Nathalie Borgers' Film "The Remains" wurde als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet. Er stellt eine syrische Familie ins Zentrum, die in Österreich Asyl gefunden hat.

Foto: Diagonale

Zu einer unmissverständlichen Aussage über die Zukunft des ORF wollte sich Gernot Blümel (ÖVP) am Samstagabend im Grazer Orpheum nicht hinreißen lassen. Susi Stach, die Moderatorin der Abschlussgala nahm mehrere Anläufe, aber ein Bekenntnis zu einem gebührenfinanzierten Rundfunk war dem Minister nicht zu entlocken. Lediglich, dass es weiterhin "ausreichend Mittel" für die Öffentlich-Rechtlichen geben müsse.

Die Anwesenheit des Ministers gab zuvor bereits der Rede der beiden Intendanten Sebastian Höglinger und Peter Schernhuber einen Drall. Auch sie nutzten die Gelegenheit, um die Notwendigkeit eines finanziell unabhängigen ORFs zu betonen. Schernhuber verwies auch auf die vom Standard aufgegriffene Brief-Affäre über Interventionen des Produzentenverbands im Ministerbüro und meinte, dass solche Debatten möglichst öffentlich auszutragen seien. "Kultur kostet, aber Unkultur kostet viel mehr" – den moralischen Leitfaden lieferte er dann mit einem Zitat. Es stammte vom ehemaligen Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP).

Die wichtigsten Auszeichnungen der Diagonale hatten dieses Jahr mehrere Gemeinsamkeiten. Sie gingen an Filme von Frauen, die sich in ihren Arbeiten mit der Migration nach Europa und den Schicksalen Flüchtender befassen. Blümel durfte die Preise überreichen.

Folgen des Kriegs auf drei Frauenleben

Sara Fattahis "Chaos", der schon auf eine längere Festivalkarriere zurückblicken kann, wurde überraschend als bester Spielfilm prämiert, ist aber eigentlich ein dokumentarischer Essayfilm, der die Nachwirkungen des Krieges im Dasein dreier Frauen sondiert. Die Qualität des Films liegt in seiner Skepsis gegenüber der Darstellbarkeit, die aus Syrien stammende, in Wien lebende Filmemacherin fragt sich beständig, ob es für das erlittene Leid, die Traumata überhaupt eine filmische Form geben kann.

Die Verzweiflung hemmt hier das Sprechen, das Exil erscheint nicht unbedingt als rettendes Heim. Die beiden Frauen Raja und Heba, die den Tod von Angehörigen erleiden mussten, filmt Fattahi in intimen, obskuren Settings. Kleine Gesten wie die verkrümmte Hand einer der Frauen, mit der jene des Mörders wachgerufen wird, erzählen eindringlich von seelischen Wunden. Zitate aus einem Interview mit Ingeborg Bachmann, in dem die Autorin vom Kriegszustand im Frieden spricht, passen das Gesagte stimmig in einen kulturgeschichtlichen Rahmen ein.

Empathie mit Flüchtlingen

Die Radikalität von Fattahis Ansatz macht der Vergleich mit dem zweiten Gewinner in Graz deutlich. Nathalie Borgers' "The Remains", als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet, stellt eine syrische Familie ins Zentrum, die in Österreich Asyl gefunden hat. Bei der tragische verlaufenen Flucht über das Mittelmeer sind 13 Angehörige ertrunken, ihre Leichen wurden nie gefunden. Der Film begleitet die Familie dabei, wie sie einen neuen Lebensmittelpunkt zu bestimmen versuchen, zugleich geht es darum, endlich Frieden schließen zu können. Die Bergung der Ertrunkenen, für die sich jedoch niemand zuständig fühlt, ist dafür das Symbol.

"The Remains" ist ein Film, der es dem Zuschauer leichter macht, einen emotionalen Zugang zu den Figuren zu bekommen, weil er auf eine direkten Zugang, auf Empathie setzt. Es schmerzt beispielsweise, dem Vater zuzusehen, wenn er inmitten von Medikamenten, die ihn beruhigen sollen, nach Worten ringt. Was den Film dennoch etwas einschränkt, ist der Umstand, dass die Familie auf ihren Identität als Geflüchtete reduziert wird. Von ihrer Vergangenheit in Syrien, den Hintergründen ihrer Flucht erfährt man kaum etwas. So wird sie ein Beispiel, das für alle einstehen soll. (Dominik Kamalzadeh, 24.3.2019)