Das Ende des "Islamischen Staats" – wörtlich genommen, in seiner Pseudo-Staatsform -, das ist ein Trümmerfeld am Euphrat, eine verlassene und zerstörte Zeltstadt, in der noch viel mehr IS-Kämpfer und ihre Familien verschanzt waren, als die USA und ihre lokalen kurdischen Truppen vor Beginn der Schlacht von Baghouz geschätzt hatten. Zehntausende – bei ihrer Verhaftung meist zu Köchen und Rettungsfahrern mutierte – Extremisten, oft völlig reuelose Extremistinnen, arme Kreaturen von indoktrinierten und traumatisierten Kindern bevölkern nun die Lager in der Region.

Niemand weiß, was langfristig aus ihnen werden soll, schon kurzfristig ist die kurdische Verwaltung völlig überfordert. Vergeblich appelliert sie an die Staaten, aus denen kommend Jihadisten ab 2013 wie die Heuschrecken in Syrien und im Irak eingefallen sind, ihre Verantwortung wahrzunehmen. Der Populismus, mit dem man in den eigenen Ländern Wahlen gewinnt, verbietet es den Politikern, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, auch in Österreich.

In Baghouz sind die Schüsse noch nicht völlig verstummt, aber auch wenn sie es sein werden, ist der Albtraum nicht vorbei. So gesehen ist die Eroberung der letzten festen ISSiedlung nur ein – wenngleich mit großer Symbolik behafteter – Etappensieg. Aber was nun passieren wird, hat man nach der Rückeroberung der letzten IS-Gebiete im Irak gesehen: Die Rückverwandlung in eine Terroristenguerilla, die aus der Wüste, dem freien Gelände operiert, fällt der Gruppe nicht schwer. Mit Anschlägen und Angriffen ist auch in Nordsyrien vermehrt zu rechnen, aber auch damit, dass sich der IS weiträumig umgruppiert und wieder sammelt.

Gesellschaften noch lange nicht immun

Einstweilen ist der IS jedoch von einer militärischen Herausforderung zu einer allgemeiner definierten Sicherheitsbedrohung geworden. Aber das kann sich wieder ändern: Nichtkontrollierte oder unkontrollierbare Räume, politisches Vakuum, das der IS neu besetzen kann, gibt es im Nahen Osten und in Nordafrika und darüber hinaus noch immer genug. Und Waffen werden auch stets ausreichend zur Verfügung stehen, nicht zuletzt, weil die Aktivitäten des IS hin und wieder auch anderen Akteuren zupasskommen.

Und auch die Gesellschaften der Region sind noch lange nicht immun: Kaum eine der politischen Ursachen, die zum Aufstieg der jihadistischen Terroristen im Nahen Osten geführt haben, ist beseitigt. In der ehemaligen IS-"Hauptstadt" Mossul etwa, wo eine engagierte Zivilgesellschaft um die Normalisierung des Alltags ringt, steigt die Frustration über die Defizite der Behörden. Auch das Fährunglück auf dem Tigris, bei dem am Donnerstag fast 100 Menschen zu Tode kamen, wird Korruption und Misswirtschaft angelastet. Wie schon 2013 und 2014 wird der IS – oder wie immer er dann heißen mag – versuchen, durch diese Risse in die Gesellschaft einzudringen und neue "Aufstände" anzuzetteln.

Die Herkunftsstaaten der euphemistisch so genannten "ausländischen Kämpfer" suchen Sicherheit, indem sie sich nicht mit ihnen auseinandersetzen. Vielmehr sollten auch sie sich fragen, ob der Boden, auf dem die hausgemachten Jihadisten gewachsen sind, noch fruchtbar ist. Als romantisches Ziel verwirrter Teenager mit nur vagen Ideen über den Islam hat der IS vielleicht ausgedient. Aber die Ideologie als radikale Ansage gegen alles, was uns lieb und wert ist, bleibt bestehen. (Gudrun Harrer, 24.3.2019)