Der Istanbuler Stadtteil Aksaray hat mittlerweile die Beinamen "Klein-Aleppo" und "Klein-Damaskus" erhalten. Seit Beginn des Krieges im Nachbarland haben sich hier tausende Syrer angesiedelt.

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Klein-Aleppo oder Klein-Damaskus nennen die Istanbuler den Stadtteil Aksaray im europäischen Teil der Millionenmetropole. Hier haben sich seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs tausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland niedergelassen.

Es gibt syrische Restaurants, syrische Supermärkte, Hotels und Baklava-Läden. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise fanden hier Schlepper ihre Kunden, Schwimmwestenverkäufer boten ihre Ware in drei verschiedenen Preisklassen an. Seit dem Inkrafttreten des Flüchtlingsabkommens aber ist die Schlepperindustrie weitgehend von den Straßen verschwunden.

Hohe Arbeitslosenrate

Angesichts der aktuellen Arbeitslosenzahlen in der Türkei könnte im Frühjahr ein neuer Flüchtlingsstrom Richtung Europa einsetzen. 13,5 Prozent der Türken waren im Dezember arbeitslos gemeldet – das ist mit einer Ausnahme, 2009, die höchste Arbeitslosenrate seit drei Jahrzehnten. Noch drastischer ist die Jugendarbeitslosigkeit gestiegen: Waren im Vorjahr noch 19,2 Prozent arbeitslos gemeldet, lag der Wert im Dezember bei 24,5 Prozent. Die Situation am Arbeitsmarkt dürfte sich nicht so bald entspannen: Nicht nur Türken sind auf Arbeitssuche, auch die rund 3,5 Millionen in der Türkei lebenden Syrer sind auf der Suche nach Jobs. Allein in Istanbul leben 600.000 Personen aus Syrien.

An der türkischen Grenze warten viele Syrer auf die Einreise.
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Die Rhetorik während des Wahlkampfes hat sich bereits verschärft. Vor allem die Opposition aus CHP und nationalistischer Iyi-Partei macht Stimmung gegen die Flüchtlinge im Land. CHP-Führer Kemal Kılıçdaroğlu warf am 18. März auf einer Wahlkampfveranstaltung der Regierung vor, 35 Milliarden Euro für Flüchtlinge ausgegeben zu haben. "Mit dem Geld hätte man die Arbeitslosigkeit verhindern können."

Erdoğan will Rücksiedlung

Die Kandidatin der mit der CHP verbündeten Iyi-Partei, Meral Akşener, kündigte an, sie wolle alle arabischen Schriftzeichen aus dem Stadtbild verschwinden lassen. Bereits im Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Sommer hatte sie versprochen, bei einem Wahlsieg alle vier Millionen Syrer in ihre Heimat zurückzuschicken.

Der türkische Präsident Tayyip Erdoğan beschwichtigt unterdessen, indem er verspricht, die Flüchtlinge im türkisch besetzten Teil Syriens wiederanzusiedeln. Bisher ist das nur in Afrin in Nordwestsyrien zu Teilen geschehen. Nach den Plänen des türkischen Präsidenten soll dazu der 30-Kilometer-Sicherheitsstreifen dienen, dessen Einrichtung Ankara seit Jahren fordert.

Viele der Syrer aber sind mittlerweile in der Türkei heimisch geworden, nur 145.000 leben noch in Flüchtlingslagern. Manche sind schon so lange im Land, dass sie die Staatsbürgerschaft beantragen können. Für die AKP ist das freilich ein Gewinn. Denn sie bringen neue Wählerstimmen – 30.000 von ihnen sind bei den Kommunalwahlen stimmberechtigt.

Die wirtschaftliche Lage der Syrer ist dennoch meist prekär, viele von ihnen arbeiten im Niedriglohnsektor. Türkische Arbeitgeber umgehen den gesetzlichen Mindestlohn von 1.660 Lira (rund 265 Euro), indem sie Syrer illegal beschäftigen. Andererseits tragen die Flüchtlinge auch zum Wirtschaftswachstum bei: Rund 7.000 Unternehmen wurden allein 2017 von Syrern gegründet.

Unattraktive Weiterreise

Zahlen der UN-Flüchtlingshilfe deuten nicht darauf hin, dass die Reise nach Europa wieder attraktiver werden könnte. Bisher überquerten 6.517 Personen die Grenze von der Türkei nach Griechenland. Das ist ein geringer Anstieg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Ändern könnten sich dies schnell, sollte die syrische Provinz Idlib von Assad-Truppen erobert werden. Dann könnten sich bis zu drei Millionen in Richtung Türkei und Europa auf den Weg machen.

Bisher aber funktioniert der im Frühjahr 2016 geschlossene Flüchtlingspakt. Demnach ist die Türkei verpflichtet, die registrierten Flüchtlinge in die Türkei zurückzuschicken. Dass das im Moment nicht geschieht, liegt an Griechenland. Dort sind die Flüchtlingslager überfüllt und die Behörden so überlastet, dass sie mit der Registrierung nicht nachkommen. (Philipp Mattheis, 22.3.2019)