Bild nicht mehr verfügbar.

"Für einen Panzer kann er sehr gut mit dem Ball umgehen", schrieb US-Journalist Fran Fraschilla über Williamson.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/STREETER LECKA

Noch nie hat eine Schuhsohle für solchen Aufruhr gesorgt. Keine 30 Sekunden Basketball waren am 21. Februar gespielt, als sich Zion Williamsons Nike-Treter auflöste. Der 18-Jährige rutschte weg, griff sich sofort ans Knie und blieb unter Schmerzen liegen. Die davor ins Endlose hochgejazzte Partie zwischen der University of North Carolina und Williamsons Mannschaft Duke verkam zur Nebensache. In der US-Sportwelt gab es stundenlang kein anderes Thema, Nikes Börsenwert fiel um mehr als eine Milliarde Dollar.

All das, obwohl die Diagnose schnell da war: Überdehnung. Ein paar Wochen Sportpause eines 18-Jährigen als Staatsaffärchen – das sagt viel über den Status dieses Burschen aus North Carolina aus. Und über den Kampf um das College-Sportsystem, der sich aufs Neue entzündete.

Eine Wucht

Zuerst der Spieler: 201 Zentimeter, 129 Kilogramm, unvorstellbare Sprungkraft. Williamson ist ein Muskelberg mit maximalem Ballgefühl. Reihenweise stopft er Bälle in den Korb, diese Dunks haben ihn zum Superstar gemacht. US-Journalist Fran Fraschilla traf es perfekt, als er schrieb: "Für einen Panzer kann er sehr gut mit dem Ball umgehen."

Die besten Dunks des Jungstars.
ESPN

Williamson ist schon jetzt einer der wichtigsten Basketballer – trotzdem verdient er kein Geld mit seinem Sport. Die 2005 eingeführte One-and-done-Regel der nordamerikanischen Profiliga NBA verhindert, dass High-School-Absolventen direkt am Draft teilnehmen können. In diesem werden die jungen Neuzugänge auf die 30 Teams verteilt. Die meisten 18-Jährigen gehen also auf ein College, nur wenige riskieren den alternativen Weg einer Saison in einer schwächeren Profiliga.

Vorlesungen statt Bezahlung

Offiziell ist das System des Collegesports symbiotisch. Unispieler sind unbezahlt, müssen dafür keine Studiengebühren zahlen und bekommen eine hervorragende Infrastruktur. Nur: Von den besten Basketballern macht fast niemand einen Abschluss, die meisten sind nach ein oder zwei Jahren weg.

Genau sie sind es aber, die für die wirklich mächtigen Colleges wie auch Williamsons Duke Unmengen an Geld hereinspielen und den Rest des Unisports querfinanzieren. Zehntausende besuchen die Spiele, Barack Obama und Oscargewinner Spike Lee sahen Williamsons Verletzung live in der Arena.

Bild nicht mehr verfügbar.

Abflug.
Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/STREETER LECKA

Immer wieder verletzt sich ein Talent so schwer, dass es nie einen Cent aus dem Profigeschäft sieht. Auch deshalb sagte NBA-Profi Demarcus Cousins nun, der College-Verband NCAA sei "bullshit". Der Center von Meister Golden State riet Williamson, er solle "das Beste für sich und seine Familie" tun. Gemeint ist: aussetzen, fit werden, gesund bleiben, ab Oktober Millionen scheffeln.

Änderungspotenzial

Das Thema One-and-done war schon zuvor auf dem NBA-Tapet, die medienwirksame Knieüberdehnung des Jungstars könnte nun zu einer Regeländerung führen. Laut USA Today schickte die NBA der Spielergewerkschaft am Morgen danach einen Vorschlag zur Abschaffung der Regel. Das Timing soll Zufall sein, mitten in der aktuellen Debatte hätte eine Änderung freilich viele Anhänger. Gewerkschaftspräsidentin Michele Roberts hat in der Vergangenheit Bereitschaft signalisiert, 18-Jährige zum Draft zuzulassen. Frühestens in drei Jahren könnte es so weit sein.

Der Block des Jahres.

Williamson wird sich dann schon in der NBA etabliert haben. Am vergangenen Donnerstag feierte er ein triumphales Comeback, in der Nacht auf Samstag startet Duke in die alljährliche "March Madness", das große Collegeturnier zum Saisonfinale. Der Titel wäre Williamsons größter Wurf, so oder so dürfte er im kommenden Draft als erster Spieler ausgewählt werden. Ein Bursche wie er kommt schließlich nicht so schnell wieder.

Dunks, Dunks, Dunks

"Eine Zeit lang hat es mich genervt, auf meine Dunks reduziert zu werden", sagt Williamson. Mit neun Jahren stand er jeden Tag um fünf Uhr früh auf, um zu trainieren. "Ich bin mehr, als ihr auf Youtube seht", sagt er. Aber er spielt nun mal in den USA. Dort prägen Einzelkönner den in Europa als Kollektiv zelebrierten Teamsport. Sie können und sie sollen jederzeit für einen außergewöhnlichen Moment sorgen. Ein Dunk, ein Block, ein Dribbling – Szenen, die ihren Beitrag zum Erfolg leisten, aber doch irgendwie größer als dieser sind.

Williamsons Rekord-Comeback.
ESPN

Basketball gibt diesen Blitzen Raum. Fallrückzieher im Fußball sind eine Seltenheit, krachende Dunks im Basketball quasi eingeplant. Seine physische Unmittelbarkeit gibt einem Dunk mehr Wucht, als sie ein ins Kreuzeck gezirkelter Freistoß je haben könnte. Nicht zufällig blüht der Sport in den sozialen Medien auf, die Highlighthäppchen passen perfekt in den Menüplan der scrollenden Generation. Sieht man Williamson im Thumbnail des Videos fliegen, nimmt man sich die Zeit.

Videos

Die Profiliga NBA hat das früh erkannt. Als andere Ligen in Frühzeiten von Twitter und Co noch auf Copyrightverurteilungsjagd waren, gingen offiziell wie illegal publizierte NBA-Highlights schon viral. Zugegeben: Die schiere Masse der Videos desensibilisiert. Auch das mag ein Grund sein, warum Williamson so zieht. Endlich ist einer noch gewaltiger, noch größer, noch ... bumm. Er sticht aus dem Grundrauschen hervor, das sich früher noch wie ein Feuerwerk anhörte.

Vorwarnung: Viele der Top 10 Plays sind die zuvor verlinkten Dunks.
ESPN

Längst hat die Generation Wurfkünstler die Macht in der NBA übernommen. Zion passt da nicht rein, er ist ein Kleiderschrank. Steph Curry dagegen sieht wie der Bursche aus, der von seinen älteren Geschwistern in ebendiesen gesperrt wird. Auch die sonstigen Punktemaschinen wie Kevin Durant oder James Harden haben nicht die Physis eines Panzers. Immerhin gibt es noch LeBron James, der die Ehre der Breitschultrigen hochhält. Und eben bald Williamson, auch wenn seine Masse schon einmal zu viel für sein Schuhwerk ist. (Martin Schauhuber, 22.3.2019)