Demonstranten und Polizei standen einander am Sonntag gegenüber.

Foto: AFP / Andrej Isakovic

Sie gehen seit Anfang Dezember für mehr Demokratie auf die Straße. Am Sonntag versuchten regierungskritische Demonstranten in das Präsidentschaftsgebäude einzudringen, in dem Staatschef Aleksandar Vucic gerade eine Pressekonferenz gab. Am Vortag waren einige ins Gebäude des nationalen Fernsehens gestürmt und hatten verlangt, live im TV sprechen zu können.

Die Protestbewegung umfasst sehr unterschiedliche Leute, von ganz rechts bis ganz links, aber auch Uniprofessoren. Sie alle fordern den Rücktritt von Vucic. Die Bewegung "Einer von fünf Millionen" benannte sich nach einem Zitat des Politikers. Vucic hatte am 9. Dezember gesagt: "Geht ruhig auf die Straße, eine Meile lang, wie ihr wollt. Aber ich werde nicht eine Forderung erfüllen! Selbst wenn sich fünf Millionen von euch versammeln."

Zuvor war ein Oppositionspolitiker zusammengeschlagen worden. Seither fanden in 30 Städten Demonstrationen statt. Vucics Fortschrittspartei verfügt aber nicht nur im Parlament über eine absolute Mehrheit, viele Beobachter sprechen von einem mittlerweile autokratischen Regime.

Die Demonstranten fordern mehr Kontrolle der Wahlprozesse und wollen, dass auch Oppositionspolitiker wieder im Fernsehen zu Wort kommen. Die Parlamentarierin Branka Stamenkovic von der größten Oppositionspartei "Es reicht" erzählt etwa, dass niemand von ihrer Partei ins nationale Fernsehen RTS eingeladen wird. "Die Medien sind unter der kompletten Kontrolle der Regierung", sagt sie.

Keine Chance auf Fragen

Die Abgeordneten der Regierungsparteien würden auch die Parlamentsdiskussionen dominieren, wenn diese im Fernsehen übertragen werden. "Wenn ein Regierungsmitglied ins Parlament kommt, bekommen nur die kleinen Oppositionsparteien die Chance, etwas zu fragen. Seit wir seit 2016 im Parlament sind, haben wir kein einziges Mal eine Frage stellen können", erzählt sie von dem offensichtlich dysfunktionalen Parlamentarismus.

Es fehle an Zeit für echte Debatten. Die Vorschläge der Oppositionsparteien würden nicht einmal diskutiert. Parlamentspräsidentin Maja Gojkovic von der Regierungspartei SNS weist die Vorwürfe der Opposition zurück: "Alle Abgeordneten haben die gleichen Rechte und können gemäß der Geschäftsordnung der Nationalversammlung sprechen", so Gojkovic zum STANDARD. "Die Einschätzungen und Forderungen der Vertreter der Opposition stimmen nicht mit objektiven Fakten überein." Oppositionsabgeordnete würden sehr wohl Vorschläge einbringen, so Gojkovic.

Der Jurist Marko Kmezic vom Zentrum für Südosteuropa-Studien an der Universität Graz kritisiert allerdings das Fehlen eines echten politischen Diskurses. "Während handverlesene Mitglieder der Exekutive den Gesetzgebungsprozess von Anfang an bis zur Abstimmungsphase diktieren, wird die parlamentarische Opposition durch unverhältnismäßigen Einsatz von Disziplinarmaßnahmen, häufigen Gebrauch von Dringlichkeitsverfahren und kurzfristigen Änderungen der Tagesordnung außer Gefecht gesetzt, so Kmezic zum STANDARD.

Selbst die Verabschiedung des Gesetzes über das Budget für 2018 habe ohne parlamentarische Debatte stattgefunden. Keiner der Gesetzesvorschläge der oppositionellen Abgeordneten sei im Parlament angenommen worden. Kmezic meint, dass die Regierungspartei SNS so handle, weil sie Angst habe, ihre Macht nicht halten zu können. "Deshalb setzt sie nicht nur die Opposition im Parlament außer Kraft, sondern bildet auch eine groteske Armee von Internettrollen, deren Aufgabe darin besteht, in Onlinenachrichtenplattformen Kommentare zu hinterlassen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen."

Auch die fehlende Überprüfung der Meinungsfreiheit führe zu einer ernsthaften Erosion der Demokratie in Serbien, da den Bürgern der Zugang zu verlässlichen Informationen fehle, um bei Wahlen fundierte Entscheidungen treffen zu können.

Illiberale Demokratie

Seit Vucic die Macht übernommen habe, sei es zu einer Konsolidierung der illiberalen Demokratie gekommen. Die Regierung mache nur Reformen, die wenig kosten würden, um das Bild einer fortschreitenden EU-Integration zu erhalten. "Gleichzeitig stärkt sie die auf Informalität, Korruption und Nepotismus beruhende Herrschaft", so Kmezic. Reformen im Bereich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit fehlten völlig. (Adelheid Wölfl, 18.3.2019)