Mindestens 60 Unternehmen verdächtigt die Staatsanwaltschaft der Preisabsprachen im Straßenbau.

Foto: Robert Newald

Das Ausmaß der Causa Baukartell, in der es um den Verdacht der verbotenen Preisabsprachen bei öffentlichen Straßenbauaufträgen geht, ist recht ansehnlich. Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt inzwischen gegen rund 240 Beschuldigte, darunter mindestens 60 Unternehmen. Die Staatsanwälte durchforsten um die 350 Vergabeverfahren von öffentlichen Auftraggebern im Volumen von mehr als 100 Millionen Euro ab 2008. Involviert ist auch die Bundeswettbewerbsbehörde. Beschuldigt sind große Baukonzerne wie Porr oder Strabag (sie haben volle Kooperation zugesagt), aber auch jede Menge mittlere und kleine Unternehmen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

"Alle haben mitgetan"

"Es ging aus meiner Sicht schon ums Überleben. Was hätte ich denn tun sollen, wenn alle Mitarbeiter Absprachen treffen? In Schönheit gestorben ist auch gestorben", erklärte ein beschuldigter Mitarbeiter den Grund für seine Aktivitäten in einer Einvernahme. "Nicht mitmachen" wäre nicht gegangen, sagte der Kärntner Ex-Prokurist aus, der "Wettbewerberkontakte", also die Gespräche mit den Konkurrenten, in Kärnten hergestellt hatte. Zur Erinnerung: In der Causa geht es vor allem um öffentliche Straßenbauaufträge in Kärnten und der Steiermark, aber auch um etliche Aufträge in Niederösterreich.

Warum hat der Bauexperte bei den mutmaßlichen Absprachen trotz seines "unguten Gefühls" mitgetan, wollten die Ermittler von ihm wissen. "Das hat aus meiner Sicht die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir überhaupt regelmäßig zu Aufträgen kamen, um zumindest unsere Stammmannschaft und die angeschafften Geräte und Maschinen auslasten zu können", gab der Beschuldigte zu Protokoll.

Der bei einer Kärntner Baufirma Beschäftigte hat ein Geständnis abgelegt und ist heute Kronzeuge – und die von ihm penibel geführten Tabellen und Listen spielen im Verfahren eine zentrale Rolle. Abgelegt waren die Unterlagen im "roten Ordner", den die Ermittler gefunden hatten.

Details zum Ablauf

Aus einem Bericht des Bundesamts zur Korruptionsbekämpfung (BAK) zu der Causa erschließen sich die Details zum Ablauf der mutmaßlichen Bieterabsprachen. In den Unternehmen habe es fünf bis (bei größeren Ausschreibungen) 15 Mitarbeiter gegeben, die involviert gewesen seien. Der jeweils regional Zuständige sei als "Initiator" aufgetreten und habe sich an die Mitbewerber gewandt, um zu recherchieren, wer sich aller für den Auftrag interessiert. Bei dieser "Kontaktaufnahme" hätten sich unterschiedliche Leute gemeldet, das sei "ohne System" erfolgt, so der Kronzeuge. Und: "Auf Geschäftsführerebene hat es ... keine Absprachen gegeben."

Laut BAK hat der "Initiator" bei den Konkurrenten abgeklärt, ob diese bereit sind, "beim Vergabeverfahren zurückzustehen", indem sie mehr verlangen als der vereinbarte Billigstbieter. Oder ob sie an einer Absprache nicht interessiert seien beziehungsweise selbst den Zuschlag anpeilen. Danach teilte der "Initiator" dem Konkurrenten den (höheren) Angebotspreis mit, den der abzugeben hatte. Auf dieser Basis wurde kalkuliert und abgegeben.

Mit Fahne

Manchmal bekamen "Zurücksteher" auch eine sogenannte Fahne übermittelt. Was das ist? Ein besonderes Service vom "Initiator": ein von diesem erstelltes kurzes Leistungsverzeichnis, in dem die Preise für die einzelnen Leistungen per Software mit einem Zuschlag so erhöht wurden, dass man auf die vereinbarte Angebotssumme kam. Der Konkurrent, der "zurückstand", musste sein Angebot nur noch um ein paar Details ergänzen – und abgeben.

Wer den Auftrag als Billigstbieter bekam, das wurde oft in "internen Angebotsöffnungen" eruiert, in denen einander die Eingeweihten persönlich trafen. Oft sei es aber auch einfach zur "Aufteilung und Zuweisung einzelner Projekte" gekommen, wie das BAK in einem Bericht aus dem Vorjahr schreibt.

Und was bekam der, der bei der Vergabe vereinbarungsgemäß nicht drankam? Einen "Ausgleich" vom Gewinner; meist 0,5 bis 3,5 Prozent der Auftragssumme. Wobei nicht bar bezahlt wurde, sondern (jedenfalls in den mehr als 200 Fällen, die der Kronzeuge schilderte) Guthaben und Schulden aufgelistet wurden. Die involvierten Unternehmen hätten das dann regelmäßig saldiert, sagt der Kronzeuge. Intern und im Ermittlungsakt läuft das unter dem Titel "Punktesystem".

Ausgleichssystem

Daneben gab es laut BAK und diversen Beschuldigten aber auch Ausgleich durch Subaufträge oder Arbeitsaustausch bei anderen Vergabeverfahren. Die Korruptionsbekämpfer berufen sich dabei auf Aussagen des Kronzeugen und anderer Geständiger. Wobei der Ausgleich quasi auch in Naturalien erfolgen konnte – indem der Gewinner des Auftrags den unterlegenen Konkurrenten vorab zusagte, Material bei ihnen zu einem bestimmten Preis einzukaufen.

Rechtlich geht es um den Verdacht auf "wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Vergabeverfahren" gemäß Paragraf 168b Strafgesetzbuch. Ausgelöst wurden die Ermittlungen durch ein Finanzverfahren gegen das recht kleine Unternehmen, in dem der Kronzeuge gearbeitet hat. Auf die Frage, warum es auch noch danach einen "Preisabstimmungsversuch" gegeben habe, sagte der Beschuldigte: "Ein Aussteigen aus der seit langem bestehenden Verhaltensweise ... war kaum möglich. Die anderen Wettbewerber haben ja weitergemacht." (Renate Graber, 25.3.2019)