Dusty in Memphis – dasselbe Album hatte in England ein anderes Cover. Das Bild zeigt das amerikanische Original von 1969.

Eine Wiederholung wäre schön gewesen, hätte aber die Einzigartigkeit zerstört. Aber es kam ohnehin nicht dazu. Dusty in Memphis floppte. Man kann sich das kaum vorstellen, schließlich hat die Geschichte das Album über die Jahre und Jahrzehnte ins rechte Licht und in den Rang eines Klassikers gerückt, doch als es 1969 erschien, machte es sich in den Charts kaum bemerkbar. Nur Son of a Preacher Man notierte als Vorabsingle 1968 in den UK-Top-Ten, das Album selbst krepierte in Schönheit.

Heute gilt es längst als Wunder. Die je nach Quelle zwischen dem 17. Jänner und dem 31. März 1969 erschienene Platte gilt als Meilenstein der Popgeschichte. Irgendwie fiel darauf alles, wie es sollte. Und damit sind nicht bloß die Songs und die Aufnahmen gemeint. Auch dass Dusty Springfield sich autobiografisch gerade an einer Wegkreuzung befand, kam dem Album zugute.

Durch mit England

Die als Mary Isobel Catherine Bernadette O'Brien 1939 in England geborene Sängerin war einer der größten Popstars ihrer Zeit. Sie regierte die Insel und hatte eine eigenen TV-Show, mit der sie unter anderem US-amerikanische Soul-Musik in England protegierte. Ende der 1960er war auf der Insel für sie nicht mehr viel zu holen.

In einer der vielen auf Youtube zu findenden Dokus sagt ihre Managerin, dass England damals abseits von London nicht viel hergab. Fuhr man raus, spielte man schnell einmal in den Pubs vor den Minenarbeitern. Das passte nur bedingt zu den üppig orchestrierten Popsongs, mit denen Springfield berühmt geworden war. Ihre Hadern und Schmachtfetzen bettete sie auf große Orchester; sie trugen ihre oft bittersüß träufelnden Balladen.

Die Sache mit Led Zeppelin

Der Vorschlag, nach Amerika zu gehen, kam also gerade recht, ein Vertrag mit Atlantic Records ebenso. Atlantic war ein Big Player in der Soulmusik der 1960er-Jahre. Für das Label sollte es sich bezahlt machen, dass es Springfield unter Vertrag nahm. Nicht wegen der Erlöse von Dusty in Memphis, nein. Aber Springfield schwärmte den Atlantic-Männern Jerry Wexler und Ahmed Ertegün von einer britischen Band vor, die sie in Folge unter vertrag nahmen: Led Zeppelin. Schrägerweise gibt es sogar ein Promoalbum von 1969 mit Songs von Dusty in Memphis und des ersten Led-Zep-Albums.

Springfield – blond mit Turmfrisur – galt trotz ihrer Popularität als scheue und unsichere Person. Ihr kam zupass, dass sie meist ein großes Orchester im Rücken hatte, das sie hielt. In Memphis war das plötzlich anders. Wexler tat mit Springfield, was er mit vielen Künstlern damals gemacht hat: Er fuhr mit ihr nach Memphis, um in den dortigen Studios aufzunehmen. Die hatten Hausbands. Meist war es ein loser Verband von sich mit anderen Studios überschneidenden Musikern, die den Backbone für hunderte Aufnahmen gaben. Springfield brachte er ins American Sound Studio.

Dusty mit Engineer Tom Dowd im Studio in Memphis.

Dusty soll mit vollen Hosen in Memphis eingetroffen sein. Für sie war das heiliger Boden, der ihr ordentlich Respekt einflößte. Dort hatten Stars aufgenommen, deren Musik sie vergötterte. Sich mit diesen gewissermaßen zu messen, hemmte sie. Obwohl sie ein Star war, kam sie in der Rolle nie wirklich an. Viele Wegbegleiter von ihr sagten, dass das ihr Leben lang so geblieben war.

Ringen um Songs

Anders als bisher fand sie sich in einem kleinen Studio wieder, in dem sie mit einer Hand voll Typen wie (dem erst vor kurzem gestorbenen) Reggie Young, Bassist Tommy Cogbill oder der Backgroundband Sweet Inspirations auf engem Raum aufnehmen sollte. Wexler hatte für Dusty einige Songs ausgewählt, mit denen sie nur bedingt einverstanden war. Es begann ein Ringen, das die Aufnahmen hindurch nicht nachlassen sollte – wiewohl Springfield im Nachhinein Wexler dankte, dass er so insistierend war.

