Die Normandie bietet gute Verhältnisse für Eric Bordelets Cidre.

Foto: Georges Desrues
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Auch im südlichen Niederösterreich wird Obstwein produziert.

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Mostbbauer Karl Zwickl auf seiner Streuobstwiese in der Nähe von Gloggnitz.

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Eric Bordelet hat erreicht, was bisher noch niemandem gelungen ist. Nämlich als Mostbauer zu so viel Ehre und Ruhm zu gelangen, wie er sonst nur den besten Weinbauern vorbehalten ist. Dabei hat auch er zuerst mit Wein gearbeitet. Nämlich als Sommelier in einigen der exklusivsten Restaurants Frankreichs, darunter fünf Jahre im Pariser Dreisterner L'Arpège des Superstars und Spezialisten für Gemüsegerichte Alain Passard.

Dort ist er auch zum ersten Mal auf die Idee gekommen, Apfelwein als Speisebegleiter anzubieten. "Passard buk diese sensationelle Apfeltarte, und ich dachte mir, da müsste doch der Cidre meines Großvaters wunderbar dazu passen", erzählt Bordelet.

Den schaffte er aus seiner Heimat, der Normandie, heran. Die Region ist berühmt für ihren Cidre, der hier seit Jahrhunderten aus unzähligen Apfelsorten erzeugt wird. Bordelets Weingut nennt sich Château de Hauteville und ist tatsächlich ein Schloss, von dem allerdings nur noch die eindrucksvolle Fassade sowie die Stallungen erhalten sind. In ihnen hat Bordelet seine Produktion untergebracht.

Mostbauer in der Normandie

Rundherum erstrecken sich die sanften Hügel der dünn besiedelten Normandie mit ihren grünen Weiden und grasenden Kühen, mit Birnen- und Apfelhainen. "Politisch gesprochen liegt das Schloss knapp in der Nachbarregion Pays de la Loire, aber dennoch im Gebiet der Ursprungsbezeichnung Cidre de Normandie", stellt der Mostbauer mit schwarz-weißem D'Artagnan-Bart klar.

In seiner Zeit als Sommelier im L'Arpège führte Bordelet einst auch eine Apfelweinkarte ein – die Erste ihrer Art in einem Spitzenlokal in ganz Frankreich, wie er betont. Inzwischen zogen viele Restaurants nach, vor allem in der Normandie und in der Bretagne, den beiden weinbaufreien Regionen im Nordwesten des Landes, in denen die Cidrekultur zu Hause ist, zählen ausgewählte Apfel- und Birnenweine zu den Standards der Speisebegleitung. Bordelets Cidres und Poirés (wie man die Birnenweine nennt) indessen finden sich inzwischen in den bestsortierten Weinkellern der angesehensten Restaurants und exklusivsten Hotels des ganzen Landes.

Syrah-Glas

Erzeugt werden sie biologisch und ohne Zusatz von Zuchthefen. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen verzichtet Bordelet auf reinsortige Weine. Sein Starprodukt nennt sich L'Argelette und ist eine Cuvée aus 40 Prozent bitteren, 40 Prozent süßen und 20 Prozent säuerlichen Apfelsorten.

"Das Bittere bildet das Gerüst, die Süße den Körper und die Säure den aromatischen Rückhalt", betont der Mostbauer, während er in ausgesuchten Syrah-Gläsern der Marke Riedel einen Wein von 2010 schwenkt. Der schmeckt in der Tat beeindruckend. So zart moussierend, dass die Konsistenz direkt cremig wirkt. Mit intensiven Noten von Äpfeln, aber auch von Zitrusfrüchten und Gewürzen und mit sehr langem Abgang.

Dadurch, dass das Verhältnis der Zusammensetzung des L'Argelette jedes Jahr gleich bleibe, spiegle der Wein sein Terroir und den jeweiligen Jahrgang am allerbesten wider, betont Bordelet. Über die einzelnen verwandten Sorten spricht er indessen weniger gern. "Ich könnte Ihnen jetzt Namen nennen wie die 'Plant-de-blanc', die 'Antricotin' oder die 'Belle-verge'", sagt er, "aber das würde nichts nutzen, denn der Name ändert sich je nach dem Tal, wo sie wachsen."

