Moritz ist 14 und verbringt viel Zeit vor dem Computer. Das ist den Eltern ein Dorn im Auge und führt immer wieder zu Streitereien. Die Eltern meinen, er soll sich draußen bewegen, ein vernünftiges Hobby suchen und nicht ständig in seinem Zimmer hocken. Moritz sagt aber, dass es ihm Spaß macht, mit Freunden online zu spielen.

Die 15-jährige Elli hat seit zwei Wochen einen Freund. Sie verbringt die meiste Freizeit mit ihm und will am Wochenende auch bei ihm übernachten. Mutter Ricarda war schon vor einigen Monaten mit ihrer Tochter beim Frauenarzt, um die Pille verschreiben zu lassen. Vater Othmar ist aber strikt dagegen, dass seine Tochter einen Freund hat und auch noch bei diesem über Nacht bleiben möchte.

Melvin, 16, hat eine chronische Erkrankung, die es nötig macht, dass er Medikamente nimmt. Er ist sehr chaotisch, vergisst viele Dinge und kann in seinem Zimmer keine Ordnung halten. Damit treibt er seine Mutter immer wieder auf die Palme. Diese muss ihn immer wieder daran erinnern, die Medikamente zu nehmen. So ist es für sie eine ständige Gratwanderung zwischen der Verantwortung, die sie für ihren Sohn hat, und der Selbstständigkeit, die er als Erwachsener braucht.

Los, loslassen!

Das Loslassen des eigenen Kindes ist ein großer Schritt. War es im Kleinkindalter meist noch einfach zuzulassen, dass das Kind seine ersten Schritte macht, sich immer wieder von der Mutter entfernt, um zu entdecken, zu spielen und festzustellen, dass es auch für einige Zeit ohne wichtige Bezugsperson auskommen kann, so ist dieses Loslassen in der Pubertät für viele Eltern gar nicht mehr so einfach.

Der Übergang zwischen Bevormundung und Loslassen ist ein fließender, der die Eltern vor eine große Herausforderung stellt. Die Abwägung und Bewertung der Selbstständigkeit des eigenen Kindes. Wo und in welchen Bereichen machen Eltern die eigenständige Bestimmung des Kindes möglich, und wo ziehen sie eine Grenze?

Den Kindern beim Erwachsenwerden zuzuschauen ist für viele Eltern eine schwierige Phase.
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Kinder brauchen eine sichere Basis, um sich auszuprobieren

Pubertät ist die Zeit der Krisen, des Ausprobierens und des Sich-neu-Erfindens, in der Jugendliche sich oftmals mit sich selbst nicht mehr auskennen und völlig verunsichert sind, in der sie gegen alles und jeden rebellieren, alles anders machen wollen als ihre Eltern. Hier ist von allen Beteiligten viel Toleranz gefordert.

Wichtig ist, dass Eltern erkennen, dass sie ihrem Sprössling trotz all der Schwierigkeiten im Alltag eine sichere Basis bieten können und sollen. Wie schon als Kleinkind, bietet diese sichere Basis den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, sich selbst und ihre Umwelt zu erforschen, eigene Erfahrungen zu machen. Wenn die Unsicherheit zu groß wird, wieder in die vertraute Umgebung zurückzukommen, um dort Sicherheit zu tanken für die nächsten Anforderungen. Nur dass dieses Erforschen und Eigene-Erfahrungen-Machen meist von ganz anderer Art ist als damals, als das Kind noch klein war.

Zwischen Vertrauen und Kontrolle

Denn bei all den Wünschen der Jugendlichen nach Selbstständigkeit, danach, selbst bestimmen, selbst entscheiden zu dürfen und erwachsen sein zu wollen, haben sie immer noch sehr stark das Bedürfnis nach Sicherheit und Geborgenheit, die ihnen mitunter die vertraute Umgebung gibt.

Für Eltern und Bezugspersonen ist dies oftmals ein schmaler Grat zwischen Vertrauen und ständiger Kontrolle, zwischen warnen und beschützen, zwischen initiativ sein lassen und zurückhalten. Dieses Vertrauen von Erwachsenen in die Persönlichkeit und Eigenständigkeit des jungen Menschen, in seine Stärken, Fähigkeiten und Fertigkeiten und auch das Vertrauen des Kindes und Jugendlichen in seine eigene Handlungsfähigkeit ermöglicht dem Heranwachsenden, sich zu einem eigenständigen Menschen zu entwickeln.

Im Rahmen erwachsen werden

Grundsätzlich ist es auch von großer Bedeutung, dass Eltern und Bezugspersonen ihre Befürchtungen, Sorgen und Ängste und Erwartungen mit dem Kind oder Jugendlichen besprechen.

Da Pubertierende sich jedoch meist nichts sagen lassen wollen und sehr empfindlich auf jede Art von vermeintlicher Bevormundung reagieren, ist es wichtig, das Kind und den Jugendlichen in seinen Vorstellungen und Bedürfnissen ernst zu nehmen, in der Auseinandersetzung mit ihnen gemeinsam mögliche Folgen und Konsequenzen aufzuzeigen, die sie aufgrund ihrer bisherigen Lebenserfahrung noch nicht abschätzen können. Die Vorbildwirkung der Eltern gibt den jungen Menschen zusätzlich das Vertrauen, dass und wo sie sich Ratschläge, Hilfe und Unterstützung suchen können.

Es ist für Bezugspersonen schwer, zuschauen zu müssen, wie das eigene Kind seine Erfahrungen machen will und aus seinen Fehlern lernen darf. Und klarerweise wird dabei immer wieder auch das Vertrauen der Eltern ins Kind auf eine harte Probe gestellt werden, wenn es sich mal wieder nicht an ausgemachte Regeln hält.

Regeln und Vorgaben durch die Bezugspersonen sind notwendig. Sie geben dem Kind und Jugendlichen einen Rahmen vor, innerhalb dessen es entscheiden kann. Gleichzeitig bieten diese Vorgaben die Möglichkeit, sich an den Grenzen zu reiben, mit den Eltern zu diskutieren und zu argumentieren, den Aufstand zu proben, Regeln oder Grenzen zu überschreiten und mit den Konsequenzen umgehen zu lernen.

Schwierige Zeit

Die Konsequenz der Eltern und Bezugspersonen bedeutet für die jungen Menschen, dass sie sich auf die Erwachsenen verlassen können. Dies zeigt aber auch, wie wichtig es ist, dass Eltern sich nicht komplett aus der Verantwortung nehmen und dem Kind beziehungsweise Jugendlichen alle Freiheiten lassen. Dadurch verlieren diese die Orientierung, sind verunsichert, weil es keine Verbindlichkeit gibt und nichts, an dem sie sich festhalten können.

Wichtig für diese schwierige Zeit der Ablösung vom Elternhaus ist also, dass die Beziehung zwischen Eltern/Bezugspersonen und Kind beziehungsweise Jugendlichem tragfähig ist, dass Vertrauen herrscht, das schon lange aufgebaut wurde und auf das sich beide Seiten verlassen können. Dann können Bezugspersonen das Erwachsenwerden der Kinder bedürfnisorientiert begleiten.

Ihre Erfahrung?

Wie erleben Sie die Loslösung Ihrer Kinder? Wie gehen Sie als Elternteil mit der Ablösung Ihrer Kinder aus dem Elternhaus um? Vor welche Herausforderungen stellt Sie das Erwachsenwerden Ihrer Kinder? Posten Sie Ihre Erfahrungen, Fragen und Ideen im Forum! (Andrea Leidlmayr, Christine Strableg, 22.3.2019)