Gibt es in Österreich Soldaten, die zu einem teils rechtsextremen Netzwerk gehören? Das legen Ermittlungsakten deutscher Behörden nahe

Foto: Standard/Gruber

Das in die Schlagzeilen geratene "Hannibal-Netzwerk" aus Soldaten und Polizisten, das in privaten Chatgruppen über den "Tag X", also den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung, und über Fluchtrouten bei Notfällen diskutierte, hat weitere Bezüge nach Österreich. Eine einfache Übersicht über die handelnden Personen ist am Schluss des Artikels angehängt. Recherchen von DER STANDARD, Taz und WOZ zeigen, dass sich im Jahr 2015 mindestens zwei Mitglieder einer Chatgruppe in Österreich aufgehalten haben, um an einem Schießtraining teilzunehmen. Das geht aus Befragungen der deutschen Ermittler hervor.

Es handelt sich dabei um die Chatgruppe "Nord", die in Deutschland wiederholt für Aufsehen gesorgt hatte. Mitglieder dieser Chatgruppe, die von dem deutschen Bundeswehr-Elitesoldaten André S. alias "Hannibal" und einem Kollegen administriert und mit Inhalten beliefert wurden, hatten unter anderem eine Liste mit "schädlichen" Personen aus der linken Szene angelegt, die "wegmüssten". Wie der Zeuge Horst S., Mitglied der Chatgruppe, deutschen Ermittlern, sagte, sollten diese am "Tag X" gesammelt und getötet werden. Dieser "Tag X" könnte nach einer Reihe von Anschlägen eintreten. Der Focus berichtete am Freitag, dass der Verfassungsschutz einen verdeckten Ermittler in der Chatgruppe Nord platziert hatte. Auch für Österreich soll es eine Chatgruppe in dem Schattennetzwerk gegeben haben.

Zahlreiche Bezüge nach Österreich

Die Mitglieder und Inhalte der angeblichen "Österreich-Chatgruppe" sind nicht bekannt. Der STANDARD hatte vergangene Woche erstmals über die zahlreichen Verbindungen des Schattennetzwerks nach Österreich berichtet. So flog der Bundeswehrsoldat Franco A. in Wien auf, weil er eine Waffe am Flughafen Wien-Schwechat versteckt hatte. Wo Franco A. zuvor die Waffe gefunden und wo er übernachtet hatte, ist unklar. Der ehemalige Soldat Maurice R., der in Wien lebt, bestritt nach einem STANDARD-Bericht, Gastgeber von Franco A. gewesen zu sein. Der Terrorverdächtige war Mitglied der "Chatgruppe Süd" gewesen. Die deutsche Bundesanwaltschaft ermittelte gegen den rechtsextremen Soldaten, weil dieser angeblich unter seiner falschen Identität als Flüchtling einen Anschlag geplant haben soll.

Zurück zur "Chatgruppe Nord": Diese bestand laut Zeugen aus rund fünfzig Personen, darunter Soldaten und Polizisten. Mitglieder dieser Gruppe trafen sich auch bei lokalen Treffen. Einmal übten sie in größerer Gruppe gemeinsam das Abseilen von einem Turm in einem Ort in Norddeutschland, ein anderes Mal kam eine kleine Gruppe bei einer Imbissbude in Norddeutschland zusammen. Dabei sollen die "Nord"-Mitglieder davon gesprochen haben, dass sie Feinde in Kasernen sammeln und töten wollen.

Reise nach Österreich

Horst S., der in der Chatgruppe war, gab nach Informationen des STANDARD gegenüber Ermittlern an, dass er mit einem anderen Nutzer namens "Gunther" 2015 nach Österreich reiste. Dort nahmen sie an einem Schießtraining in einem Steinbruch nahe Pöchlarn teil, bei dem auch österreichische Polizisten und Soldaten anwesend gewesen sein sollen. Das zeigt die internationale Vernetzung zwischen Soldaten. Organisiert wurde das Schießen laut Horst S. über einen Mitarbeiter des Reservistenverbands Mecklenburg-Vorpommern, der selbst wegen rechtsextremer Vorfälle in die Kritik geriet. Vor dem Schießbewerb waren die mindestens zwei Mitglieder der Chatgruppe "Nord", die nach Österreich gereist waren, offenbar den "Nibelungenmarsch" marschiert. Dabei handelt es sich um einen Marsch von zwanzig oder vierzig Kilometern Länge, der am Nibelungendenkmal in Pöchlarn startet und endet. Uniformierte Teilnehmer erhielten eine Ermäßigung beim Startgeld, nach dem Absolvieren des Marschs gibt es eine "Nibelungenmedaille". Mit dabei waren nicht nur Bundesheersoldaten, sondern auch tschechische Polizisten in Uniform.