Dennoch ist sich der Landwirt bewusst, dass seine Arbeit auch mithilft, die biologische Vielfalt der Äpfel- und Birnensorten zu bewahren. Wenngleich das Problem des Vielfaltsverlusts dank alteingesessener hierzulande Cidre- und Poirékultur ein geringeres ist als anderswo.

Streuobstwiesen

"So weit wie in der Normandie sind wir in Österreich freilich noch nicht", stellt Karl Zwickl fest, "dabei hätten auch wir eine alteingesessene Mostkultur und eine große Vielfalt an autochthonen Apfelsorten zu bieten. Doch als Ingetränk kann man Apfel- oder Birnenmost nicht gerade bezeichnen." Der Obst- und Mostbauer weiß, wovon er spricht. Immerhin besitzt er eine der größten Streuobstwiesen in ganz Niederösterreich. Darauf stehen auf knapp vier Hektar Fläche an die 600 Obstbäume.

Zwickls biologisch bewirtschafteter Obsthof liegt in Prigglitz, also nördlich von Gloggnitz, auf einem grünen Plateau in über 600 Metern Seehöhe mit fantastischem Ausblick. Auf dem Gemeindegebiet finden sich 150 verschiedene Apfelsorten, allein auf Zwickls Wiese sind es 60. Darunter auch hier zahlreiche mit skurrilen Namen wie Geflammter Kardinal, Laxtons Superb oder Prigglitzer Abendrot. Dass der kleine Ort über eine derartige Vielfalt an Äpfeln verfügt, ist in erster Linie einem Mann namens Franz Leitgeb zu verdanken.

Er kam 1809 hierher, um in der abgelegenen Ortschaft seinen Dienst als Schullehrer anzutreten. Der pflanzenbegeisterte Leitgeb legte aber auch eine Baumschule an, um Qualität und Ertrag der Obstbäume zu verbessern. "Most war damals hier das Getränk Nummer eins, Bier oder gar Wein wäre vielen zu teuer gewesen", erzählt Zwickl.

Durchgemischte Streuobstwiesen in Niederösterreich

In durchgemischte Streuobstwiesen setzten die Bauern die Bäume, weil sie mit ihren Holzpressen nicht über die technischen Mittel verfügten, um alle Früchte auf ein Mal zu pressen und zu Most zu verarbeiten. Sie nutzten die verschiedenen Reifezeiten der einzelnen Sorten und konnten so von September bis Dezember immer wieder aufs Neue ernten und Saft pressen, den sie dann zu Most vergären ließen.

"Die Streuobstwiesen sind Synonym von Vielfalt", sagt der Obstbauer mit schmalem weißem Oberlippenbart, "nicht nur wegen der verschiedenen alten Obstbäume die darin stehen, sondern auch für Vögel, für Insekten und andere Tiere, die das breitgefächerte Nahrungsangebot nutzen." So seien zwischen den Hochstammbäumen auf seiner Wiese etwa Grün-, Schwarz- und Buntspechte beheimatet, sogar der seltene Wiedehopf schaue immer wieder vorbei.

Doch in Zeiten von mechanisch bearbeiteten und monokulturell bepflanzten Obstplantagen, von industriellen Herstellungsmethoden und billigen Massenprodukten haben die Streuobstwiesen wirtschaftlich längst ausgedient, was Zwickl freilich bedauert. "Rentabel sind solche Wiesen ausschließlich für Bauern, die nebenher auch Buschenschanken betreiben, wo sie ihren Most zusammen mit anderen Produkten ihres Hofs anbieten können", betont der Obstbauer.

Die Antwort kann also nur eine sein, nämlich mehr Most zu trinken. In der Hoffnung, dass dieser dann auch hierzulande immer besser gepflegt wird und es irgendwann in die besten Restaurants des Landes schafft. Womit jedoch sicher auch die Preise steigen würden. Denn während Herrn Zwickls Moste bereits um die drei Euro die Flasche erhältlich sind, können jene von Monsieur Bordelet Preise von bis zu 36 Euro erreichen. (Georges Desrues, RONDO, 2.4.2019)