Stephanie L. Woerner ist Wissenschafterin am Center for Information Systems Research des Massachusetts Institute of Technology (MIT). Ihre Expertise liegt in der effektiven Nutzung von Technologie und Daten zur Schaffung effektiverer Geschäftsmodelle und für organisatorischen Umbruch. Sie ist Co-Autorin des Buches "What's Your Digital Business Model? Six questions to help you build the next generation enterprise".

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Nur in einem sind sich die meisten Experten einig: Der Umbruch aufgrund der Digitalisierung ist gewaltig.

Wir kennen noch nicht einmal die Hälfte aller Jobbeschreibungen aus dem Jahr 2040 – ganze Branchen könnten verschwinden und bisher undenkbare Geschäftsmodelle die Welt erobern. Prognosen über die Zukunft der Arbeit gibt es viele, kaum jemand kann jedoch die Entwicklung tatsächlich abschätzen. Nur in einem sind sich die meisten Experten einig: Der Umbruch, den die Digitalisierung mit sich bringt, ist gewaltig.

Davon ist auch Stephanie Woerner, Forscherin am Massachusetts Institute of Technology (MIT), überzeugt. Die Digitalismusexpertin gastiert diese Woche im Rahmen der von der Wirtschaftskammer organisierten MIT Europe Confernece 2019 in Wien. "Wir müssen versuchen zu verstehen, was Digitalisierung mit den Menschen macht und was wir mit jenen tun können, die keine Jobs mehr haben werden. Dass das noch nicht passiert, macht mich besorgt", sagt Woerner. Lösen könne diese Probleme kein Unternehmen allein, viel eher bräuchte es dafür ein kluges Zusammenspiel aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft.

Die richtigen Fragen stellen

Die größten Gefahren sieht sie für Branchen, die besonders leicht digitalisierbar sind – Bereiche der Medien- und Bankenbranche etwa. In der Produktion und Fertigung werde es womöglich sogar mehr Chancen als Risiken geben, glaubt Woerner. Grundsätzlich müssen sich alle Firmen die Frage stellen, in welchem Bereich sie am besten sind, wie sie möglichst schnell Nischen besetzen können und wie sie den Kunden Probleme abnehmen und diese für sie lösen wollen.

Das Sammeln von Daten sei dabei nur dann sinnvoll, wenn man auch die Kapazitäten und das Know-how besitzt, diese zu verwerten. Dafür brauche es aber auch junge Menschen, die entsprechend gute Fragen stellen. Das wird eine Kernkompetenz für Zukunftsberufe sein. DER STANDARD konfrontierte Woerner mit acht provokanten Thesen, die immer wieder in der Diskussion über die digitalisierte Arbeitswelt genannt werden.

Stephanie Woerner: Viele Firmen werden weniger Leute einstellen, ja. Automatisierte Bereiche in Fabriken etwa werden durch immer mehr und neue Daten stets besser und werden Arbeiten effizienter verrichten. Besorgniserregend ist das für jene Teile der Bevölkerung, die nicht leicht umgeschult werden können. Natürlich gibt es Bereiche, die nicht so schnell automatisiert werden, vom Klempner bis zum Pfleger. Aber es wird genau jener Bereich zusehends ausgehöhlt, der bisher Jobs für Menschen ohne höhere Ausbildung bot. Und in der Lösung dieses Problem sind wir nicht besonders gut. In den USA erhält das Thema viel zu wenig Aufmerksamkeit. Die Politik, Firmen und Leute, die dagegen aufbegehren, müssen da zusammenkommen. Ich persönlich schaue darauf, dass meine Kinder Fähigkeiten erlernen, die nicht automatisierbar sind. Dazu gehört es auch, die richtigen Fragen zu stellen.

Woerner: Stimmt wohl, ich halte das aber für ein Problem der Politik und nicht der Firmen. Firmen sahen in der Digitalisierung eine Chance und ergriffen sie. Wenn ich die Entwicklung verhindern will, kann ich mit Steuern entsprechend gegensteuern. In den USA haben wir sehr niedrige Steuern. Es gab Zeiten mit starker Wirtschaft, da waren die Steuerabgaben deutlich höher. Derzeit scheint das aber politisch nicht umsetzbar.