Organisiert wird die Veranstaltung vom Verein "Militär Fallschirmspringer Verbund Ostarrichi", kurz "Milf-O". Vereinspräsident Josef Puntigam bestätigt, dass Horst S. an dem Marsch teilgenommen hat, ebenso jemand aus dem deutschen Reservistenverband. Von einem "Gunther" fehlt laut Milf-O auf der Teilnehmerliste jede Spur. An dem Schießen, das der Zeuge Horst S. anspricht, war Milf-O nicht beteiligt. Aber der Verein wisse, dass das Schießen "eine Privatperson in einem privaten Steinbruch" organisiert hat.

Der Verein geriet seit seiner Gründung 2008 mehrfach in die Schlagzeilen. So war ein Vereinsmitglied zumindest 2011 im Organisationsteam der "Kretafeiern", die im Gedenken an jene Fallschirmspringer der Wehrmacht stattfinden, die 1941 in Kreta Massaker an der Bevölkerung durchgeführt hatten. Laut Puntigam nahm der Verein teil, um einen verstorbenen Soldaten auf Bitten seiner Familie zu ehren.

Mit Verteidigungsminister vernetzt

Milf-O ist gut vernetzt. Er ist als sogenannter wehrpolitischer Verein anerkannt, wodurch er Zugang zu Ressourcen des Bundesheers hat. So dürfen wehrpolitische Vereine beispielsweise Treffen in Kasernen abhalten. Milf-O wollte eigentlich schon 2012 zum wehrpolitischen Verein werden, der Verein zog den Antrag jedoch zurück. Am 25. Mai 2018, also sechs Monate nach der Amtsübernahme des freiheitlichen Verteidigungsministers Mario Kunasek, erhielt Milf-O dann diesen Status.

Das könnte durchaus an den guten Beziehungen des Vereinspräsidenten und ehemaligen Bundesheerbrigadiers Josef Paul Puntigam zum Verteidigungsminister Mario Kunasek (FPÖ) liegen. 2015 stellte Puntigam gemeinsam mit Kunasek, damals Obmann der FPÖ Steiermark, ein "Konzept zum Grenzschutz" vor. Auch Puntigams zweiter Verein, die "Kameradschaft vom Edelweiß, Landesverband Steiermark", ist als wehrpolitischer Verein anerkannt.

Erst im April 2018 ließ sich Puntigam von der Tagesstimme, einem Nachrichtenportal der rechtsextremen Identitären Bewegung, interviewen. Außerdem publizierte er im Magazin Info-Direkt, das laut Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) die "Grenze zum Neonazismus auslotet". Dort schreiben Mitglieder der Identitären. Puntigam ist aber auch international gut vernetzt. Er schrieb etwa das Vorwort zu einem Buch, das Reinhard Günzel, der ehemalige Chef der deutschen Eliteeinheit KSK, mitgeschrieben hatte. Darin lobte Puntigam die Wehrmachtsdivision "Brandenburger". Günzel erklärte in dem Buch, dass das KSK die "Brandenburger" als Vorbild für seine Einheit sah. Günzel wurde 2004 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt, weil er eine antisemitische Rede gelobt hatte.

Christchurch-Attentäter verwies auf rechte Soldaten-Netzwerke

Die deutsche Einheit KSK wird seit Monaten von Berichten über rechtsextreme Umtriebe erschüttert. Der mutmaßliche australische Terrorist Brenton T. postete nur zwei Tage vor der Tat Artikel, die über die rechten Netzwerke in der Bundeswehr berichteten. Auch in seinem Manifest verwies er auf nationalistische Soldaten in europäischen Armeen.

Die Enthüllungen sorgten nun für Konsequenzen. So gab der Militärische Abschirmdienst (MAD), der Geheimdienst der deutschen Bundeswehr, bekannt, dass er mutmaßliche Extremisten künftig früher dem Personalamt der Bundeswehr melden will. Weil "Hannibal" vor Razzien vorgewarnt wurde, findet momentan ein Prozess in Köln gegen einen Mitarbeiter des MAD statt. Der Verfassungsschutz in Baden-Württemberg versetzte einen Mitarbeiter, der an der Gründung von "Hannibals" Verein Uniter beteiligt war. Die STANDARD-Recherchen über Österreichverbindungen des "Hannibal-Netzwerks" sorgten auch hierzulande für parlamentarische Anfragen. Kommende Woche soll das Thema im Ständigen Unterausschuss für Inneres behandelt werden. (Fabian Schmid, Laurin Lorenz, 22.3.2019)