Als Vogel Strauß den Kopf in den Sand stecken, sich das magische Einhorn über den Schädel ziehen oder als Krokodil im Wasser vor sich hin dümpeln. Man kann in ein Kostüm schlüpfen, aus der eigenen Haut kommt man dennoch nicht heraus.

Wie eilig abgestreift und achtlos liegengelassen wirken die Kostüme von Löwe, Giraffe, Bär und Pinguin in der Kunsthalle Wien. Im Zwielicht wirken die verstreuten Plüschhüllen trostlos. Einmal erwachsen geworden, ist Verwandlung keine Option mehr. Leblose Stoffkadaver mahnen, dass der Zustand kindlicher Unschuld sich auch nicht durch Verkleidung wiederherstellen lässt. Trotzdem hat Peter Friedl 1998 die Mitarbeiter eines Brüsseler Museums den lächerlichen Versuch unternehmen lassen, sich für ein paar Momente in das Tier zu verwandeln, das sie als Kind einmal werden wollten.

"The Dramatist (Black Hamlet, Crazy Henry, Giulia, Toussaint)" von 2013
Sammlung Carré d’Art – Musée d’art contemporain de Nîmes, Courtesy der Künstler und Guido Costa Projects, Turin Foto: Maria Bruni

"Ihr Affentum, meine Herren, sofern Sie etwas Derartiges hinter sich haben, kann Ihnen nicht ferner sein als mir das meine", erklärt Franz Kafkas Affe Rotpeter in Ein Bericht für eine Akademie. Die Menschwerdung des Affen, der sich in weniger als fünf Jahren "die Durchschnittsbildung eines Europäers" angeeignet hat, ist unwiderruflich. Unumkehrbar.

2017, hundert Jahre nach der Publikation von Kafkas Text, ließ der 1960 in Oberösterreich geborene Friedl in Report Laiendarsteller aus aller Welt – vom russischen Taxifahrer bis zur illiteralen syrischen Kurdin – Passagen aus dem Monolog des Affen rezitieren, unter anderem auf Farsi, Russisch, Swahili, Arabisch.

Das Davor und Danach

Den wohl meistinterpretierten Text der Literaturgeschichte, gedeutet als Parabel auf den Druck der Anpassung, dem das jüdische Volk ausgesetzt war, brachte Friedl so in Resonanz zur heutigen Integrationsdebatte, die zwischen den Polen Toleranz und Nullakzeptanz zwischen Vielfalt und Assimilation Grautöne zermalmt.

Den meisten Besuchern – 2017 auf der Documenta 14 und nun in Wien – entzieht sich allerdings der Inhalt des auf der Bühne des griechischen Nationaltheaters in Athen Vorgetragenen. Friedl verzichtete in seinem Film bewusst auf Untertitel.

Am Theater interessiere ihn mehr das Davor und Danach, nicht das Stück selbst. Es ist nicht das Narrativ, sondern eher das Modell "Theater", das den Konzeptkünstler Friedl reizt. Den sich im mystischen Dunkel öffnenden Raum für Erfahrungen und Erkenntnisse hat er atmosphärisch in die Kunsthalle transferiert. Teatro heißt die Schau in deren Mitte sich der Kubus für die Projektion der Documenta-Arbeit Report wie die Architektur eines Lichtspieltheaters ausnimmt.

Allerdings hat man in diesem stimmungsvollen inszenatorischen Spiel des Künstlers keine Chance, im symbolischen Zuschauerrang sitzen zu bleiben. Peter Friedl nimmt einen in die Pflicht. Ja sogar den Dramentext muss jeder selbst formulieren. In The Dramatist – vier im theatralen Halbdunkel von der Decke baumelnde Marionetten – suchen vier Figuren noch nach ihrem Autor, also nach dem, der im übertragenen Sinn die Fäden ihrer Marionettenkörper ziehen wird. Aber welche Geschichte sollen Antonio Gramscis Ehefrau Julia Schucht, Automobilhersteller Henry Ford, der "schwarze Hamlet" John Chavafambira und der haitianische Revolutionär Toussaint Louverture spielen?

Figuren, die ihr Drama noch suchen: Künstler Peter Friedl stellt in "Teatro Popular" (2016-17) nur die Puppen zur Verfügung.
Courtesy der Künstler und Lumiar Cité, Lissabon, Foto: Daniel Malhão

Nicht minder komplex der Auftrag an die Zuschauer in Teatro Popular. Die Installation ist eine Reminiszenz an das portugiesische Straßen-Puppentheater. Schlaff hängen die Handpuppen über den mit bunten Stoffen überzogenen Kulissen: etwa die Königin Nzinga von Ndongo und Matamba, der einst reichste Mann der Welt Calouste Gulbenkian oder die von Ingrid Bergman im Filmklassiker Casablanca verkörperte Isa Lund. Friedl setzt nicht nur in dieser Arbeit Wissen voraus, das sich selbst mit einer integrierten Wikipedia-Funktion schwer aneignen und in Reibung bringen ließe. Die Werke, die sich im Kopf des Betrachters vollenden sollten, werden je nachdem wie ahnungslos man sich ihnen nähert, immer leiser und stummer.

Für Friedl muss Kunst unverständlich sein, sagte er dem STANDARD 2011. "Gegenwartskunst ist heute etwas, bei dem jeder glaubt, er muss es sofort verstehen." Im Grund habe man aber den Rest des Lebens Zeit, darüber nachzudenken, ist er überzeugt. Und so untermauert der dreifache Documenta-Teilnehmer seine Ernsthaftigkeit und Intellektualität auch in Wien.

Es ist trotz seiner Teilnahme an wichtigen internationalen Ausstellungen (Biennale Venedig, Manifesta) und Solos in Institutionen wie dem Pariser Centre Pompidou oder der Kunsthalle Basel die erste große Personale von Peter Friedl in Österreich. Der Künstler reißt darin wichtige Fragen an, etwa zu Identität und Anpassung, zu Geschichts- und Medienbildern oder auch zu kolonialen Prägungen. Trotz Highlights wie der auf der Biennale Venedig 2015 gezeigten Rehousing-Serie, Modelle moderner Architektur, die für Peter Friedl Geschichte, Politik und Ideologien spiegeln, springt in der Wiener Schau kein Funke über.

Mit der spröden Sperrigkeit der Werke, seinem Beharren auf dem Nichterzählen, tut Friedl seinem Anliegen, politische und kulturelle Machtkonfigurationen zu hinterfragen, jedoch keinen Gefallen. Für den großen Schlussapplaus dürften es schon ein paar Bröckchen Theater mehr sein. (Anne Katrin Feßler, 26.3.2019)