Großbritannien kämpft mit allerlei Schwierigkeiten beim Abgang (im Bild: Theresa May im vergangenen Februar in Brüssel).

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Hart bleiben, abwarten, auf Sicht weiterfahren, der britischen Premierministerin Theresa May zunächst auf keinen Fall generelle und allzu weit reichende Zugeständnisse machen: Das war die Devise, die die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Partner von Großbritannien zum Thema Brexit für den regulären EU-Gipfel ab Donnerstagnachmittag vereinbart haben.

Man wolle zuerst von May persönlich hören, wie sie sich genau eine Lösung aus der lähmenden Situation vorstelle, die durch die zweimalige Ablehnung des Ende November 2018 vereinbarten EU-Austrittsvertrages entstanden ist. Die Premierministerin bestätigte am Mittwoch in London, dass sie die EU-27 um eine Verlängerung des Austrittstermins bis längstens 30. Juni gebeten habe.

No-Deal-Szenario

Gemäß Artikel 50 der EU-Verträge, der den Austrittsprozess regelt, ist das jederzeit möglich, wenn die Staats- und Regierungschefs es einstimmig beschließen. Vorerst gilt, dass der Brexit genau zwei Jahre nach dem Antrag automatisch in Kraft treten müsste, wenn man kein Abkommen über einen geregelten Austritt beschließt. Das wäre am 29. März um Mitternacht – ein harter Brexit in einem No-Deal-Szenario, bei dem alle EU-Regelungen über Nacht nicht mehr gelten würden. Das Vereinigte Königreich würde auf das Niveau eines einfachen Drittstaates ohne besondere Beziehungen zur Union fallen.

Genau das wollen die EU-27 wie auch die britische Premierministerin aber unbedingt vermeiden, wie sie übereinstimmend seit Monaten erklären. Denn der Schaden für alle wäre am größten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass London vor dem 29. März einfach seinen EU-Austrittsantrag zurückzieht. Das wäre ohne weitere Konsultationen möglich (und durchaus im Interesse der EU-27). Die Briten blieben voll berechtigtes, voll zahlendes EU-Mitglied. Allerdings ist ein solcher "Revoke" innenpolitisch kaum denkbar.

Es wird also beim Gipfel nun ganz konkret darum gehen, wie man sich den Weg zu einem geordneten Ausscheiden von Großbritannien gemeinsam vorstellt.

Brexit-Sondergipfel

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dämpfte am Mittwoch die Erwartungen, dass es bei diesem regulären Frühjahrsgipfel, der eigentlich den Themen Wirtschaft, Industriepolitik, Beziehungen zu China gewidmet sein sollte, bereits eine Lösung für das Brexitdilemma geben wird. Er deutete an, dass es nächste Woche einen Brexit-Sondergipfel geben dürfte. Das wäre nach Stand der Dinge in der Verhandlungslogik: Wer sich zu früh bewegt, verliert.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel setzt auf Abwarten. Sie will Konkretes auf dem Tisch, bevor sie entscheidet, und notfalls "bis zur letzten Stunde kämpfen", wie sie sagte. Noch eine Spur härter fährt der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. Er lehnt Zugeständnisse an die Briten ab, eine "Verlängerung" der Austrittsverhandlungen ist für Paris "keine Selbstverständlichkeit". Macron will auch keine Veränderungen am vereinbarten Austrittsvertrag mehr akzeptieren. Das Funktionieren der EU dürfe um keinen Preis gefährdet werden.

Noch deutlicher wurde Ratspräsident Donald Tusk. Er machte eine Fristverlängerung von der Annahme des Austrittsvertrags im britischen Unterhaus abhängig. Offen sei auch die Frage, ob der von May vorgeschlagene Aufschub bis Ende Juni möglich sei. Dies würden die EU-Staats- und Regierungschefs am Donnerstag bei ihrem Gipfel in Brüssel diskutieren, sagte Tusk. Er verwies auf "Fragen rechtlicher und politischer Natur".

Wahlteilnahme absurd

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz bewegt sich zwischen diesen Positionen. Er ist bereit zu einer Fristverlängerung, aber nur unter der Bedingung, dass die Briten die EU-Wahlen im Mai, die Wahl des nächsten EU-Kommissionspräsidenten und des Kollegiums bis Herbst 2019 nicht konterkarieren können. Eine Teilnahme Großbritanniens an den EU-Wahlen im Mai hält der Kanzler für absurd. Dabei trifft er sich ganz mit May, die das nicht will, wie sie im Unterhaus erklärte.

Die EU-Kommission sieht "ernsthafte juristische und politische Risiken" bei der von London vorgeschlagenen Frist bis Ende Juni. Spitzenjuristen in Brüssel glauben, dass die EU-Wahl angefochten werden könnte, wenn Großbritannien nicht teilnimmt, obwohl es noch EU-Mitglied ist. Das Wahlrecht ist eines der zentralen Primärrechte in den Gemeinschaftsverträgen. Es einfach zu ignorieren, das wird kein EU-Partner hinnehmen. Bürger könnten beim EuGH klagen.

Ob May in der Lage ist, zu Hause eine reguläre EU-Wahl auszurichten, wird von manchen auch bezweifelt. Gut denkbar, dass die EU-27 ihr also nur einen kurzen Aufschub bis Mitte Mai, vor den EU-Wahlen, geben werden. (Thomas Mayer aus Brüssel, 21.3.2019)