Am Samstag demonstrierten auch in Wien Tausende gegen die Richtlinie.

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Die Stimmung im EU-Parlament in Straßburg war am Dienstagvormittag angespannt. Kaum ein Abgeordneter wollte prophezeien, wie die Abstimmung zur kontrovers diskutierten EU-Urheberrechtsrichtlinie ausgehen würde. Man stellte sich darauf ein, dass man über eine Reihe von Abänderungsanträgen abstimmen werde. Doch dann ging es schneller als gedacht: Der Antrag, Änderungsvorschläge zuzulassen, wurde mit einer hauchdünnen Mehrheit von fünf Stimmen abgelehnt; das Gesamtpaket wurde mit 74 Stimmen Mehrheit angenommen. Damit war um 12.55 Uhr klar, dass das Internet in Europa sich massiv verändern würde.

Vor allem wurde von den Gegnern der "Artikel 13" kritisiert, die Rede war von Onlinezensur. Was mit diesem "Artikel 13" in Zukunft anders wäre, erläutert der ORF-Korrespondent aus Straßburg.
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Nach einer Schrecksekunde begann die Lawine der Empörung durch die sozialen Medien zu rollen. In den vergangenen Monaten hatten hunderttausende vor allem junge Menschen ihren Unmut über die Urheberrechtspläne zum Ausdruck gebracht, allein vergangenen Samstag sollen rund 200.000 Demonstranten auf die Straße gegangen sein.

Filter gegen Copyright-Verstöße

Sie richten ihre Kritik vor allem gegen sogenannte Uploadfilter, die bald Standard sein dürften. Um Urheberrechtsverletzungen zu vermeiden, müssen Plattformen wohl auf automatische Programme zurückgreifen, die geschützte Inhalte "aussieben". Youtube setzt solche Filter schon jetzt ein, ebenso Facebook.

Künftig muss fast jede größere Plattform, die Nutzerinhalte zulässt, mit derartigen Filtern hantieren. Andernfalls drohen teure Rechtsstreitigkeiten. Für viele Start-ups könnte das eine hohe finanzielle Belastung bedeuten, deshalb hatten sich Start-up-Verbände europaweit gegen die geplanten Regeln gewehrt. Als Kompromiss waren zuletzt geringfügige Ausnahmen für kleine oder junge Plattformen ausgehandelt worden. Sie müssen jedoch glaubhaft darlegen, dass sie sich intensiv um Lizenzen für geschützte Inhalte bemüht haben.

Sind Uploadfilter legal?

Laut dem Juristen Lukas Feiler von Baker McKenzie dürften Uploadfilter gegen europäische Grundrechte verstoßen – im Gespräch mit dem STANDARD verwies er im vergangenen Jahr auf ein Urteil des EuGH aus dem Jahr 2012. Damals hatte das Gericht entschieden, dass soziale Netzwerke keine automatisierten Filter gegen Copyright-Verstöße einführen müssten.

"Große Konzerne profitieren"

"Während nun einer Vielzahl von KMUs und Start-ups droht, finanziell und wettbewerbstechnisch auf der Strecke zu bleiben, werden am Ende nur jene großen, multinationalen Konzerne davon profitieren, auf die die Reform ursprünglich abgezielt hat", warnte Maximilian Schubert, Generalsekretär des österreichischen Internetverbands ISPA.

De facto bedeutet die Regelung, dass beispielsweise Hochzeitsvideos, die mit einem urheberrechtlich geschützten Lied unterlegt werden, aus dem Netz genommen werden müssen. Ebenso Aufnahmen, in denen im Hintergrund geschützte Inhalte zu sehen oder zu hören sind, etwa Lieder aus einem Radio. Für die Netzkultur ist die Urheberrechtsreform ein herber Rückschlag. Memes oder satirische Inhalte, die auf das Original verweisen, könnten künftig gegen das Urheberrecht verstoßen. Diese sind aber ein elementarer Bestandteil der Popkultur geworden.

Vor allem deshalb protestierten hunderttausende primär junge Menschen gegen die Regelung. "Die europäischen Regierungen und die Konservativen ignorieren, ähnlich wie beim Klimaschutz, die Argumente und Anliegen von Millionen jungen Europäern", sagte der grüne EU-Spitzenkandidat Werner Kogler. Auch die SPÖ ist "dagegen, dass private Internetkonzerne auf Kosten der Informations- und Meinungsfreiheit aller Rechte von Künstlern durchsetzen sollen". Neos-Abgeordnete Angelika Mlinar sagte, die Konservativen hätten "ohne Rücksicht auf Verluste eine zerstörerische und innovationsfeindliche Regelung auf den Weg gebracht, die Zensur Tür und Tor öffnet".

