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Kein Land der Welt hat größere Bewohner als die Niederlande. Das trifft auch zu, wenn man die Durchschnittsgrößen von Frauen (Rang 2 hinter Lettland) und Männern (Rang 1) addiert.

AP Photo / Leo Correa

Wien – Die menschliche Körpergröße und ihre Unterschiede zwischen Nationen sind ein spannendes Thema, zumal für Populationsgenetiker. Denn an diesem Merkmal lassen sich die Einflüsse von Genen und Umwelt besonders gut studieren. Sind es eher genetische Faktoren und die Selektion, die dazu führten, dass etwa die niederländischen Männer, die vor 200 Jahren zu den kleinsten Europäern gehörten, mittlerweile mit 1,84 Metern die größten sind? Oder haben vor allem andere Faktoren wie eine bessere Ernährung zum Größenwachstum beigetragen?

Kleiner Beitrag vieler Gene

Schon vor über 100 Jahren war es Statistikern wie Ronald Fisher klar, dass eine Vielzahl von Genen einen jeweils kleinen Beitrag zur Körpergröße leisten dürften. Das wurde durch populationsgenetische Untersuchungen, zuletzt durch sogenannte genomweite Assoziationsstudien (GWAS) bestätigt. So kam eine 2014 im Fachblatt "Nature Genetics" veröffentlichte GWAS mit Daten von mehr als 250.000 Individuen auf nicht weniger als 697 Genomvarianten, die 20 Prozent der Unterschiede erklären können.

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Der Türke Sultan Kösen (246,5 cm) ist der größte Mann der Welt, die Inderin Jyoti Amge (62,8 cm) die kleinste Frau. Wie sehr lassen sich die Größenunterschiede verschiedener Populationen genetisch begründen?
Foto: Amr Nabil / AP

Um diese komplexen genetischen Einflüsse in ihrer Stärke zu messen, haben sich Forscher zuletzt einen statistischen Wert einfallen lassen, der die Komplexität auf einen einzigen Wert reduziert, den sogenannten "polygenic score". Diese Zahl errechnet sich aus der Summe aller verbreiteten genetischen Varianten, die zu einem erblichen Merkmal beitragen, gewichtet nach deren Effektstärke.

Die Hoffnung mancher Genetiker ist es, mit diesem Konzept und den immer größeren genetischen Datenmengen den Einfluss der Gene im Vergleich zur Umwelt "herausrechnen" zu können – und zwar nicht nur für die Körpergröße, sondern auch für komplexere und politisch "sensiblere" Eigenschaften wie die Intelligenz.

Neuauswertungen aktueller Daten

Doch nun erschienen im Fachblatt "eLife" gleich drei Artikel, die einen Rückschlag für diese Hoffnungen bedeuten dürften. Zwei Forscherteams – eines um Jeremy Berg (Columbia University) und eines um Mashaal Sohail (Harvard) – haben jüngste GWAS zur Körpergröße unter die Lupe genommen, die einen wesentlichen Einfluss von Genetik und Selektion auf die Größenunterschiede in verschiedenen europäischen Ländern behaupteten.

Bei dieser Neuauswertung der Daten zeigte sich, dass dieser behauptete Einfluss vor allem auf statistische Fehlinterpretationen zurückgeht, die nicht zuletzt dann auftreten, wenn Methoden auf großen Mengen kleiner Effekte beruhen, wie das exemplarisch beim "polygenic score" der Fall ist. Mit anderen Worten: Auf Basis der vorliegenden Daten kann man – überraschenderweise – tatsächlich noch nicht wissen, ob die Gene für die Größenunterschiede zwischen den europäischen Nationen verantwortlich sind.

Wenig zuverlässige Maßzahl

Das soll nun nicht heißen, dass Genetik und Selektion keinen Einfluss auf die Körpergröße haben, wie die in Österreich tätigen Genetiker und Mathematiker Nick Barton (IST Austria), Joachim Hermisson (Uni Wien) und Magnus Nordborg (GMI) in einem Kommentar in "eLife" schreiben. Offensichtlich sei jedoch, dass der "polygenic score" kein zuverlässiges Maß für den genetischen Beitrag zu einem Merkmal ist, wenn die untersuchten Personengruppen auch von unterschiedlichen Umgebungen beeinflusst sind.

Wenn aber dieses Maß nicht einmal bei einem der am besten untersuchten Merkmale funktioniere, dann seien ähnliche Probleme bei Merkmalen wie der Intelligenz zu erwarten, wo angebliche populationsgenetische Unterschiede von bestimmten Gruppen gerne rassistisch missinterpretiert werden. (Klaus Taschwer, 22.3.2019)