Theresa May sitzt zwischen allen Stühlen.

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Nach der Einigung auf einen Brexit-Aufschub können die Briten aufatmen, allerdings nur kurz. Sollte das Parlament in London nun doch den Deal von Premierministerin Theresa May absegnen, verschiebt sich die Frist vom heraufdräuenden ursprünglichen Austrittsdatum 29. März auf den 22. Mai. Wenn die Abgeordneten den Deal mit der EU erneut ablehnen, was weitaus wahrscheinlicher sein dürfte, lautet das neue Datum 12. April.

Die Abstimmung soll laut Auskunft von Mays Büro in der kommenden Woche stattfinden. Wann genau, ist aber noch nicht klar. Aus dem Parlament hieß es, am Montag stehe zuerst einmal eine Debatte über die Brexit-Verschiebung und das weitere Vorgehen auf dem Plan. Nicht ganz sicher ist, wie Parlamentspräsident John Bercow reagieren wird. Er hatte eigentlich angekündigt, das Gesetz nicht noch einmal zur Abstimmung zu bringen. Weil es nun kleine Änderungen gibt, ist es aber möglich, dass das Votum doch stattfindet.

Dass May danach bei den Abgeordneten Erfolg haben wird, bezweifeln viele Beobachter. Allerdings hat die Regierungschefin in der vergangenen Woche Fortschritte gemacht. Die bisher ablehnende nordirisch-unionistische Partei DUP und die EU-feindliche Fraktion ERG (European Research Group) hatten ein Umdenken angedeutet. Wenn die Alternative zu Mays Deal nicht mehr No Deal, sondern de facto der Verbleib in der EU sei, werde man eher bereit sein, dem Abkommen doch noch zuzustimmen, sagten ihre Vertreter.

Die BBC hat die verschiedenen Optionen und Szenarien nach der Artikel-50-Verlängerung übersichtlich grafisch aufbereitet.

Während weiterhin niemand in Europa mit endgültiger Sicherheit sagen kann, wie sich die Brexit-Saga weiterentwickeln wird, kann man auf verschiedene Szenarien Wetten abschließen.

Medien titeln kritisch

Die britischen Medien kommentieren die Gnadenfrist für May jedenfalls entsprechend scharf. Der Daily Telegraph konzentriert sich auf die ablehnenden Reaktionen innerhalb von Mays konservativer Partei. Die Tories richten der Chefin aus, dass ihre Zeit vorbei sei.

"Eine letzte Chance" sei das Ergebnis für May, stellt die Times fest. Die Lebenslinie der Premierministerin sei um drei Wochen verlängert worden.

Der Guardian kritisiert May dafür, dass die EU die Kontrolle über das Datum des Brexits übernommen habe.

Der Independent bezweifelt, dass May wieder die Kontrolle über den Ablauf des Brexits zurückerlangt hat, nachdem die EU-Spitzen über das Schicksal des Vereinigten Königreichs entscheiden würden.

Die Daily Mail hingegen beschränkt sich auf das Offensichtliche: "Der Brexit verzögert sich", heißt es knapp.

Die Gratiszeitung Metro meldet, dass das Verteidigungsministerium für den Fall eines No-Deal-Brexits einen atomsicheren Brexit-Bunker vorbereitet.

Martialisch titelt auch der Daily Express: Die "Schlachtpläne" für einen No-Deal-Brexit werden mit Joan Collins in der Form ihres Lebens, dem Geist Admiral Nelsons und einer Toten in einem Fluss flankiert. Dazu wird "Chaos in Brüssel" gesichtet.

Die Financial Times sieht May mit einem nationalen Notstand konfrontiert, während die EU über die "Brexit-Guillotine" feilsche.

Der Daily Star schließlich wünscht sich eine Pause vom Brexit-Chaos und startet eine Kampagne für einen eintägigen "Break-xit".

Die Brexit-Anhänger sind mit Mays Verhandlungsergebnis wenig überraschend alles andere als zufrieden. "Die Schlacht ist noch lange nicht vorbei", erklärte die Plattform "Leave EU".

"Letzte Nacht wurde eine nationale Erniedrigung zu einer internationalen Erniedrigung", befand der ehemalige Ukip-Chef Nigel Farage.

Farage kündigte am Freitag auch an, als Spitzenkandidat der "Brexit-Partei" bei der EU-Wahl anzutreten, falls die Regierung "so dumm wäre, den Austrittstermin so weit zu verschieben", dass eine Teilnahme an der Wahl nötig würde.

Londons Bürgermeister Sadiq Khan fordert eine Abstimmung durch die britische Bevölkerung.

Der Tory-Abgeordnete Michael Fabricant wünscht sich einen Churchill anstelle eines Chamberlain an der Regierungsspitze.

Der Labour-Abgeordnete David Lammy sagt, dass sich May von der Farce zur Tragödie entwickelt habe. Es sei an der Zeit, dass das Parlament die Kontrolle übernehme.

Das erhofft sich auch die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon. So soll das Thema wieder an die Wähler zurückverwiesen werden. Schottland hatte bekanntlich mehrheitlich gegen einen Brexit gestimmt und kurz davor bei einem Unabhängigkeitsreferendum für den Verbleib im Vereinigten Königreich votiert – vor allem, um bei der EU zu bleiben. (Michael Vosatka, 22.3.2019)