Satte 145 Milliarden Dollar an Entwicklungshilfe sind 2017 aus dem Westen in den Rest der Welt geflossen. So viel Geld wurde noch nie zuvor von reichen in ärmere Länder umverteilt. Die EU ist mit den USA der größte Geber, in den vergangenen Jahrzehnten haben sie zusammen Billionen Dollar für Programme ausgegeben.

Aber was hat das alles gebracht? Das ist eine Debatte, die in der Wissenschaft seit Jahren hitzig geführt wird. Die Ökonomin Nancy Qian –sie stammt aus China und forscht an der Northwestern University in Illinois – ist eine der führenden Stimmen in der Diskussion, ihr Urteil: Nicht viel. Was aber nicht heiße, dass man damit aufhören solle.

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STANDARD: Der Westen gibt viel Geld für Entwicklungshilfe aus. Warum gibt es auf der Welt trotzdem noch immer Armut?

Qian: Den meisten Menschen ist nicht klar, dass der Großteil dieser Billionen nicht an die ärmsten Länder gegangen ist. Das meiste Geld geht einfach an politische Verbündete, die vielleicht nicht einmal Entwicklungshilfe brauchen. Sie können mit dem Geld dann oft einfach machen, was sie möchten.

STANDARD: Wofür wird das Geld dann ausgegeben?

Qian: Das Problem ist: Egal wohin die Entwicklungshilfe auf dem Papier fließt, Geld hat kein Mascherl. Wenn ich für ein Krankenhaus zahle und fordere, zeig mir das Krankenhaus – dann ist es vielleicht da, aber wäre es vielleicht ohnehin gebaut worden? Wenn Hilfe in ein Land geht, in dem klug damit umgegangen wird, dann kann sie Positives bewirken. Aber die meisten Politiker in armen Ländern wollen das Geld einfach für Dinge ausgeben, die gut für sie selbst sind. Am Ende ist es unmöglich zu kontrollieren, was mit den Hilfen wirklich passiert.

STANDARD: Aber wofür wird das Geld auf dem Papier ausgegeben?

Qian: Das wenigste für humanitäre Hilfe, aber das haben die meisten Menschen im Kopf, wenn sie an Entwicklungshilfe denken. Medizin, Lebensmittel und Wasser sind ein kleiner Teil. Viel fließt in Infrastruktur oder Bildung. Genau wissen wir es nicht, weil es keine guten Daten dazu gibt. Wir wissen auch wenig über die NGOs.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Qian: Bis vor 30 Jahren gab es nur ein paar Hundert NGOs, die sich engagiert haben. Heute betreiben zigtausende Entwicklungshilfe. Das Vertrauen in die Regierungen war gering, und darum begannen viele, sich in NGOs zu organisieren. Es gibt aber wenig Koordination. NGOs zahlen in Entwicklungsländern auch sehr gut und werben manchmal Mitarbeiter von Regierungen ab. Die fehlen dann. Sie machen viele wichtige Sachen, aber es gibt Probleme.

Eine Frau in Kinshasa, der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo, blickt auf eine Wahlliste. Besonders bei Wahlen sei der Westen gefragt, sagt Ökonomin Qian.
Foto: APA / AFP / John Wessels

STANDARD: Armut überall auszulöschen ist viel verlangt, sie sinkt immerhin. Wie ist der Stand der Forschung zur Entwicklungshilfe?

Qian: Es gibt sehr viel Forschung, die besagt, dass die Hilfen nichts bewirkt oder sogar eher geschadet haben. In Bürgerkriegsgebieten kann Entwicklungshilfe die Lage sogar verschlimmern, weil sie Konflikte anfacht. Die Milizen kämpfen dann um das Geld, das hereinkommt. Auf der anderen Seite gab es vor allem in den vergangenen Jahren Forschung, die optimistischer macht. Zum Beispiel aus den Philippinen. Oder brandneue Studien zu NGOs in Uganda, die zeigen, dass durch sie weniger Menschen sterben.

STANDARD: Unter dem Strich?

