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Bürger der bosnischen Stadt waren dabei, als der Leichnam von David Dragičević vergangene Woche in Banja Luka exhumiert wurde.

Foto: AP Photo/Radivoje Pavicic

"Du solltest den Ball ein bisschen flacher halten", sagte der Polizist, "nicht, dass noch jemand so endet wie David." Daniela Ratešić verstand die indirekte Drohung sofort und fühlte, dass ihre Tochter in Lebensgefahr sein könnte. Ratešić war eine der Organisatoren der Bürgerrechtsinitiative Gerechtigkeit für David. Monatelang gingen in Banja Luka täglich Menschen auf die Straße und forderten die Aufklärung des mysteriösen Todes des 21-jährigen Studenten David Dragičević.

Dragičević verschwand in der Nacht vom 17. auf den 18. März, genau vor einem Jahr, zuvor war er noch in Lokalen gesehen worden. Am 24. März wurde er mit zahlreichen Wunden tot in einem Abwasserkanal mitten in der Stadt gefunden. Die Behörden gaben zunächst die falsche Todesursache – Unfall – an und machten weitere widersprüchliche Angaben. Sie versuchten, Dragičević zu kriminalisieren. Doch dann gingen die Bürger auf die Straße.

Leiche nach Wiener Neustadt überstellt

Dragičevićs Leichnam wurde vergangene Woche in Banja Luka exhumiert und nach Wiener Neustadt überstellt, wo seine Mutter lebt. Sie wollten nicht, dass ihr Sohn permanent "in einem Mafiastaat" begraben liege, sagen seine Eltern. Vater Davor Dragičević ist, nachdem Ende Dezember ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde, untergetaucht – offensichtlich hat er Angst vor den Behörden.

Sicher ist: Viele von denen, die Transparenz in dem Fall gefordert hatten, haben nun selbst Probleme bekommen. Unter ihnen die Krankenschwester Daniela Ratešić, die aufgrund des Drucks ihren Job im Spital aufgeben musste. Am 30. Dezember des Vorjahres wurde sie festgenommen. "Sie legten meine Hände auf meinen Rücken und fesselten mich mit Handschellen", erzählt sie und betont, dass sie freiwillig mitgegangen wäre.

Ruhestörung

Im Polizeifahrzeug hörte sie dann die Liste jener Personen im Radio, die festgenommen wurden. Sie alle waren beim Verein Gerechtigkeit für David engagiert. Erst Stunden später, um zwei Uhr in der Früh, erfuhr sie auf der Polizeiwache, dass sie wegen Ruhestörung nach 22 Uhr verhaftet worden sei. "Das war eine Lüge, weil ich den Platz um 19.30 Uhr verlassen hatte und um 22 Uhr gar nicht mehr dort war. Mir wurde klar, dass die die ganze Geschichte erfunden hatten, um uns zu brechen", so Ratešić zum STANDARD.

Die Krankenschwester wurde in eine überheizte Zelle, die nach Exkrementen stank, gebracht. Ihr wurde so übel, dass sie in die Notaufnahme gebracht werden musste. Danach wurde sie wieder einvernommen. "Es ging um Ereignisse, an denen ich überhaupt nicht teilgenommen hatte, weil ich da in Deutschland war", erzählt sie von der Befragung. Damals habe auch ein Beamter die Anspielung auf ihre Tochter gemacht, so Ratešić. Nach der Polizeierfahrung tauchte sie unter.

An diesem 30. Dezember 2018 kam es auch zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Beamten auf dem Krajna-Platz, die Polizei reagierte völlig überzogen. Seither ist die Protestbewegung Gerechtigkeit für David, die für viele Bosnier ein Hoffnungsschimmer war, schwer angeschlagen, und viele Menschen wollen das Land verlassen. Denn sie hatten auf Reformen des Rechtsstaats gehofft. Das Verbrechen an David wurde bis heute nicht aufgeklärt.

Demonstrationen verboten

Laut Gerechtigkeit für David wurden jedoch etwa zehn Personen, die für mehr Rechtsstaatlichkeit demonstriert hatten, versetzt, zum Teil auf schlechtere Positionen, zwei wurden entlassen – neun von ihnen hatten in Institutionen des bosnischen Landesteils Republika Srpska gearbeitet. Die Demonstrationen wurden mit der Begründung, das normale Leben der Bürger würde dadurch gestört werden, verboten.

Auch die Veranstaltung zum Gedenken daran, dass David Dragičević genau vor einem Jahr verschwunden ist, wurde untersagt. Sie sollte am Montag stattfinden. Vertreter von Gerechtigkeit für David dürfen auch bei keinen anderen Demos mehr auftreten.

Der Druck ist insgesamt gestiegen. Der politische Analyst Srđan Šušnica verließ Banja Luka Ende Februar, nachdem er und seine Familie mehrere Todesdrohungen erhalten hatten. Šušnica hatte die regierende SNSD von Milorad Dodik kritisiert. Sorgen bereiten nun auch Gesetzesvorhaben im bosnischen Landesteil Republika Srpska, die sowohl die Versammlungsfreiheit als auch die Medienfreiheit einschränken und die Zivilgesellschaft behindern könnten. So könnten künftig jene NGOs stärker überwacht werden, die aus dem Ausland Geld bekommen.

Ausländische Agenten

Wie in Ungarn werden Vertreter der Zivilgesellschaft auch in Bosnien-Herzegowina oft als "Verräter" oder "ausländische Agenten" verleumdet. Viele NGOs haben überhaupt keine Distanz zur Regierung, sondern werden von dieser instrumentalisiert. Eine Gesetzesänderung bezieht sich darauf, dass "üble Nachrede" wieder im Strafrecht verankert werden soll. Dies wird als besonders heikel gesehen, weil erst 2002 durch internationalen Druck erreicht werden konnte, dass der Paragraf aus dem Strafgesetzbuch herausgenommen worden war. (Adelheid Wölfl, 19.3.2019)