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Washington fiebert dem Bericht des Sonderermittlers Robert Mueller entgegen.

Foto: Picturedesk.com / EPA / Shawn Thew

Manchmal kam der Chef auch persönlich. Dann setzte er sich in die zweite Reihe, auf einen der Stühle direkt an der Wand. Mit undurchdringlicher Miene hörte er zu, wie seine Anwälte in dem schmucklosen Bürohaus ein paar Blocks südlich der National Mall Verdächtige einvernahmen. Er selbst stellte keine Fragen, machte keine Kommentare, zeigte keinerlei Gemütsregung. Der Sonderermittler, dessen Auftrag die Aufklärung russischer Wahlmanipulationen bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 war, ist ein Meister des Schweigens.

Seit Robert Swan Mueller III. den Job im Mai 2017 übernommen hat, gab er weder Interviews noch Pressekonferenzen. Im News-süchtigen Washington ist das unerhört. Der 74-Jährige sprach nur durch seine Arbeit: 34 Anklagen gegen Personen hat Muellers Büro bis dato erhoben und drei gegen Unternehmen. Sieben Schuldbekenntnisse gab es und zwei Verurteilungen (für Donald Trumps früheren Wahlkampfmanager Paul Manafort).

Der wichtigste Bericht

Seit Wochen hatte ganz Washington Muellers Abschlussbericht entgegengefiebert. Am Freitagabend wurde er Justizminister William Barr zugestellt. Es ist das wichtigste Dokument, das er in einer langen, erfolgreichen Karriere geschrieben hat. Er musste feststellen, ob es im Präsidentschaftswahlkampf geheime Absprachen ("collusion") zwischen Trump oder seiner Kampagne und Russland gegeben hat. Und ob die Justiz bei der Aufklärung dieser Vorwürfe behindert worden ist. Auf der Grundlage des Berichts wird im Repräsentantenhaus entschieden, ob ein Amtsenthebungsverfahren ("impeachment") gegen den amtierenden Präsidenten einzuleiten ist.

Trump agitierte schon seit Monaten gegen die Ermittlungen. Er sprach bei jeder Gelegenheit von einer "Hexenjagd" gegen sich. Mueller schwieg. No nonsense, just facts. Deswegen wurde der Republikaner als Sonderermittler ausgewählt. Er unterscheide nicht zwischen Republikanern und Demokraten, heißt es, sondern zwischen Richtig und Falsch. Im parteipolitisch so vergifteten Klima Washingtons gilt er als ein Muster an Integrität, Unbestechlichkeit und Manieren – also als das genaue Gegenteil des derzeitigen Präsidenten.

Da der Patrizier aus Philadelphia, dort der Prolet aus Queens. Da der tadellose Staatsdiener, dort der entgrenzte Immobilienhai. Der eine mit einem wie mit dem Lineal gezogenen Scheitel, Brooks-Brothers-Anzügen, immergleichen weißen Button-down-Hemden, faden Krawatten. Der andere mit bizarr aufgetürmter Frisur, feinem Brioni-Zwirn und goldfunkelnden Manschettenknöpfen. Mueller ein in Vietnam hochdekorierter Marineinfanterist. Trump ein Drückeberger, der sagt, er hätte die Congressional Medal of Honor bekommen sollen, weil er – "mein Vietnam" – über Jahrzehnte mit Damen ausgegangen sei, ohne sich Geschlechtskrankheiten zu holen.

Vietnam. Es ist der Schlüssel zur Persönlichkeit des Sonderermittlers. Wie Trump stammt er aus wohlhabendem Haus. Sein Großvater war Eisenbahnmagnat, sein Vater Manager beim Chemieriesen DuPont. Wie Trump verbringt er seine Jugend in einem Internat an der Ostküste (der spätere US-Außenminister John Kerry war sein Klassenkamerad). Er studiert in Princeton und New York. Heiratet sein Highschool-Sweetheart. Meldet sich zu den Marines. 1968 übernimmt er als Leutnant einen Zug, 1969 schießen ihm die Nordvietnamesen bei schweren Kämpfen nahe der entmilitarisierten Zone auf den Mutter's-Ridge-Anhöhen durch den Oberschenkel.

Vietnam als Schlüssel

Auf diesen Hügeln lässt Mueller seine Angst zurück. Seine Mitarbeiter sagen, sie hätten ihn niemals nervös oder unsicher erlebt. Mueller selbst erklärte sich bei einer Rede an der Princeton-Universität so: "Es war außergewöhnlich glücklich, dass ich Vietnam überlebt habe. Viele haben das nicht geschafft. Und weil mir das gelungen ist, habe ich immer die Verpflichtung gefühlt, etwas beitragen zu müssen."

