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Es kann gut sein, dass Marcel Hirscher weiterhin macht, was er sehr gut kann. Es kann aber auch sein, dass er seine Karriere beendet.

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Wien – Marcel Hirscher hat sich noch nicht entschieden. Hätte er sich bereits entschieden, so wäre das für den geneigten Skisportfan doch eine gewaltige Überraschung gewesen. So aber hat der 30-jährige Salzburger am Dienstag bei der traditionellen Saison-Abschluss-Pressekonferenz seines Kopfsponsors Raiffeisen seine sportliche Zukunft wie erwartet noch offen gelassen. Der achtfache Gesamtweltcupsieger wolle sich die Entscheidung in Ruhe überlegen.

Hirscher und ein Teil seiner Kugeln im Blitzlichtgewitter.
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"Ich kann nicht sagen, es ist A oder B. Ich möchte mir nicht allzu viel Zeit geben, aber mehr als 48 Stunden wären toll", sagte Hirscher, der sich nach der am Wochenende beim Weltcupfinale in Soldeu zu Ende gegangenen Saison "sehr müde" fühlt. Er möchte daher erstmal regenerieren. Das könne einige Tage dauern, weil die Saison doch sehr viel Kraft gekostet habe. "Ich bin jetzt zehn Jahre im Weltcup-Zirkus dabei. Ich möchte schauen, ob es körperlich und mental noch einmal möglich ist, so eine Saison durchzuziehen."

Der Gefühlsmensch

Eine Verringerung seiner Einsätze kann sich Hirscher zwar grundsätzlich vorstellen, er wolle aber nicht nur Rennen fahren, es gehe ihm schon auch um Kristallkugeln und um den Gesamtweltcup. Es sei ein erheblicher Unterschied, ob man sich auf einzelne Rennen vorbereite oder auf das gesamte, große Projekt. Als Gefühlsmensch wolle er nun schauen, ob die Freude wieder zurückkommt oder auch nicht. Und die Entscheidung auf sich zukommen lassen. Eine Tendenz könne er noch nicht ausmachen. Er wolle keine Plus-Minus-Statistik aufstellen, wolle aus dem Bauch heraus entscheiden. Grundsätzlich wolle er sich aber mit der Entscheidung nicht zu viel Zeit lassen, um sein Betreuerteam nicht zu lange im Unklaren zu lassen.

Die Parameter

Sollten die Grundparameter stimmen, er sich mental und körperlich in der Lage fühlen, noch ein Jahr anzuhängen, dann warte sehr viel Arbeit auf ihn, gleichzeitig aber bedeute das auch eine große Motivation für ihn. Wenn er in den vergangenen Jahren – ähnlich wie zuletzt in Soldeu – manchmal hinterhergefahren sei, dann sei das auch immer ein Anstoß dafür gewesen, wieder einen Schritt nach vorne zu machen. Insofern könne es durchaus sein, dass Hirscher durch das überraschend schlechte Abschneiden beim Weltcupfinale mit den Plätzen sechs im Riesentorlauf und 14 im Slalom (mit der 23. und schlechtesten Zeit im zweiten Lauf) neue Kraft schöpft. Er müsse sich dieser Enttäuschung stellen, das sei nicht lustig und ungewohnt, eine neue Erfahrung. Er könne dem aber auch etwas Positives abgewinnen, weil er alles gegeben habe. Zudem müsse man jenen, die den Takt vorgeben, dankbar sein, "weil sie bringen das Skifahren wieder auf ein neues Level." Er sei keine 18 mehr und es sei im Profisport schon ein Unterschied, ob man jung oder eben 30 sei. Dort und da zwicke es nun schon ein bisserl.

Manko auf der Habenseite

Hirscher glaubt nicht, dass er weiter von seiner Routine und seinem erarbeiteten Vorsprung zehren wird können und so erfolgreich wie bisher sein kann. Er mache das schon die letzten vier Jahre. "Jetzt muss ich wieder Mal bissl was auf die Habenseite geben. Testen, arbeiten, entwickeln. Letztes Jahr bin ich wenig Ski gefahren, dann war auch noch die Verletzung. Da war keine Weiterentwicklung von meiner Seite her möglich. Sollte es weitergehen, ist es schon notwendig, dass ich mich ordentlich dahinterklemme."

Die anderen Athleten hätten schließlich auch nicht geschlafen. "Ich habe beim Finale lachen müssen, ich weiß nicht, ob ich der Erste war, aber mittlerweile ist es so, dass jeder Topathlet mit drei Paar Skiern und zwei Service-Leuten zur Besichtigung kommt. Es ist unfassbar, was mittlerweile für ein Aufwand betrieben wird. Es ist verrückt." Anfangs sei er belächelt worden, wenn er bei der Besichtigung nochmal die Setups durchprobiert habe. "Heute ist das Standard."

Ende der Fahnenstange

Den Vorsprung, den er sich herausgearbeitet habe, habe er verloren, weil die anderen sehr schnell nachziehen. In der Ausbeute spiegelt sich das allerdings nur bedingt wider. In der abgelaufenen Saison hat Hirscher 22 Rennen bestritten, geplant waren eigentlich 25. Mit 1546 Punkten (neun Siege) hat er den vergangene Saison erreichten Wert von 1620 Zählern (13 Siege) zwar verpasst, obwohl er 2017/18 lediglich 20 Starts verzeichnete, die Weltcup-Gesamtwertung dennoch mit einem satten Vorsprung von 401 Punkten auf den Franzosen Alexis Pinturault gewonnen.

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Hirscher will sich kein Beispiel an Roger Federer nehmen.
Foto: REUTERS/Leonhard Foeger

Nun aber gelte es – sofern es weitergeht – den nächsten Schritt zu machen, "noch professioneller zu werden." Aber das müsse mit allen Beteiligten, mit Partnern, Sponsoren und Veranstaltern vereinbar sein. Dabei gehe es auch um viele Kleinigkeiten. Etwa um den Schlaf, das Reisen, das Essen. Man könne zwar beim Material immer etwas machen und weiterentwickeln, aber an sich selbst könne er nicht mehr viel perfektionieren. "Was soll ich anders machen?"

Hirscher vs. Federer

Eine längerfristige Planung für seine aktive Karriere, etwa bis zu den Olympischen Spielen in Peking 2022, zieht Hirscher überhaupt nicht mehr in Erwägung, er wolle sich nicht an Spitzensportlern wie Roger Federer orientieren, der mit 37 Jahren noch sehr erfolgreich auf den Tennisplätzen der Filzkugel hinterherjagt. "Ich habe so jung angefangen, bin schon 2009 in Val d'Isère um WM-Medaillen mitgefahren. Ich bin schon zehn Jahre auf diesem Leistungsniveau. Und normal sagt man, dauert eine Skikarriere, in der man voll vorne mitfahren kann, zehn Jahre.

Die Frage nach dem Aufhören, wenn es am schönsten ist, habe er sich schon oft stellen dürfen: "Glücklicherweise bin ich diesem Leitfaden nie nachgegangen, sonst hätte ich 2012 in Schladming aufgehört." (Thomas Hirner, 19.3.2019)