Nach dem großen Vampir-Revival der 2000er, in dem wir von hypersexuellen Blutsaugern im Sumpf Louisianas bei True Blood bis hin zu vegetarischen Mormonen-Vampiren in Twilight wirklich alles gesehen haben, folgte auf unseren Leinwänden und Fernsehbildschirmen die Rückkehr der Zombies. Ob als Gegenstand postapokalyptischer Survival-Szenarien wie in The Walking Dead, Infektionsdystopien à la World War Z oder humorvoller Neuinterpretationen Jane Austens in Pride and Prejudice and Zombies: Der Zombie schien besonders in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts nahezu allgegenwärtig, so wie der Vampir ein paar Jahre zuvor.

Ähnlich wie der Vampir hat auch der Zombie in seiner Rezeptionsgeschichte zahlreiche Transformationsprozesse durchlebt. Mit seinen haitianischen Ursprüngen, die im Religionswissenschaftsblog bereits thematisiert wurden, hat seine abwechslungsreiche Geschichte im Film nicht mehr viel gemeinsam. Heute wird der Zombie (bis zu einem gewissen Grad) von der Popkultur immer wieder neu erfunden. Die Kulturwissenschafterin Gudrun Rath führt diese Wandelbarkeit des Zombies als Metapher für unterschiedlichste gesellschaftliche Ängste und Abgründe auf die "Nicht-Zuordenbarkeit, aus denen [die Figur] sich speist – zwischen Leben/Tod, Subjekt/Objekt, Mensch/Nicht-Mensch"¹ zurück. Wie der Vampir ist auch der Zombie ein Grenzgänger: Als Untoter wandelt er an jener Grenze, die in der menschlichen Erfahrung die wahrscheinlich wichtigste darstellt, die Grenze zwischen Leben und Tod.

Wie im Zitat von Rath angedeutet, eignen sich Untote eben aufgrund ihrer Rolle als Grenzgänger auch dafür, verschiedenste soziale Grenzen widerzuspiegeln und dadurch zur Metapher für komplexe gesellschaftliche Fragen zu werden. Der US-amerikanische Regisseur Justin P. Lange nutzt in seinem Spielfilmdebut The Dark die Figur des Zombies um eine düstere Geschichte von Missbrauch, Rache und Erlösung zu erzählen – ohne je die Intention gehabt zu haben, einen Zombiefilm zu machen. The Dark feierte seine Premiere 2018 am Tribeca Film Festival und war in Graz im Rahmen der Diagonale 2019 zu sehen.

dsf2006

"So you believe in monsters?"

Im Zentrum von The Dark steht die 15-jährige Mina (Nadia Alexander). Nachdem sie durch den Freund ihrer alkoholkranken Mutter wiederholt missbraucht und schließlich brutal ermordet und im Wald verscharrt wurde, ist Mina dazu verdammt als Untote in ihrem alten Haus und den umliegenden Wäldern – genannt "Devil’s Den" – umherzustreifen und gelegentlich ihren Hunger nach Menschenfleisch zu stillen. Als eines Tages der von der Polizei gesuchte Josef Hofer (Karl Markovics) in dem verlassen geglaubten Haus eintrifft, wird er zu einem ihrer Opfer. In seinem Kofferraum findet Mina schließlich den völlig verängstigten, blinden Alex (Toby Nichols), dessen vernarbtes Gesicht auf eine schreckliche Vergangenheit in der Gewalt Hofers schließen lässt.

Karl Markovics als Josef Hofer.
Foto: Christopher Katsarov / Dor Film 2018

Gemeinsam begeben sich die beiden Jugendlichen auf die Flucht durch den Wald, wo Alex erst langsam klar wird, dass es sich bei Mina um kein gewöhnliches Mädchen handelt: Sie ist ein Monster, jedoch ist sie nicht als Monster "geboren", sondern sie wurde zum Monster gemacht. Zwischen den beiden von Gewalt und Missbrauch gezeichneten Teenagern entwickelt sich eine Freundschaft, die Mina im Verlauf des Films immer mehr wieder zum Menschen werden lässt.

Ein Film über Missbrauch

The Dark ist ein Film über Missbrauch, so Regisseur Lange. Genauer gesagt handelt er von den emotionalen, aber auch körperlichen Narben, die Missbrauch und Gewalt bei ihren Opfern hinterlassen. Das Monströse dient hier lediglich als Metapher. Woran er bei The Dark jedoch nicht gedacht habe seien Zombies – jedenfalls nicht konkret. Doch auch wenn der Film die meisten Zombiefilm-Klischees gekonnt meidet, ist Minas Status als Untote, als ruheloses Monster, dennoch relevant. Die düstere, melancholische Lesart von Untoten als von ihrem Gewissen gequälte Verdammte, wie sie in The Dark begegnet, erinnert jedoch vielmehr an aus Vampirfilmen bekannte Motive. Besonders deutlich scheinen die Anleihen an den 2008 erschienenen schwedischen Vampirfilm So finster die Nacht.

Die untote Protagonistin, Mina.
Foto: Christopher Katsarov / Dor Film 2018

Doch was ist Mina nun? Ist sie ein Vampir, ist sie ein Zombie, oder ist sie keines von beiden? Letzten Endes spielt die Antwort weder für die Figur noch für den Film eine Rolle. Mina ist eine Grenzgängerin, deren Schmerz und Wut sie dazu verdammen, die Orte ihrer Qualen und ihres Todes immer wieder heimzusuchen, weder ruhen noch leben zu können. Sie ist ein Beispiel dafür, wie Untote, die die ultimative Grenzüberschreitung einer bestehenden Ordnung darstellen, in der Popkultur als Spiegel gesellschaftlicher Diskurse immer wieder neu erfunden werden. (Katrin Trattner, 23.3.2019)

Die Diagonale - Festival des österreichischen Films findet noch bis 24. März in Graz statt.

¹ Rath, Gudrun, „Zombi/e/s: Zur Einleitung.“ in Zombies, hrsg. von Gudrun Rath, 11–19, Zeitschrift für Kulturwissenschaften 2014, 1. Bielefeld: Transcript, 2014.

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