"Politik dient der Erhaltung der Macht. Und man kann den Rosenkranz auch als Schlagring einsetzen. Das Christsoziale ist Oberfläche", meint Sigi Zimmerschied.

Franziska Schrödinger

Als "waschechter" Bayer wäre Sigi Zimmerschied einst beinahe an die katholische Theologie verlorengegangen. 1975 aber beschloss er, nicht Religionslehrer, sondern Kabarettist zu werden. Heute ist der 65-jährige Passauer einer der feinsinnigsten Satiriker Deutschlands und gefragter Schauspieler in TV-Krimiserien. Mit seinem 19. Solokabarett Heil – vom Koma zum Amok gastiert Zimmerschied diese Woche in Wien, vom 26. bis 28. 3. im Kabarett Niedermair und am 29. 3. im Stadtsaal.

STANDARD: Seit den 1970er-Jahren thematisieren Sie in ihren Kabaretts den Glauben. Sind Sie noch religiös?

Zimmerschied: Nachdem ich mich selbst suche und nicht davon ausgehe, Gott zu sein, eher nicht.

STANDARD: Eher nicht ist kein Nein. Woran glauben Sie?

Zimmerschied: Ich glaube an den Mythos von Sisyphos. An das ewige selbstbestimmte Verfolgen von Zielen. Und daran, dass auch im Scheitern Lust verborgen liegt.

STANDARD: Liegt Sisyphos nicht nahe am Buddhismus? Wiedergeburt, beständige Arbeit an sich selbst, auch wenn man scheitert?

Zimmerschied: Sisyphos und Buddhismus? Lieber nicht. Ich möchte nicht als Stein wiedergeboren werden.

STANDARD: Gibt es etwas an Ihrer katholischen Sozialisierung, wofür Sie dennoch dankbar sind?

Zimmerschied: Ja – das Gespür für Dramaturgie, Inszenierung und Demagogie bekommen zu haben.

STANDARD: Ist die Kirche also der beste Lehrmeister der Dramatik?

Zimmerschied: Der beste nicht, aber der unverschämteste. Und der einzige, wenn man in den Sechzigerjahren in Niederbayern sozialisiert wurde.

STANDARD: Wären Sie auch ohne die Kirche ein so versierter Satiriker und Schauspieler geworden?

Zimmerschied: Ich denke schon. Das Wesentliche ist ja dieser Defekt im Kopf, das Multiple, diese Anpassungsunfähigkeit. Nur die Färbung und die Themen wären andere geworden.

STANDARD: Gab es in Ihrem Leben einen Erweckungsmoment, an dem Sie wussten: Religion ist nicht nur zum Glauben da, man muss sich an ihr abarbeiten?

Zimmerschied: Ja. Als ich diese Abarbeitung verweigerte.

STANDARD: Im Kabarett arbeiten Sie sich nicht daran ab?

Zimmerschied: Ich teile Erfahrungen mit und zelebriere meinen Ärger über mich, dass ich so viel Zeit darauf verwendet habe.

STANDARD: Würden Sie das jedem empfehlen, oder muss es auch legitim sein, völlig frei von Hinterfragungen glauben zu dürfen?

Zimmerschied: Empfehlen nicht. Denn wenn man es nicht kann, sollte man es bleiben lassen. Hirnfreie Hinterfragungen führen in der Regel zu Katastrophen.

STANDARD: Was sind denn so "hirnfreie Hinterfragungen"?

Zimmerschied: Parteiprogramme, Fernsehprogramme.

STANDARD: In Letzteren kommen Sie als vielbeschäftigter Schauspieler aber selbst oft genug vor.

Zimmerschied: Ach ja, der Scheinwiderspruch. Es ist den Unterhaltungsredaktionen gelungen, das Kabarett mit ihrer Quotenangst und Inkompetenz zu erwürgen. Im öffentlichen Erscheinungsbild ist es zum beliebigen Naschwerk verkommen. Es ist tot. Die Szene ist ein Haufen unsolidarischer Einzelhändler geworden. Warum also nicht bei den ehemaligen Feindbildern vorbeischauen, ob es da vielleicht sogar menschlicher und spannender ist? Ich bin gern als Monomane dabei, wenn vierzig Verrückte versuchen, ein Bild zu machen. Das tut gut.

STANDARD: Sie schätzen das Kollektiv beim Film und verabscheuen die Egomanie im Kabarett?

Zimmerschied: Nein. Das Kabarett bleibt die Königsdisziplin: Autor, Regisseur, Darsteller und manchmal Publikum in einer Person. Aber ich mag die Ausflüge auf die andere Seite, und ich verabscheue das, was die Unterhaltungsredaktionen aus unserem wunderbaren Kabarettgenre gemacht haben.

STANDARD: In Ihren Kabaretts stellen Sie Gott als launige Figur dar: Er ist entweder naiv, trübsinnig oder gleichgültig. Geht es da um die Launen der Natur, denen wir Menschen ausgeliefert sind?

Zimmerschied: Es ist eher meine Allmachtsallergie. Ich habe schon als Kind auf angeblich Allmächtige mit Parodie und Ironie reagiert. Ich habe Lehrer, die mir einen Verweis geben wollten, ex tempore nachgemacht, bis sie darüber so lachen mussten, dass sie mir den Verweis nicht mehr geben konnten. So ist das auch mit Gott.

STANDARD: Brauchen Menschen etwas, woran sie glauben können? Transzendenz als sozialen Kitt?

Zimmerschied: Der Glaube ist nicht der Kitt. Er ist der Riss.

STANDARD: Was ist der Kitt?

Zimmerschied: Der Kitt sind der gegenseitige Respekt und die Skepsis. Sie schaffen Raum zum Atmen.

STANDARD: Parteien wollen auch, dass man an sie glaubt: Ist etwa die CSU für Sie noch christlich-sozial?

Zimmerschied: Politik ist immer spekulativ pragmatisch. Der Rest ist Farbe.

STANDARD: Geht das genauer?

Zimmerschied: Politik dient der Erhaltung der eigenen Macht. Und man kann den Rosenkranz auch als Schlagring einsetzen. Das Christsoziale ist nur die Oberfläche. Dahinter agiert die Macht.

STANDARD: In der Flüchtlingskrise entstand eine Konfliktlinie, die sowohl die Kirche als auch die Parteien durchzieht. Sie verläuft zwischen jenen, die sich als wehrhafte Christen, als Verteidiger eines christlichen Europas sehen, und jenen, die die Hilfsbereitschaft in den Vordergrund stellen. Welcher Flügel wird sich durchsetzen?

Zimmerschied: Ich fürchte, die Wehrhaften.

STANDARD: So pessimistisch?

Zimmerschied: Ja.

STANDARD: Ihr neues Kabarett heißt "Heil – vom Koma zum Amok". Es geht um einen frustrierten 65-Jährigen, der an seinem Geburtstag durchdreht. Was hat Sie bewogen, sich dem Thema Amoklauf zu nähern?

Zimmerschied: Dass ich mittendrin stehe. Wir leben in einem Klima der enttabuisierten Gewalt, in Gedanken, Wort und Tat. Die Hemmschwellen werden wieder niedriger. Die Wortschätze mickriger. Die medialen Geilheiten größer. Die Vernunft kleiner. Das ist ein Nährboden für Gewalt.

STANDARD: Wie kann man dem entgegenwirken?

Zimmerschied: Nicht weichen. Mit dem Grauen spielen. Die Popanze lächerlich machen. Bei sich bleiben. Immer und immer wieder. Wie bei Sisyphos. (Stefan Weiss, 26.3.2019)