"Far: Lone Sails" ist ein Indie-Hit aus der Schweiz.

Foto: "Far: Lone Sails"

Die Schweiz ist für vieles bekannt: Hochfinanz, Technologie, Schokolade. Mit der Videospielbranche, einer globalen Milliardenindustrie, assoziieren aber nur die wenigsten das Alpenland. Dabei stellt besonders ein Schweizer Spiel viele andere Produkte auch aus weitaus größeren Ländern in den Schatten: Der Landwirtschafts-Simulator des Schlierener Entwicklerstudios Giants Software bricht in der inzwischen 19. Auflage alle Verkaufsrekorde – nur zehn Tage nach Release waren Ende 2018 bereits eine Million Exemplare an ein begeistertes und treues Publikum verkauft. Mit dem ganz speziellen Erfolg dieses Ausnahmespiels – und der daraus resultierenden Größe des Studios – kann der Rest der Schweizer Entwicklerszene nicht mithalten.

"Es gibt hier eine lange Designtradition, die Kreativität und Technologie verbindet", sagt Sylvain Gardel, Leiter des Schwerpunkts Kultur & Wirtschaft bei der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Seit 2010 fördert die traditionsreiche und gut dotierte Stiftung, die 1939 als Organisation zur "Förderung der Geistigen Landesverteidigung" gegründet wurde, auch interaktive Medien – Games, Virtual Reality, Augmented Reality, Transmedia – gleichberechtigt mit anderen Kulturprodukten wie etwa Musik, Literatur und Theater. "Unsere nationalen Besonderheiten – Mehrsprachigkeit, verschiedene Traditionen und auch Mentalitäten – sind eine Herausforderung für den Kulturbereich und bedingen einen ganz speziellen, eher kleinen Markt. Spiele sind tatsächlich eine der wenigen Kunstformen, die aus der Schweiz in die ganze Welt exportiert werden", so Gardel.

PlayStation

Geförderte Vielfalt

Die Förderkultur ermöglicht einer kleinen, aber beeindruckenden Startup-Szene aus jungen kreativen Gründern auch in der Videospielbranche das Überleben; seit 2009 hat sich die Anzahl der einschlägigen Startups auf etwa 120 verzehnfacht. Wie in Österreich versuchen auch in der Schweiz kleine, unabhängige Studios ihr Glück in der internationalen Welt der Videospiele. Die Rahmenbedingungen sind allerdings andere: Die Schweizer Lebenshaltungskosten zählen zu den höchsten der Welt und fressen auch international betrachtet beachtliche Einkünfte kleiner Indie-Entwickler schnell auf.

Philomena Schwab vom Zürcher Indiestudio Stray Fawn gibt Einblick in eine zumindest anfangs von Idealismus motivierte Kosten-Nutzen-Rechnung: "Pro Spiel rechnen wir mit Kosten von etwa einer Million Franken (etwa 870.000 Euro, Anm.). Dabei liegt mein persönliches monatliches Einkommen aktuell nur etwa ein Viertel über jenem einer Kassierin im Supermarkt." Staatliche Förderungen, günstige Miete in einem zwischengenutzten, für den Abbruch vorgemerkten Bürohaus und erfolgreiche Crowdfunding-Kampagnen haben dem mit zehn Mitarbeitern für Schweizer Verhältnisse recht großen Indiestudio seit 2017 bereits die Veröffentlichung zweier Spiele ermöglicht.

Auch Blindflug Studios setzt auf einen Mix aus Finanzierungsoptionen. Spezialisiert auf Mobile-Spiele zwischen Serious Games und Entertainment, arbeitet man aktuell an einem Free-to-Play-Nachfolger zum mit über vier Millionen Downloads bislang erfolgreichsten Titel, dem Echtzeitstrategieduell First Strike: Final Hour. Das 2017 kostenlos veröffentlichte Cyberpunk-Stealth-Game [re]format z: hingegen wurde im Rahmen der Feierlichkeiten zu 500 Jahren Kirchenreformation von verschiedenen staatlichen und kirchlichen Züricher Stellen zur Gänze finanziert – ein Geistlicher trug als Consultant Sorge dafür, dass bei der Science-Fiction-Paraphrase auf die Kirchenrevolution durch den Reformator Huldrych Zwingli inhaltlich alles Hand und Fuß hat.

First Strike

Lokal, divers, international

Das etwas kleinere Studio Okomotive ist ebenso dank anfänglicher Förderungen und eines kommerziell sehr erfolgreichen Debütspiels trotz Schweizer Kosten profitabel: Fast 100.000 Mal hat sich das im Mai letzten Jahres erschienene, spielmechanisch und ästhetisch einzigartige Spiel Far: Lone Sails verkauft, aktuell arbeitet das fünfköpfige Team an diversen Konsolenversionen. Far: Lone Sails ist aus einer Masterarbeit an der Zürcher Hochschule der Künste, kurz ZHdK, hervorgegangen, deren Gamedesign-Lehrgang der Ausgangspunkt vieler Schweizer Entwicklerkarrieren war.

Der verhältnismäßig kleine Studiengang kann inzwischen auf mehr Bewerbungen als jener zum geschichtsträchigen Industrial Design an derselben Hochschule verweisen. Besonders bemerkenswert ist dabei die Diversität der Studentenschaft: "Weil alle Gamedesign-Studierenden der ZHdK sowohl Kurse in Programmierung als auch grafischer Gestaltung belegen müssen, gibt es in Zürich die größte Dichte an weiblichen Spieleentwicklern", lacht Philomena Schwab.

Mixtvision Games

Eines verbindet die Schweizer und die österreichische Entwicklerszene: "Es ist sehr familiär: Man kennt sich hier, man hilft sich gegenseitig. Es gibt hier sehr viel freundschaftlichen, positiven Wettbewerb untereinander", sagt Chris Solarski, Leiter des Schweizer Zweigs der International Game Developers Association IGDA. " Die verschiedenen Mentalitäten der Schweizer Volksgruppen sind oft eine Herausforderung, aber Videospiele haben eine sehr diverse Entwicklercommunity im Zeichen der Internationalisierung zusammengebracht", bestätigt auch Sylvain Gardel. "Genauso wie auch Technologie, Kunst, Wirtschaft und Kultur in der Schweiz zusammengehören."

Aber auch an der größten technischen Universität des Landes, der ETH Zürich, liegt der Frauenanteil in den Computer Sciences bei 50 Prozent – dort forscht man im ETH Game Technology Center an der Zukunft des Mediums, auch in Sachen Augmented und Virtual Reality. (Rainer Sigl, 22.3.2019)