Textilarbeiterinnen in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, protestierten im November 2018 wieder gegen die schleppende Entschädigung der Opfer des Tazreen-Brandes.

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Verstößt ein multinationaler Konzern in einem Entwicklungsland gegen Arbeits- oder Menschenrechte, haben die Betroffenen wenig Aussicht auf Entschädigung. Ist der Sündenbock nicht eine Tochter, sondern ein lokaler Lieferant des Multis, sinken die Chancen weiter. Die Gerichte vor Ort sind ineffizient und können Urteile nicht durchsetzen; die Richter in den Sitzstaaten der Konzerne tun sich mit solchen Fällen schwer und erklären sich gerne unzuständig.

Der katastrophale Brand in der Tazreen-Textilfabrik in Bangladesch im Jahr 2012 mit 112 Toten führte der Welt dieses Problem vor Augen. Noch heute kämpfen Angehörige um Schadenersatz von den westlichen Modekonzernen, darunter der Diskontkette Kik, für die in Tazreen genäht wurde. Aber mehrere Millionen Euro für Arbeitsschutzmaßnahmen in Bangladesch wurden im Vorjahr in einem diskreten Schiedsverfahren in Den Haag vereinbart.

Ausarbeitung von Verfahrensregeln

Dieses Modell könnte Schule machen, wenn sich Bruno Simma mit seinen Vorstellungen durchsetzt. Der deutsch-österreichische Völkerrechtler und ehemalige Richter am Internationalen Gerichtshof (IGH) ist Vorsitzender einer Arbeitsgruppe zu Unternehmen und Menschenrechten (Business and Human Rights, BHR), die Verfahrensregeln für solche Fälle ausarbeiten will.

Derzeit herrsche "ein großes Ungleichgewicht zwischen den Unternehmen und Betroffenen", sagt Simma im STANDARD-Gespräch. "Wir müssen nun zeigen, dass dieser Prozess den Betroffenen dient und sie nicht über den Tisch gezogen werden."

Die rechtlichen Hürden für Verfahren dieser Art seien enorm, betont Simma. "Multinationale Konzerne können im Völkerrecht nicht geklagt werden. Und nationale Gerichte sind für solche Fälle nicht eingerichtet." Nur in Frankreich sei es heute möglich, Konzerne für Sünden ihrer Zulieferer zu klagen.

In manchen Rechtsordnungen seien Schiedsverfahren für Fälle, die Menschenrechte berühren, ausgeschlossen. Mit all diesen juristischen Facetten beschäftigte sich die Zweijahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, auf der auch Simma vortrug, vergangene Woche in Wien.

Am Tag der Menschenrechte

Seine Arbeit baut auf den Prinzipien für Business und Menschenrechte auf, die der in Graz geborene US-Politikwissenschafter John Ruggie schon 2011 für den UN-Menschenrechtsrat ausgearbeitet hat. In der Arbeitsgruppe sitzen Völkerrechtler, Anwälte und Rechtsberater großer Konzerne.

Die neuen Regeln sollen am 10. Dezember, dem Tag der Menschenrechte, in Den Haag vorgestellt werden und ab dann in Schiedsverfahren zur Anwendung kommen. "Wir warten dann auf den ersten Fall", sagt Simma. Dabei könnte es wie in Bangladesch um Verletzungen von Arbeitsschutzbestimmungen gehen, aber auch um eine massive Umweltverschmutzung durch Pharmaproduzenten in Indien.

Schiedsgerichte sind bei NGOs auch wegen ihrer Geheimhaltungspraxis unbeliebt, aber Simma, der selbst vielen solcher Gremien vorsitzt, hält sie für die beste Option. Zwar werde man nach Transparenz streben, aber Vertraulichkeit in sorgfältig definierten Ausnahmen zulassen.

Mindeststandards

"Freiwilligkeit ist die große Attraktion der Schiedsgerichtsbarkeit", sagt Simma. Konzerne würden sich dem dennoch stellen und seien zu finanziellen Entschädigungen bereit, wenn sie so verhindern können, vor nationale Gerichte gezogen zu werden.

Begriffe wie "Verletzung" oder Opfer" wollten sie jedoch vermeiden. Eine für Staaten verpflichtende Regelung, die etwa Ecuador angestrebt hat, sei unter anderem am Widerstand in der EU gescheitert.

Ziel des Prozesses sei es auch, westliche Konzerne dazu zu zwingen, genauer auf die Arbeits- und Produktionsbedingungen bei ihren Lieferanten zu schauen und auch von diesen vertraglich Mindeststandards einzufordern.

Das müsse Teil der Corporate Social Responsibility (CSR) werden, zu der heute Konzerne in der EU verpflichtet sind. Werde diese Compliance verletzt, könnten die Unternehmen ihre Zulieferer ebenso vor einem Schiedsgericht verklagen, sagt Simma. (Eric Frey, 25.3.2019)