Die katzengroße Ratte Papagomys armandvillei wäre für einen Hobbit eine fette Beute gewesen.
Foto: Emory University/Journal of Human Evolution, Illustration: Peter Schouten

Atlanta – Es war eine nach unseren Maßstäben seltsam verzerrte Welt, in der unser Verwandter Homo floresiensis vor etwa 100.000 bis 60.000 Jahren lebte. Auf dem indonesischen Eiland Flores waren parallel zueinander Prozesse sowohl des Inselgigantismus als auch der Inselverzwergung aufgetreten: Beides kann sich in abgeschiedenen Lebensräumen entwickeln, hängt von Faktoren wie den Nahrungsressourcen oder dem Vorhandensein von Fressfeinden ab und führt dazu, dass Tierarten immer größer respektive kleiner werden.

Groß und Klein bunt gemischt

Das führte auf Flores zu einem recht bunten Mix. Der Homo floresiensis war selbst vom Inseleffekt betroffen und kam im Erwachsenenalter kaum über eine Körperhöhe von einem Meter hinaus, was ihm den Spitznamen "Hobbit" einbrachte. In seiner Nähe lebte das nah mit den Elefanten verwandte Stegodon, das auf dem Festland eine Schulterhöhe von fast vier Metern erreichen konnte – auf Flores hingegen nicht einmal zwei.

Auf der anderen Seite standen die, die auf der Insel gewachsen waren. Dazu gehörte etwa Leptoptilos robustus, eine Storchen- oder genauer gesagt Marabuart, die doppelt so hoch wie ein Flores-Mensch aufragte und vor der die Hobbits möglicherweise ihre Babys in Sicherheit bringen mussten. Aber auch übergroße Versionen von Geiern und Komodowaranen gehörten zur gefährlichen Nachbarschaft, wie Forscher der Emory University im US-Bundesstaat Georgia berichten.

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Wo der Storch die Kinder nimmt: Leptoptilos robustus war einer der übergroßen Inselmitbewohner des Hobbits.
Illustration: AP/ John Wiley & Sons, Inge van Noortwijk

Es war aber keine dieser spektakulären Arten, die Elizabeth Grace Veatch von der Emory University interessierte. Sie widmete sich ausführlich den Ratten, die im Hobbit-Zeitalter auf Flores lebten – eine Beschäftigung, die ihr in Indonesien inzwischen den Spitznamen "Miss Tikus" (wörtlich "Fräulein Ratte") eingebracht hat, den sie aber wie eine Auszeichnung trägt.

Ratten gab es auf Flores ebenfalls in verschiedensten Größen – und das gilt sogar heute noch, während die meisten übrigen Hobbit-Nachbarn ausgestorben sind. Die Skala reicht von hausmauskleinen Arten wie Rattus hainaldi bis zur vergleichsweise riesigen Spezies Papagomys armandvillei, die es jederzeit mit einer Hauskatze aufnehmen könnte: Sie wird über 40 Zentimeter lang, wozu noch ein bis zu 70 Zentimeter langer Schwanz kommt.

Abertausende Rattenknochen

In der wichtigsten Hobbit-Fundstätte, der Höhle Liang Bua, fanden sich auch abertausende Rattenknochen von verschiedenen Arten. Sie stellen 80 Prozent der bislang etwa 275.000 identifizierten Tierknochen aus Liang Bua. Etwa 10.000 davon hat Veatch für ihre im "Journal of Human Evolution" erschienene Studie untersucht.

Ziel der Untersuchung war es, anhand der verschiedenen Rattenspezies die ökologische Entwicklung der Region um die Höhle nachzuvollziehen. Ratten sind dafür ein guter Indikator, sagt die Forscherin: Die Nager sind zwar sehr flexibel, doch spiegelt ihr Körperbau in der Regel den bevorzugten Lebensraum wider. In offenem Grasland findet man andere Arten als in dichtem Wald oder in Gebieten mit losem Baumbestand.

Der Ratten-Mix von Liang Bua änderte sich im Verlauf der Jahrtausende.
Illustration: Emory Unviersity, Journal of Human Evolution

Im Lauf der Zeit änderte sich die Verteilung der verschiedenen Rattenarten, die um Liang Bua lebten, ergab die Untersuchung. Vor 100.000 Jahren scheint die Region noch offenes Grasland gewesen zu sein – dann wuchs sie sukzessive zu. Vor 60.000 Jahren scheint die Höhle bereits von dichtem Wald umgeben gewesen zu sein, wenn man danach geht, welche Ratten nun dort lebten.

Das ist die Zeit, aus der die jüngsten eindeutigen Hobbit-Funde stammen. Veatch schließt daraus, dass der Homo floresiensis offenes Grasland bevorzugte oder auch Tierarten mit einer solchen Vorliebe in neue Gebiete folgte und Liang Bua verließ. Wie lange er irgendwo anders auf Flores überdauert haben könnte, ist nicht bekannt.

Neue Aufgaben

Offen ist laut Veatch aber noch die Frage, ob der Hobbit auf die größeren Ratten Jagd machte – es sei generell noch recht wenig erforscht, welche Rolle die Kleintierjagd für die Entwicklung der verschiedenen Menschenarten gespielt hat. In einem nächsten Schritt will sie daher nicht nur die Rattenknochen von Liang Bua daraufhin untersuchen, ob sie Spuren von Messern oder anderen Werkzeugen tragen. Sie will auch probeweise selbst auf die Rattenjagd gehen, um zu testen, wie schwierig es ist, die großwüchsigen Nager von Flores zu fangen. (jdo, 24.3.2019)