Herr B. und sein Videotelefon.

Foto: ZDF

Um 7.30 Uhr schaltet sich bei Herrn B. das Videotelefon ein. Eine kurze Einschaltung weckt ihn und sagt Zeit und Datum an. Er begibt sich aus seinem schalldichten Schlafraum und verwendet ein tragbares Schaltpult, um die Beleuchtung in seinem Wohnturm-Apartment hochzudrehen. Derweil schmort im Hochfrequenzofen bereits sein "Normfrühstück FS10". Der Spezialdrucker surrt und spuckt die Morgenausgabe seiner Lieblingszeitung aus. Es ist das Jahr 2000, wie es sich die Autoren der ZDF-Dokumentation "Richtung 2000" im Jahr 1972 vorstellten.

Am riesigen Bildschirm im Wohnzimmer laufen Shows diverser TV-Sender, 15 davon sind sogar ausländische Stationen, die über das internationale Funknetz senden. Herr B. verzichtet auf das Passanten-Förderband und geht auf altmodische Art zum Bahnhof, wo ihn ein flotter, propellergetriebener Monorail-Zug binnen 15 Minuten an seinen 80 Kilometer entfernten Arbeitsort bringt, wo er mit einem per Münzeinwurf bezahlten Elektroauto ins Büro fährt. Denn auf Umweltverschmutzung stehen mittlerweile hohe Strafen.

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Zu viel Freizeit

B. arbeitet er in der Aufsicht einer Datenbank. Hunderte Computer verarbeiten und speichern hier Wissen aus aller Welt. Wer Zugriff darauf benötigt, muss dafür bezahlen. Die Kundschaft reicht von Journalisten und Politikern bis hin zu Universitäten. Sein eintöniger Job macht B. allerdings nicht glücklich, zudem weiß er schon jetzt nicht, was er mit seiner Freizeit anstellen soll.

Die 25-Stunden-Woche ist zur Norm geworden, ebenso der Ruhestand mit 50 – als Folge der voranschreitenden Automatisierung. Wer es nicht schafft, abseits der Arbeit ausreichend Erfüllung zu finden, dem bleibt noch Optimum 10 – ein schnellwirkendes Medikament gegen Depressionen aller Art, das den Alltag wieder schön erscheinen lässt.

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Richtige und falsche Vorschau

"Richtung 2000" pendelt zwischen teils absurden und teils recht akkuraten Prognosen wahlweise eutopischer und dystopischer Natur. Manche sind bereits eingetreten – wenn auch in anderer Form. Das Internet hat man zwar nicht vorausgesehen, doch Smartphones, smarte Lautsprecher mit Displays und kostengünstigen Zugang zu Programmfernsehen und Video-on-Demand gibt es heute ebenso wie frei herumstehende Mietautos.

Der Zeitungsdrucker hat sich bereits überholt. In den 1970ern kamen die ersten Faxgeräte auf, die kommerzielle Nutzung für die Übertragung von Zeitungsinhalten anstelle der regulären Printausgabe blieb aber eine Ausnahmeerscheinung. Die Verlagerung ins Internet hat vielen einstigen Papiermedien allerdings tatsächlich beträchtliche Auflagenverluste beschert.

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Ein Blick auf die Dokumentation von damals lohnt sich aber nicht nur aufgrund ihrer Zukunftsvision. Denn sie beleuchtet auch drängende Themen der damaligen Zeit, die sich bis heute stellen – von der Luftverschmutzung bis zur Vermögensverteilung. (red, 21.3.2019)

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