Qian: Es ist schwierig, eine genaue Bilanz zu ziehen, aber unter dem Strich zeichnen die Billionen Dollar, die wir ausgegeben haben, ein düsteres Bild der Entwicklungshilfe. Es gibt nicht viele Beweise dafür, dass sie viel gebracht hat, und viele Probleme damit. Etwa weil Länder mit schrecklichen Regierungen Geld bekommen, und diese deshalb weniger auf die Bevölkerung achten. Oder weil Entwicklungshilfe den Wechselkurs hinauftreibt und so der lokalen Wirtschaft schadet. Aber die Wissenschaft ist in Wahrheit erst am Beginn, das alles wirklich herauszufinden.

STANDARD: Wenn Hilfen in die ärmsten Länder der Welt gehen, haben diese oft kaum staatliche Strukturen, dafür Konflikte, Korruption. Das ist mit der Grund, warum sie so arm sind, sie bräuchten das Geld am dringendsten. Aber die Forschung scheint zum Ergebnis zu kommen, dass das auch die Gründe sind, warum Entwicklungshilfe dort eben nicht funktioniert.

Qian: Exakt so ist es.

STANDARD: Sollen wir es lassen?

Qian: Nein, denn nur weil es bisher nicht funktioniert hat, heißt das nicht, dass es nicht künftig besser gehen kann. Wir müssen mehr dazu forschen, was funktioniert und was nicht, und positiv sein. Viele Menschen sind arm, sie brauchen Hilfe. Und es ist offensichtlich, dass wir das Leben von vielen verbessern können.

STANDARD: Warum?

Qian: Weil ich gesehen habe, wie schlecht viele leben. Wir reden über Länder, in denen Menschen hungern und links und rechts sterben. Manche haben Sterberaten wie Europa im Mittelalter, ein Drittel der Kinder sterben. Bevor wir in eine nuancierte Diskussion einsteigen, was Entwicklungshilfen alles nicht lösen können, gehen wir das an, wo sie offensichtlich einen Beitrage leisten können.

STANDARD: Der Ökonom Angus Deaton sagt, der beste Weg, Armen zu helfen, sei, weniger Entwicklungshilfe zu geben.

Qian: Dem stimme ich nicht zu. Ich verstehe, warum er und viele andere skeptisch sind. Ich bin die Autorin einer der vielleicht negativsten Studien, was Entwicklungshilfe betrifft. Aber wir blicken falsch darauf, wenn wir so etwas sagen. Dass viel Geld nach Afrika geflossen ist und der Kontinent trotzdem nicht viel besser dasteht und wir deshalb keine Hilfen geben sollten, ist eine zu einfache Antwort. Und für die Armen dieser Welt ist es die falsche.

STANDARD: Geben Sie uns ein positives Beispiel für Hilfen.

Qian: Viele ärmere Länder führen zum ersten Mal demokratische Wahlen durch. Das ist wichtig, um bessere Institutionen zu bekommen. Das gut zu machen ist aber nicht einfach, wenn man das noch nicht so oft getan hat. Es gibt unzählige Möglichkeiten, Wahlen zu manipulieren! Wahlbeobachtung zu finanzieren ist eine sinnvolle Tätigkeit. Es ist teuer, wenn man in jedes Dorf Leute schickt.

STANDARD: Österreich gibt gut eine Milliarde Euro für Entwicklungshilfe aus. Haben Sie Ratschläge für ein derart kleines Land?

Qian: Was uns vor allem fehlt, sind gute Forschung und rigorose Evaluierungen, wann und wie Entwicklungshilfe effektiv sein kann. Wenn Österreich selbst also nicht allzu viel Geld hat, könnte es die Wissenschaft damit fördern. Es könnte auch Geld an kleine Start-ups vergeben, die neue Ideen ausprobieren. Da können kleine Beträge viel bewirken.

STANDARD: Österreich hat versprochen, 0,7 Prozent des Nationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben. Wir kommen nicht einmal auf die Hälfte. Sollten Menschen Druck auf die Regierung ausüben?

Qian: Über längere Sicht müssen wir darüber reden, ob wir mehr Geld ausgeben sollten. Im Moment ist es aber klüger, sich nicht für mehr, sondern für intelligentere Entwicklungshilfe einzusetzen. Das könnte eine großartige Nischenposition für ein kleines, reiches Land wie Österreich sein: Entwicklungshilfe klüger machen. Das hilft dann auch allen anderen.

(Andreas Sator, 24.3.2019)