Der Appell gegen den "Gender-Unfug" sorgte für Debatten. Eine Gegenposition zum Verein Deutsche Sprache (VDS) nimmt Claudia Posch ein. Im Gastkommentar moniert die Linguistin, dass der Verein Beispiele für elegantes Gendern ignoriere und mit künstlicher Empörung seine antifeministische Agenda vorantreibe.

Der VDS will Verunsicherung und Wut erzeugen, kritisieren Feminist*innen.
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Alle Jahre wieder kommt mindestens ein unseriöser Aufruf, die deutsche Sprache vor dem sogenannten Gendern zu retten. Seit 40 Jahren wiederholen sich dieselben unrichtigen und inzwischen auch richtig langweilig gewordenen Argumente ("Sprachverhunzung") und Witzchen ("Gästinnen, haha"). Wieso diese alarmierte, mit Schnappatmung einhergehende Aufregung wie jüngst in dem hier publizierten Aufruf des Vereins Deutsche Sprache (VDS)? Und das, obwohl Gendern in deutschen Texten nicht einmal besonders verbreitet ist. Auch nicht hier im STANDARD.

Die immergleichen Argumente, die übrigens aus einem Aufsatz von Hartwig Kalverkämper von 1978 stammen, werden triumphierend veröffentlicht, als seien sie etwas revolutionär Neues. Bereits 1978 hat die Sprachwissenschafterin Luise F. Pusch diese Argumente widerlegt, und seitdem müssen Linguist*innen jedes Jahr erneut darstellen, dass und warum sie unrichtig sind. Dabei sind sie Ausdruck einer regelrechten Sprachpanik, die aus linguistischer Perspektive völlig unangebracht ist.

· Gender-Unfug Unfug ist nicht das Gendern, sondern die andauernde obsessive Fixierung der Gegner*innen auf das Thema. Da werden besonders schlechte Beispiele erfunden, gegen die dann mit erhobenem Zeigefinger angeschrieben wird. Empfehlungen und Möglichkeiten, wie das Gendern elegant und einfach funktionieren könnte, die es zuhauf gibt, zum Beispiel hier, werden absichtlich ignoriert.

· Generalirrtum Der VDS ortet bei den Feminist*innen den Generalirrtum, dass sie glaubten, das grammatikalische und natürliche Geschlecht wären im Deutschen eng verbunden. Der Irrtum liegt aber wieder auf der Seite der Gender-Unfug-Schreier*innen. Niemand hat je gefordert, dass Wörter wie das Pferd oder der Tisch gegendert werden sollen. Dies behauptet nur der VDS, wohl ein rhetorisches Mittel, um künstlich Empörung hervorzurufen.

Die feministische Kritik hat sich immer nur darauf bezogen, wie Menschen bezeichnet werden, und da gibt es sehr wohl eine Verknüpfung zwischen dem grammatikalischen und dem natürlichen Geschlecht. Und genau bei diesen Bezeichnungen wirkt es sich negativ aus, wenn alle Menschen sprachlich über den Kamm des Maskulinums geschoren werden. Alle dahingehenden empirischen Belege von angesehenen Expert*innen werden jedoch ebenfalls absichtlich ignoriert. Ein deutlicher Nachteil für nichtmännliche Menschen konnte bei der kognitiven Verarbeitung der ausschließlich maskulinen Form gemessen werden, da diese immer erst überlegen müssen, ob sie gemeint sein könnten oder doch nicht. Dieses Problem stellt sich für männliche Personen nicht, sie sind in jedem Fall gemeint.

Das sogenannte generische Maskulinum führt außerdem dazu, dass sich Kinder eine in Schieflage geratene Welt vorstellen: eine Welt, in der männliche Menschen immer wichtiger und aktiver sind als alle anderen.

· "Lächerliche Sprachgebilde" entstünden außerdem durch das Gendern. Das Deutsche ist eine außerordentlich flexible Sprache, die über schier grenzenlose Möglichkeiten verfügt, neue Wörter zu bilden. Ein nicht gewohntes Wort oder eine ungewöhnliche Form wie zum Beispiel "Radfahrende" als lächerlich zu bezeichnen ist deshalb fast schon ein Angriff auf das Deutsche selbst! Der VDS bleibt zudem die Antwort schuldig, was ein "Sprachgebilde" in diesem Sinne überhaupt sein soll. Das Wort steht nicht einmal im Duden. Lächerlich.

· Mehrworteinheiten Nicht zuletzt bekämpft der VDS von ihm selbst erfundene Wortschöpfungen, die ebenfalls so nie von Feminist*innen vorgeschlagen wurden. In den Vorschlägen zu antidiskriminierender Sprache wird üblicherweise nicht geraten, innerhalb von Mehrworteinheiten zu gendern. Das heißt, ein Wort wie "Bürgermeister" wird als ein Wort betrachtet – die einzelnen Wortbestandteile werden nicht gegendert.

Der Aufruf des VDS erweckt den Eindruck, möglichst viel Verunsicherung und Wut erzeugen zu wollen. Da er auch auf dessen Homepage und auf Twitter veröffentlicht wurde, könnte man fast von "Clickbaiting" sprechen (für den VDS: Klickköder). Es wird versucht, mit eindrucksvoll erscheinenden Beispielen auf ein nichtexistentes Problem innerhalb der deutschen Sprache hinzuweisen, letztlich deshalb, um eine antifeministische Agenda voranzutreiben.

Denn richtig unangenehm wird es am Schluss: Hier fordert der VDS wieder einmal die Politik auf, das Gendern möglichst zu verbieten. Und das ist es doch, worum es eigentlich geht: den Menschen vorschreiben zu wollen, wie sie mit ihrer Sprache umgehen dürfen. Wer ist also hier wirklich die Sprachpolizei? (Claudia Posch, 20.3.2019)