Für seinen Beitrag wählt er nach dem Jusstudium an der University of Virginia das Justizministerium aus. Dort macht er schnell Karriere. Er leitet die Untersuchungen gegen den panamaischen Diktator Manuel Noriega und den Chef des New Yorker Gambino-Mafiaclans, John Gotti, und klärt den libyschen Bombenanschlag auf eine Boeing 747 der Pan Am über dem schottischen Lockerbie auf.

Keine Schuldigen verteidigen

Kurz verdingt er sich zwischendurch bei der Anwaltskanzlei Hale and Dorr. Aber Mueller kann keine Schuldigen verteidigen. "Wenn es richtig wäre, seine Mutter anzuklagen, würde er es tun", sagt Tom Fuentes, einer seiner Assistenten später beim FBI. Mueller legt den hochbezahlten Job zurück und übernimmt lieber die Mordkommission in Washington D.C., geht dann wieder ins Justizministerium und wird schließlich 2001 – eine Woche vor 9/11 – Direktor der US-Bundespolizei FBI.

Das "Bureau" mit seinem Hauptquartier in einem ausgesucht hässlichen Betonklotz an der Pennsylvania Avenue 935, genau auf halbem Weg zwischen Weißem Haus und Kapitol, wird für zwölf Jahre sein Lebensinhalt. Er wird aus der verschnarchten Bundespolizei einen modernen Dienst machen, der in Terrorismusbekämpfung und Cybersicherheit weltweit führend ist.

Auch im FBI ist er ein zurückgezogener, unnahbarer Chef. Er gilt als formell, lösungsorientiert, regeltreu und unermüdlich. Wenn er um sechs Uhr Früh zum Dienst erscheint, hält er sich nicht mit Smalltalk mit seiner Büroleiterin Lisa Monaco auf. Seine erste Frage, sagt sie, sei stets "What's the matter?" gewesen.

Berüchtigt ist er für seine Ungeduld, seine 15-Minuten-Sitzungen und seine Allergie gegen unvorbereitete Mitarbeiter – besonders jene, die vorgaben, vorbereitet zu sein. "Uncle Bob" gilt als gefürchteter Mikromanager, der zuweilen so von seiner Mission eingenommen ist, dass er vergisst, seine Mitarbeiter auf dem Weg mitzunehmen.

Kompromisslos ist Mueller auch im Auftreten gegen jene, die ihn ernannt haben. Er verbietet es seinen FBI-Leuten, wie die CIA Waterboarding bei Verhören einzusetzen. Als George W. Bushs Adlaten Justizminister John Ashcroft, der nach einer Gallenblasenoperation im George-Washington-Krankenhaus liegt, dazu bringen wollen, in den USA geheime Abhörprogramme ohne richterlichen Beschluss zu autorisieren, eilt er mit Vizejustizminister James Comey an dessen Krankenbett und vereitelt den Plan.

Nach zehn Jahren im FBI verlängert ihn Präsident Barack Obama für zwei Jahre. Der Senat erteilt mit 100 zu null Stimmen die Genehmigung dafür. 2013 geht Mueller in den Unruhestand. Er hält Vorlesungen in Stanford und vertritt Geschädigte im VW-Abgasskandal.

Als Trump CIA-Chef Comey schasst, übernimmt Mueller ("Ich habe Ermittlungen immer geliebt") den Fall als "Special Counsel". Seine Anwälte kommen bei den Ermittlungen bis nach Wien, als sie Verbindungen zwischen Trump-Intimus Manafort und dem ukrainischen Oligarchen Dmytro Firtasch wegen eines nichtrealisierten Hotelprojekts in New York nachgehen.

Landesverrat oder Bestechung

Zuletzt schieden die Ermittler nach und nach aus Muellers Team aus. Und in Washington stieg die Betriebstemperatur. Die Frage ist, ob der Bericht, den Justizminister Barr Sonntagabend an den Kongress übermitteln sollte, persönliche kriminelle Verstrickungen Trumps belegen kann. Gemäß Verfassung können Präsidenten ihres Amtes enthoben werden, wenn sie "des Landesverrats, der Bestechung oder anderer schwerer Verbrechen und Vergehen für schuldig befunden worden sind".

Die Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, war bereits skeptisch, ob ein Impeachment sinnvoll ist, je näher der Wahltermin kommt. Trump will nach extremer Gegenwehr nun den ganzen Bericht veröffentlicht sehen. Und dessen Anwalt Rudy Giuliani gibt in diesem Licht eine neue Verteidigungslinie vor: "Die Frage ist, was mit diesem Bericht geschieht. Die öffentliche Meinung wird eine Menge damit zu tun haben, was damit geschieht."

Vielleicht muss der Meister unter diesen Umständen sein Schweigen brechen.

(Christoph Prantner, 22.3.2019)