Eddie Hintons Breakfast in Bed – eine der Perlen dieses Albums.
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Wexler präsentierte ihr Songs von Gerry Coffin und Carole King, Randy Newman, von Burt Baccarach und einen Song des Memphis-Homeboys Eddie Hinton. Das forderte vor allem die Band.

Die war es gewohnt, Southern Soul zu spielen. Das konnten sie im Schlaf, lässig schlurfende Tempi, funky Licks. Doch Wexlers Auswahl und die erst für später geplante Aufnahme von Streichern erforderte einen subtileren Zugang. Das forderte und das förderte das Beste zutage. Elf Songs wurden am Ende für das Album ausgewählt, Dusty hat einige Gesangsspuren später in New York neu eingesungen – doch das Fundament dieses Klassikers rechtfertigt seinen Namen allemal.

Die Fallhöhe der persönlichen Katastrophe

Dusty in Memphis betört neben einzelnen Songs mit einer Stimmung, die es so perfekt macht. Es ist mellow wie ein Breakfast in Bed. Eddie Hintons gleichlautender Song steht für ein Grundgefühl, aus dem Springfield immer wieder ausbricht. Gleichzeitig zeigt es, dass in der vermeintlich entspannten Stimmung das Drama jederzeit ums Eck blicken kann. Liebe ohne Enttäuschung ist im Pop natürlich fad, das Drama braucht die Fallhöhe der persönlichen Katastrophe.

Diesbezüglich konnte Springfield liefern. Sie wandelt durch Schluchten, klettert Krater hoch, um wieder ins Bodenlose zu fallen. So Much Love kommt mit so many Versprechungen daher – die können sich nicht alle erfüllen. Springfields Offenbarungen scheint der Zweifel in jedem dieser Songs schon eingeschrieben sein.

Jeder Song hier ist ein kleines Kunstwerk: So Much Love.
igotyoudancing

Das Herzstück dieses Albums ist natürlich Son of a Preacher Man. Wexler hatte es eigentlich für Aretha Franklin ausgesucht, doch Springfield hat es vor ihr aufgenommen. Als ewige Zweiflerin befand sie Franklins im Jahr darauf erschienene Version als die bessere, aber da war sie zu streng zu sich. Dustys Version wurde in Großbritannien ein Top-Ten-Hit; doch erst nachdem Quentin Tarantino das Lied ein Vierteljahrhundert später in Pulp Fiction einsetzte, schoss es auch in den USA durchs Dach.

Der unschlagbare Klassiker des Albums.
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In tief empfundenen Balladen wie In The Land Of Make Believe vermeint man das persönliche Drama Springfields zu hören. Aus einem katholischen Haushalt kommend, haderte sie ihr Leben lang mit ihrer Homosexualität – selbst noch als sie längst mehr oder weniger offen mit Frauen zusammenlebte. Ihr Konflikt zwischen Image und Person, zwischen Schein und Sein wird bis heute diskutiert – 20 Jahre nach ihrem frühen Tod mit nur 59 Jahren.

Jedes Glück wirft einen Schatten. No Easy Way Down.
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Wie sehr diese Zerrissenheit ihre Kunst beeinflusste, steht im Kaffeesud. Dass sie mit unglaublicher Eleganz durch die Höhen und Tiefen der Emotionen navigieren konnte, zeigt jeder Song. Jedes Glück des Lebens wirft einen Schatten, und den durchmisst Dusty in einem Tonfall, der einen ins Herz trifft.

Wo im Deep Soul die Knospen aufspringen

Das Album endet mit zwei schweren Brocken: dem programmatisch wirkenden No Easy Way Down sowie dem um Zweisamkeit flehenden I Can’t Make it Alone. Traumwandlerische Balladen im unteren Midtempo, dort, wo im Deep Soul die Knospen aufspringen.

Das finale I Can't Make it Alone. Danach sollte man das Album wieder von vorn anhören.
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Springfield nahm ein Jahr später ein weiteres Album für Atlantic auf: A Brand New Me. Keine schlechte Arbeit, aber es besitzt nicht die Klasse seines Vorgängers. Wexler versuchte ebenfalls ein Jahr später sein Glück auf sehr ähnliche Weise noch einmal, mit der schottischen Sängerin Lulu. Mit ihr fuhr er runter nach Muscle Shoals, wo er mit der dortigen Studioband das Album New Routes aufnahm. Mit Typen wie Eddie Hinton, Jim Dickinson, Jimmy Johnson oder Roger Hawkins. Auch nicht schlecht, doch ebenfalls nur ein Album, das zeigt, wie herausragend Dusty in Memphis war – und 50 Jahre später immer noch ist. (Karl Fluch, 26.3.2019)