Auch Leistungsschutzrecht beschlossen

Erfreut zeigte sich hingegen der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ). Denn nicht nur Uploadfilter, sondern auch das fast ebenso umstrittene Leistungsschutzrecht wurde beschlossen. Es sieht vor, dass künftig nur sehr reduzierte Ausschnitte eines Artikels auf anderen Plattformen verbreitet werden dürfen. Das dürfte den Betrieb von News-Aggregatoren wie Google News deutlich erschweren. VÖZ-Präsident Markus Mair sprach in einer ersten Stellungnahme "von einer wichtigen Weichenstellung, die den Erhalt von unabhängigem Journalismus in der digitalen Welt sichern kann". Allerdings scheiterten ähnliche Regelungen in Deutschland und Spanien. Die großen Verlage erteilten dort rasch Ausnahmen für Google News, da sie nicht auf die über Aggregatoren generierten Zugriffe verzichten wollten. Wie die EU-Regeln in der Praxis aussehen sollen, ist noch unbekannt.

ÖVP-Delegationsleiter Othmar Karas sprach davon, dass die Urheberrechtsregelung in die Richtung von "mehr Fairness" ginge und ein Kompromiss sei. Die FPÖ enthielt sich erneut. Delegationsleiter Harald Vilimsky sprach von einem "Riss durchs Parlament und die Länder". Er will eine Lösung, "die 70 bis 80 Prozent der Menschen an Bord hält".

"Nie mehr CDU"

Das ist bei der am Dienstag beschlossenen Urheberrechtsreform keineswegs der Fall. Quer durch alle Fraktionen gab es Abweichler, am einheitlichsten stimmten noch die Konservativen ab. Die Richtlinie muss nun erneut im EU-Rat bestätigt werden, was nur eine Formsache ist. Ab dann haben die Parlamente der EU-Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Unklar ist, wie sich die Abstimmung auf das Wahlverhalten junger Nutzer auswirken wird.

In den Tagen vor der Abstimmung gingen vor allem Abgeordnete der Konservativen mit den Protesten gegen die Reform hart ins Gericht. CDU-Politiker sprachen etwa von "gekauften Demonstranten". Dem steht der Aufruf entgegen, sich bei den kommenden EU-Wahlen an den Konservativen "zu revanchieren". In sozialen Medien gewann am Dienstag rasch ein Hashtag an Fahrt, der sogar von NSA-Whistleblower Edward Snowden geteilt wurde: "Nie mehr CDU".

Der österreichische Datenschützer Max Schrems verwies darauf, dass der Kampf noch nicht beendet sei, sondern juristisch ausgefochten werde:

Deal zwischen Deutschland und Frankreich?

Am Montag hatte ein Artikel der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" in Deutschland für Aufruhr gesorgt. Demnach hatte die deutsche Regierung eigentlich geplant gehabt, sich in den Verhandlungen zu der Reform im EU-Rat für mehr Ausnahmen für Start-ups einzusetzen. Dennoch wurde von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein für Neugründungen weitaus strengeres Gesetz akzeptiert, da dafür das Zugeständnis von Frankreich gekommen sei, für eine angepasste EU-Gasrichtlinie zu stimmen. Diese begünstigt den Bau von Nord Stream 2, einer Erdgaspipeline zwischen Russland und dem europäischen Markt. Frankreich gilt als einer der größten Befürworter eines strengen Urheberrechts.

Die Version der Richtlinie, die vor dem EU-Parlament gelandet ist, sieht Ausnahmen für Uploadfilter bei sehr kleinen Plattformen vor, nämlich wenn sie jünger als drei Jahre sind, wenn der jeweilige Dienst weniger als fünf Millionen Nutzer pro Monat hat oder wenn der Jahresumsatz weniger als zehn Millionen Euro beträgt. Trifft einer dieser Punkte nicht zu, müssten Uploadfilter implementiert werden. Zudem müssten laut dem Text die Betreiber "größte Bemühungen" anstellen, um Lizenzen einzuholen. Laut Kritikern sind somit nur die wenigsten Plattformen tatsächlich befreit. (Muzayen Al-Youssef, Fabian Schmid, Thomas Mayer, 26.3.2019)