Martin Mayer: Junge sehen ihre erschöpften Karriereeltern – und wollen es anders machen, wenn es geht.

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"Dass Junge genug Zeit haben wollen für 'die schönen Seiten des Lebens', das verstehe ich gut", sagt Mayer.

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STANDARD: Unternehmenschefs stellen den Fachkräftemangel immer dramatischer dar. Wird sich das Problem, wie groß auch immer es tatsächlich sein mag, nicht durch Automatisierung und künstliche Intelligenz lösen, zumindest schrittweise mildern? Und damit sehr viele neue Arbeitslose produzieren?

Mayer: Eine schwierige Frage, meist voller ideologischer Anschauung beantwortet. Sinkt der Nachfragedruck durch digitale Disruption? Ich glaube nicht, dass wir Heerscharen an Arbeitslosen produzieren. Was bedeutet die Angebotslücke im qualifizierten Bereich, wo sind Engpässe? Ich sehe das in den handwerklichen Berufen besonders kritisch. Dass wir unsere Volkswirtschaft an der Akademikerquote messen – ich weiß nicht, ob das die richtigen Parameter sind. Das Grundthema bleibt die Bildungsfrage, dort ist das Kernproblem.

STANDARD: Was tun?

Mayer: Grundsätzlich: Wir haben nicht ein Drittel Gescheite und zwei Drittel Dumme. Die Neue Mittelschule braucht viel mehr Aufmerksamkeit und Ressourcen, bei diesen Jungen ist anzusetzen. Alleine die Lehre attraktiver zu machen, das reicht nicht. Es geht um die Frage, was müssen 14-, 15-Jährige können, um sich – sagen wir – durchzuschlagen im rasanten Wandel. Dafür müssen wir die Lehrpläne nach der Förderung analytischer Fähigkeiten und der Sozialkompetenz ausrichten.

STANDARD: Es werden gerne die Eltern beschuldigt, ihren Kindern nicht einmal mehr das Grüßen beizubringen. Unternehmen und Schulen sagen: Wir können doch nicht alle Defizite ausbügeln ...

Mayer: Das ist doch müßig, es geht nicht um Schuld, sondern um die Ansatzpunkte. Unternehmen erzählen mir immer, dass genau dort die Defizite liegen – also! Wir können da nur in den Schulen ansetzen, eine andere Möglichkeit haben wir nicht. Nur voller Ressourceneinsatz dort kann die Lücke im Arbeitsmarkt schließen. Da geht es noch gar nicht um konkrete Berufsbilder.

STANDARD: Aber etwa auch um die Frage, wie die Sozialsysteme weiter mit Beiträgen gefüttert werden können ...

Mayer: Ja, sicher. Da sollten wir schnell zur Einsicht gelangen, dass die alte Teilung in hier Lohnempfänger und dort Kapitalisten sich in der Wirklichkeit bereits aufgelöst hat. Unselbstständig und selbstständig als Gegensätze existieren so kaum mehr. Klassischer Fall: teilzeitangestellt und daneben in ein, zwei Berufen selbstständig. Das wird immer doppelt abgebildet, mit viel Ärger, Frust und nicht zeitgemäßen Strukturen. Besonders wichtig finde ich auch, dass wir aufhören, jungen Müttern die Wahlfreiheit für oder gegen Teilzeit zu nehmen und so Verluste in der Pension programmieren. Das ist eine große Unfairness. Pensionssplitting unter Partnern wäre da ein Ansatz, den es zu verstärken gilt. Ich bin ein Anhänger der Wahlfreiheit von Menschen – dazu benötigt es Reformen in diesen Systemen.

STANDARD: Bringt die nicht früher oder später sowieso der Druck der jungen Generationen, die sinngemäß sagen: Meine Arbeit ist nicht mein Leben? Stichwort Wertewandel. Ich höre Spitzenmanager und ihre Personalabteilungen gerade darüber extrem ächzen ...

Mayer: Die Bereitschaft, dem Job alles oder zumindest sehr viel unterzuordnen, ist bei den Jungen definitiv geringer. Das war in der Babyboomer-Generation und auch bei uns in der Generation X noch anders. Die Jungen orientieren sich nicht an diesen Vorbildern.

STANDARD: Bei denen, die es sich leisten können ...

Mayer: Ja, ein Phänomen der besseren Milieus, der besser ausgebildeten und der gesättigten Märkte in Europa. Unternehmen müssen sich dem trotzdem anpassen, auch wenn sie noch so hadern. Gegen den Wertewandel ist nichts zu tun. Dort, wo die Strukturen groß und starr sind, fällt das schwerer als in kleineren Teams, meiner Wahrnehmung nach.

STANDARD: Haben Sie zum Wertewandel eine persönliche Haltung als Unternehmer, der vermutlich weniger Freizeit als Arbeitszeit hat? In dem Thema ist ja auch viel Energie, etwa "Ihr kriegt den Arsch nicht hoch", um einen Buchtitel über die Jungen zu zitieren.

Mayer: Eine zweifache. Einerseits nehme ich eine gewisse Orientierungslosigkeit der Jungen wahr. Ich glaube, dass ein Stück weit der Zerfall klassischer Familienstrukturen damit zu tun hat. Das sehe ich kritisch. Dass Junge allerdings genug Zeit haben wollen für "die schönen Seiten des Lebens", nicht die Brüche ihrer Eltern wiederholen wollen, die vielleicht mit 60 psychisch und physisch erschöpft erlebt werden, das verstehe ich gut. Da müssen wir uns schon fragen: Ist da nicht etwas schiefgelaufen? Der Wertewandel ist da vielleicht die gesunde, richtige Antwort. Gerade angesichts der weiter zunehmenden Beschleunigung.

Vielleicht sind wir es, die sich an Millennials anpassen sollten – angesichts der erschreckend hohen Burnout-Raten, angesichts des massiven Drucks rundherum. Vielleicht sollten wir umlernen – das hat ja noch lange nichts mit irgendeiner Abschaffung von Leistung zu tun, was gerne unterstellt wird. (Karin Bauer, 28.3.2019)