte, man gehe von einem Anschlag aus. Am Abend formulierte er dann, es sei in dieser Sache noch nichts sicher. "Es gibt viele Fragen und Gerüchte." Rutte vermied es in der abendlichen Pressekonferenz aber dezidiert, erneut "Terror" zu erwähnen. Stattdessen sprach er von einer Tat, die wegen ihrer dramatischen Auswirkungen als "Anschlag" zu klassifizieren sei.

Das rechte Forum für Demokratie (FvD), das in landesweiten Umfragen derzeit auf Rang zwei liegt, hatte bereits vor Rutte signalisiert, dass man von einem Anschlag ausgehe: Nun müsse man erst recht über die Zukunft des Landes sprechen, deponierte Parteichef Thierry Baudet. Sein Rivale am rechten Rand, Geert Wilders von der Partei für die Freiheit (PVV), sagte, er vermute einen Terrorakt – offenbar mit Blick auf die Nationalität des Flüchtigen. Wilders forderte auf Twitter eine Debatte im Parlament über die Schüsse. "Die Niederlande haben ein Recht auf die Wahrheit", schrieb er. Sie alle stehen unter Druck: Am 20. März finden Provinzwahlen statt.

Die niederländischen Parteien nahmen unterdessen ihren Wahlkampf für die am Mittwoch anstehenden Provinzwahlen wieder auf. Allerdings soll der Wahlkampf im Ton leiser als sonst geführt werden. Der Wahlkampf war nach den Schüssen in Utrecht ausgesetzt worden.

Kurzzeitige Anhebung der Terrorwarnstufe

Die Behörden hoben wegen des Verdachts die Terrorwarnstufe für die Region Utrecht auf fünf – die höchste Stufe. Erst nach der Festnahme senkten sie sie auf vier. Polizisten postierten sich an Autobahnauffahrten und Bahnhöfen, Moscheen erhielten Polizeischutz. Die Tat hatte auch Auswirkungen auf die Nachbarländer. In Deutschland erhöhten die Behörden ihre Aufmerksamkeitsstufe, vor allem an der Grenze wurden Beamte postiert, die eine Flucht ins Ausland verhindern sollten.

In Österreich verurteilte am Montagabend Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Anschlag auf "friedliche Menschen" auf das Schärfste. "Unsere Solidarität gilt in diesen Stunden den Niederlanden. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen" twitterte er. Ähnlich äußerte sich auch Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP): "Wir stehen den Niederlanden in diesen schwierigen Stunden bei", so Kurz via Twitter. (red, mesc, 19.3.2019)