Woerner: Ich stimme Ihnen voll zu. In den USA fragen sich Datenschutzaktivisten: Wie können wir kontrollieren, was Firmen mit den aufgesaugten Daten anstellen? Viele Firmen müssen heute ja nicht mal mehr rausgehen, um Daten zu sammeln. Die Leute tragen diese ja regelrecht zu ihnen. Sie müssen nur mehr einen Weg finden, mit diesen Daten umzugehen, und für diesen Umgang braucht es Regeln, wo Europa oft eine Vorbildwirkung hat. Datenschutz ist auch eine wichtige Frage für uns am MIT. Die Daten unserer Forschung sind für zahlreiche Firmen sehr interessant. Wir müssen da laufend auf dem aktuellsten Stand sein, denn wir haben natürlich äußerst unterschiedliche Ziele.

Woerner: Meiner Meinung nach ist das keine schlechte Idee. Ich meine, warum sollte ich nicht für etwas entschädigt werden, das ich geschaffen habe?

Woerner: Firmen wie Uber haben durch die extrem guten Daten einen Wettbewerbsvorteil erlangt, den sie nicht hergeben wollen. Viele Städte bräuchten aber dringend ihre Daten, um ihre Stadtplanung für die verschiedenen Fortbewegungsmittel zu organisieren. Die Weitergabe anonymisierter Daten ist aber in der Tat ein großes Thema, etwa in der Bankenbranche rund um die Open-Banking-Initiativen, die genau das tun müssen und womit Banken eines Tages verschwinden könnten. Die Firmen quälen sich ab damit, weil sie nicht genau wissen, wo diese Reise hingeht. Das eigentliche Problem liegt aber in der Zustimmung zur Datenverarbeitung auf Konsumentenseite. Das ist sehr zweifelhaft. Niemand liest die AGB.

Woerner: Absolut. Da braucht es einen extrem guten Datenschutz. Aus Firmensicht eröffnet es natürlich eine große Bandbreite möglicher neuer Gewinnquellen, wenn man Sensoren in Geräte einbaut und Daten ausliest. Man kann nicht nur die Maschine verkaufen, sondern auch gleich den passenden Service dazu anbieten. Auch können Firmen durch die Daten ihre Produktivität erhöhen. Aus Konsumentensicht stellen sich natürlich ganz andere Fragen. Und viele Firmen bemühten sich nicht gerade um vertrauensbildende Maßnahmen. "Go fast and break things", heißt es im Silicon Valley. Und wieder stellt sich die Frage: Wem gehören die Daten? Wer kann aus den Daten etwas machen? Das wird noch zu Auseinandersetzungen führen, da wird noch um viel Geld gestritten werden, und auch da werden sich bestimmte Firmen darauf spezialisieren und davon profitieren. Diese Diskussion findet noch gar nicht wirklich statt.

Woerner: Nun ja, soll es ihnen verboten werden? Ich würde sagen, ein Investor muss einfach vorher schauen, in was er investiert. Tatsache ist, dass viele Firmen zwar Daten zur Verfügung haben, aber nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Auch sind diese oft auf mehrere verschiedene Silos verteilt und nicht zusammengeführt. Die KI-Start-ups oder -Firmen werden sich ebenso konsolidieren wie andere Branchen. Zu Beginn der Automobilbranche gab es hunderte Hersteller. Am Ende bleiben nur die erfolgreichsten übrig, und ein paar neue kommen dazu. Künstliche Intelligenz wird in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Besorgniserregender als ein paar Firmen, die nur angeben, mit KI zu arbeiten, finde ich die bestehende Voreingenommenheit bestimmter Algorithmen, weil sie schlicht von Menschen mit Vorurteilen trainiert wurden – etwa die sexistische Amazon-Rekrutierungssoftware, die keine Frauen einstellte.

Auch interessant zum Thema Buzzwörter: Wir haben uns auch die Kurzbiografien von 40.000 Managern in großen US-Firmen angeschaut. Tatsächlich performten jene Firmen besser, die Personen in ihrem Management-Board hatten, die sich als "technikaffin" beschrieben. Würden wir dieselbe Versuchsreihe in drei Jahren noch einmal machen, würde es dort wohl nur so wimmeln von technikaffinem Vokabular. Firmen wollen sich immer bestmöglich verkaufen.

Woerner: Nein, nicht jedes Kind muss programmieren lernen. Es geht darum zu wissen, welche Fragen potenziell programmiert werden können, was automatisiert werden kann, denn das ist es, was einen Beruf einfacher machen könnte. Das Programmieren übernehmen meist ein paar Experten. Auch wenn bestimmte Bereiche nicht programmierbar sind, so ist es mancher Zwischenschritt vielleicht doch. (Fabian Sommavilla, 28.3.2019)